Süddeutsche Zeitung

Haustiere nach Corona:Auch Hunde müssen Sozialkontakte wieder lernen

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Die Zahl insbesondere der neu angeschafften Welpen in München ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Doch deren Erziehung ist während der Pandemie oft auf der Strecke geblieben, und die plötzlichen Kontakte sind für viele Vierbeiner eine Herausforderung.

Von Thomas Becker

Pansen ist etwas Wunderbares. Zumindest für Hunde. Insofern ist Monika Petzenhausers erste Übung eine ziemliche Unverschämtheit. Ohne Leine sollen die Hunde an Frauchens Seite laufen - und die im gut sichtbaren Bereich liegenden Pansensticks einfach ignorieren. Wie damals in der Bier-Werbung: Nur gucken, nicht anfassen! Geht's gemeiner? Aber Monty, Gil, Nuri und Milli kriegen das gut hin. Ihre Frauchen haben ja auch etwas mit ihnen vor: Im Spätsommer wollen die vier Paare Hunde-Führerschein machen. Warum? Nun, abgesehen davon, dass sich die Besitzer ein Jahr lang die Hundesteuer sparen, haben sie danach einen gut erzogenen Hund. Und wer wissen will, was das ausmacht, braucht nur in einen Park oder über eine Wiese zu marschieren.

Wohl noch nie waren in München so viele Vierbeiner ohne gute Erziehung unterwegs - auch weil Unterricht wie in "Petzis Hundetraining" in Ramersdorf, eine von rund 30 Hundeschulen in und um München, coronabedingt lange nicht möglich war. "Ich habe von gruseligen Begegnungen gehört", erzählt Monika Petzenhauser. "Die Leute haben teilweise richtig Angst, wenn der Besitzer 300 Meter weit von seinem Hund weg ist. Schon ärgerlich, wenn Leute ihren Hund nicht unter Kontrolle haben."

Im Kalenderjahr 2020 ist die Zahl der steuerlich erfassten Hunde gegenüber dem Vorjahr um 3052 Tiere - in Zahlen: 8,1 Prozent - auf 40 675 gestiegen. Das sind fast so viele zusätzliche Hunde wie in den vier Jahren davor zusammen. Auch die Zahl der Hundebesitzer im Verhältnis zur Bevölkerung stieg deutlich: Am Jahresende besaß jeder 39. Münchner einen Hund. Den höchsten Zuwachs verzeichnet Neuhausen/Nymphenburg (+213 Hundebesitzer) vor Bogenhausen (+212).

Woher der Trend rührt? "Den Leuten war einfach langweilig", meint Petzenhauser. Eine Studie der Stiftung "Bündnis Mensch & Tier" zu den Auswirkungen der Kontakteinschränkungen von März bis Mai 2020 auf die Mensch-Tier-Beziehung kam zu folgenden Erkenntnissen: "Tiere ermöglichen Menschen, gerade in Zeiten der Kontakteinschränkungen, eine soziale, emotionale, kommunikative und taktile Beziehung zu erleben. Bedürfnisse wie Fürsorge geben und Zuneigung empfangen durch das Tier werden realisierbar."

Tierhalter bewältigten den Umgang mit Sorgen und Ängsten gut, da ihnen der Sozialkontakt mit den Tieren und die Alltagsstrukturen durch die Tierversorgung helfen, heißt es. Die Tierhalter schauten, trotz wirtschaftlicher Einbußen in der Krise, überwiegend optimistisch in die Zukunft. Durch Homeoffice erhielten Tierhalter zudem mehr Flexibilität und Zeit. Die Mensch-Tier-Beziehung werde intensiver.

Wer den Mensch-Tier-Beziehungen an der Rosenheimer Straße 242 nahe der Salzburger Autobahn zusieht und mit den Hundehalterinnen spricht, kann dem nur zustimmen. Nina Barbarino, die mit dem 14 Monate alten Dalmatiner Gil da ist, schwärmt: "Der Hund hat die ganze Familie entspannt. Wir haben nur über ihn gesprochen und nicht über Corona." Die Grundausbildung in der Welpenschule habe Gil noch mitbekommen; während der Schließung behalf sie sich mit Büchern und Online-Training, "aber draußen geht es viel besser", sagt Nina Barbarino, "die Gil kommt sehr gern her, ich kann sie kaum bremsen".

So sieht das bei den anderen auch aus, vor allem Nuri, der kleine Terrier-Mischling, gibt richtig Gas. Vergangenen Herbst war er schon zur Prüfung angemeldet, doch dann musste sein Frauchen in Quarantäne. "Für meine Tochter war es schon schön, dass es Nuri gibt", erzählt Denise All, "sie war nicht so allein. Und sie hat mittrainiert."

Auch für die Hunde ist das Training etwas Besonderes: "Eine Dreiviertelstunde hat der Hund meine volle Aufmerksamkeit. Entsprechend strengt er sich für mich an", sagt Brigitte Brunnhuber und streicht ihrem Australian Shepherd Monty übers Fell. Und Quirinia Burghardt, die einen Border-Collie-Schäferhund-Mix befehligt, meint: "Ein Hund hilft, den Tagesablauf zu strukturieren." Was in Zeiten von Online-Abi und Online-Uni durchaus ein Faktor ist.

"Üben lebt halt von der Frequenz", sagt Petzenhauser. Und die war niedrig während der Pandemie

Seit 30 Jahren beschäftigt sich Monika Petzenhauser mit Hundetraining, das generelle Problem der Corona-Hunde beschreibt sie so: "Die haben in den letzten eineinhalb Jahren wenig oder gar keinen Besuch erlebt, keine Kinder und keine Alten erlebt. Das ist für manche Hunde ein riesiger Deprivationsschaden, weil Umweltprägung und Sozialisierung fehlen. Üben lebt halt von der Frequenz. Einige Hunde haben da wirklich Probleme." Gerade beim Umgang mit Kindern: "Jetzt dürfen sich Kinder wieder gegenseitig besuchen - aber nur, wenn der Hund damit kein Problem hat."

In einem Fall habe einer schon zweimal Besucherkinder gezwickt: "Die kommen jetzt nicht mehr so gerne. Das ist frustrierend für die Familie." Ähnliches gelte für Menschenmassen: "Das kennen die jungen Hunde gar nicht. Die werden sich erst mal maßlos aufregen. Reizschwelle und Frustrationstoleranz unterscheiden sich stark bei den Rassen - so ein Hütehund wird da schnell mal laut." Oder Hunde-Anfänger mit zwei Welpen aus einem Wurf: "Die lernen gerade, was es heißt, Zwillinge zu haben: wahnsinnig viel Arbeit, vor allem wenn die gleichzeitig in die Pubertät kommen."

Dass die Nachfrage bei Welpen, Katzenbabys und Kleintieren krass gestiegen ist, weil das vermeintlich weniger Pflegeaufwand ist, bestätigt Kristina Berchtold vom Tierheim an der Riemer Straße. Die Vermittlungszahlen seien nicht gestiegen, "weil wir viele Tiere mit Vorgeschichte haben, die nicht anfänger- oder kindergeeignet sind. Wenn wir keinen passenden Welpen hatten, war das Interesse bei vielen schnell wieder weg".

Man versuche schon zu sensibilisieren: Ist Ihnen die langfristige Verantwortung bewusst? Sie müssen den Hund auch nach Corona versorgen, wenn Homeoffice gestrichen wird oder Sie in Urlaub wollen. Und so ein Tier kostet auch Geld im Unterhalt. "Aber viele haben da im Kopf schon Ebay-Kleinanzeigen aufgerufen." Häufigste Frage: "Macht ihr auch Urlaubsbetreuung?" Auch der illegale Handel habe zugenommen. "Unsere Quarantänestation war fast ständig voll", erzählt Kristina Berchtold.

Zwei Sammeltransporter aus Bulgarien seien am selben Wochenende gestoppt worden, mit fast 40 Hunden und Katzen, viele in ganz schlechtem Zustand, infolge mangelhaften Transports: zu wenig Platz, Wasser und Futter, einige nicht ausreichend geimpft. Zwar habe man noch keine Abgabewelle, aber schon diverse Anfragen, Tiere aufzunehmen, die erst vergangenen Mai angeschafft wurden, vor allem Neubesitzer mit Welpen, die keine fachmännische Beratung hatten. "Ich kann mir vorstellen, dass es im Park im Laufe des Jahres noch viele Schwierigkeiten mit unerzogenen, unsozialisierten Hunden geben wird", sagt Berchthold. "Viele Besitzer haben sich einfach übernommen." Ihre Bitte: "Bevor Sie die Tiere ins Tierheim geben: Hilfe suchen bei einem Trainer! Tierheim sollte die letzte Option sein."

Und so lässt Monika Petzenhauser Laufschritt mit Abbremsen üben ("Als würdet ihr zum Bus rennen"), Mit-Maulkorb-Atmen ("Wie in der Bahn oder Gondel"), Ohren-, Zehen- und Pfotenkontrolle ("Darf den Hund nicht stören!"), und dann wirft sie auch noch einen Tennisball - ohne dass Gil & Co. hinterher sausen dürfen. Das darf nur Angel, der Golden Retriever der Trainerin, der prompt neidische Blicke erntet. "Das ist die Versuchung, wenn im Park gespielt wird", erklärt Petzenhauser, bevor sie die Truppe für heute entlässt. Natürlich nicht, ohne den zuvor noch so streng verbotenen Pansen zu verfüttern.

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Quelle:
SZ vom 14.06.2021
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