Kunst, Kabarett und Comedy: Hat München noch Humor?

Münchner Humor

Der Münchner Humor war noch nie so homogen, wie er in der Rückschau gerne gemacht wird.

Die Stadt bekommt ein Haus des Humors, das die Tradition feiert. Und junge Veranstalter? Bekommen Besuch vom Ordnungsamt.

Von Bernhard Hiergeist

Wenn der weltweite Humor ein "Ozean" ist, wie der Kabarettist Gerhard Polt gesagt hat, dann ist der Münchner Humor natürlich nur ein kleiner Seitenarm, ein Fjord vielleicht. Aber einer, der es in sich hat: seichte Uferstellen, kilometerweite Untiefen, messerscharfe Riffe, Korallen, Wale und Tiefseemonster, Clownfische und Plankton.

München hat eine gigantische Kulturtradition des Witzes und des Humors. Die Eckpunkte: Anfang des 20. Jahrhunderts wurden hier die "Elf Scharfrichter" gegründet, das erste politische Kabarett in Deutschland. Nach dem Zweiten Weltkrieg die Lach- und Schießgesellschaft. Oskar Maria Graf schrieb hier, Helmut Dietl drehte hier, Karl Valentin war lustig hier.

Eine Stadt darf stolz auf ihre Künstler sein, und jüngster Ausdruck dieses Stolzes ist wohl das "Forum Humor und komische Kunst". Ein Museum soll das werden, ein Veranstaltungsort, eine Hochschule, eine Begegnungsstätte, an der der "Ozean Humor" systematisch und interdisziplinär durchleuchtet wird. Ein Förderverein hatte jahrelang für das Projekt gekämpft und prominente Fürsprecher wie Gerhard Polt, Otto Waalkes oder Eckart von Hirschhausen versammelt. Seit Juli ist der Einzug in die alte Viehmarktbank am Schlachthof so gut wie sicher. Entsprechend euphorisch war die Stimmung. Sogar der bayerische Kunstminister ließ sich zu einer überschwänglichen Verlautbarung hinreißen ("Humor inspiriert, erfreut und macht vieles leichter!").

Wahnsinn, diese Tradition. Aber wie sieht es eigentlich heute aus mit dem Humor in München, mit dem Münchner Humor? Hat München überhaupt noch Humor? Die Antwort ist nicht so eindeutig, wie der Blick in die Vergangenheit vermuten lässt.

Neben dem lauten Bekenntnis zum Humor steht immer ein leiseres Ja-aber. Ende August blitzte es wieder durch, als die offene Comedy-Bühne "Medium Rare" ihren Betrieb bis auf Weiteres einstellte. Auf Facebook schrieben die Veranstalter: "Aus der Nachbarschaft hat es leider einige Beschwerden gegeben über die Lautstärke nach der Show." "Medium Rare" musste den "Holzkranich" in der Maxvorstadt verlassen. Seitdem suchen die Veranstalter eine neue Heimat.

Ein Haus des Humors kommt, eine kleine Show pausiert. Es verfestigt sich wieder einmal der München-Eindruck: Die Alten bekommen ein Denkmal. Die neuen Besuch vom Ordnungsamt.

Claudia Pichler, 33, ist eine, die beide Welten kennt, die Münchner Humortraditionen und die jungen Experimente. Mit ihrem Programm "Ned blöd... für a Frau" zieht sie über Kabarettbühnen in Bayern und Österreich. Dabei schauspielt sie, sie macht Witze, sie singt, spielt Instrumente. Auf offenen Comedy-Bühnen in München hat sie ihr Material getestet und geschärft. Sie hat über Gerhard Polt promoviert und mehrere Bücher zu dessen Werk herausgegeben.

Sie hält eine Abgrenzung von Alt und Neu, von Münchnerisch und Nicht-Münchnerisch für schwierig. Was soll das sein, der Münchner Humor? "Natürlich hat München eine wichtige Funktion als Treffpunkt. Es ist ja kaum jemand von hier, aber hier kommen viele zusammen", sagt sie. Künstler, die hierher ziehen, müssten ihre Witze manchmal an das städtische Publikum anpassen. Was in der niederbayerischen Provinz für großes Gelächter sorge, muss in München nicht zwangsläufig funktionieren. Aber einen spezifischen Humorgeschmack kann Pichler nicht ausmachen. "Der Humor in München lebt davon, dass Leute von außen hierher kommen, von außen draufschauen und ihre eigenen Perspektiven einbringen." Und das ist nicht erst heute so, wo die Menschen für Arbeit, Studium und Liebe ständig durchs Land ziehen.

Der Münchner Humor war noch nie so homogen, wie er in der Rückschau gerne gemacht wird. Wer hat diesen Humor? Frank Wedekind vielleicht? Der Schriftsteller war Mitglied der Elf Scharfrichter, geboren wurde er in Hannover. Der Stand-up-Comedian Michael Mittermeier, geboren in Dorfen? Dieter Hildebrandt, Mitgründer der Lach- und Schießgesellschaft, geboren in Niederschlesien? Helmut Dietl, der mit seinen Filmen das Münchenbild über Jahrzehnte geprägt hat, der aber vom Tegernsee stammt? Oder Karl Valentin, Kind eines Hessen und einer Sächsin, zufällig halt geboren in München?

Wann verkörpert einer den Münchner Humor? Gar nicht so leicht zu beantworten. Pichler sieht keinen spezifischen Humor in München. Was sie aber sieht: Humoristinnen und Humoristen, nicht wenige, viele sehr aktiv, viele junge, immer mehr Frauen, immer häufiger Menschen mit Migrationshintergrund. Und sie bewegen sich in den verschiedensten Kunstformen: Liedermachen, Poetry Slam, Typen-Kabarett, Stand-up-Comedy. "Früher gab es diese Frage: Ist das jetzt Kabarett, also ernst und hintergründig, oder Comedy, also ein Schmarrn? Diese Abstufung ist heute völlig überholt", sagt Pichler.

Ohnehin hat das politische Kabarett seinen Reiz verloren: Bei den Nachwuchs-Wettbewerben wird das Feld immer dünner. Der "Kabarett Kaktus", bei dem junge Künstler Auftritte auf bekannten Bühnen gewinnen konnten, wurde 2017 eingestellt. "Das ist einfach nicht mehr die Ausdrucksform unserer Generation", sagt Pichler. Anders gesagt: Politisch ist man heute eben anders als früher, nicht mehr mit dem erhobenen Zeigefinger.

"Die Stimme von jungen Comedians zählt hier nicht"

Die Grenzen zwischen den Formen verschwimmen. Alle Experimentierfreude hilft aber nichts, wenn sich nicht auch beim Publikum eine gewisse Offenheit einstellt. Es schade ja nicht, sagt Pichler, "wenn man vielleicht nicht zum x-ten Mal in den Circus Krone zum großen etablierten Kabarettisten rennt, sondern auch mal auf die Subkultur schaut: Was passiert eigentlich in der Kneipe bei mir ums Eck?"

Zum Beispiel im "Holzkranich", wo seit anderthalb Jahren bei "Ja & Weiter" junge Comedians aus ihren Leben erzählen. Es ist die älteste reine Comedybühne der Stadt. (Weil die Stadt nur eine Show im "Holzkranich" duldet, musste "Medium Rare" weichen.)

Sieben Minuten bekommt jeder Künstler, manche stehen zum ersten Mal auf einer Bühne. Möglichst witzig soll es sein. Das kann klappen, kann aber auch schiefgehen. Das Publikum weiß nicht, was es erwartet. Solche anarchischen Räume sind in der Kleinkunst selten.

Sebastian Ulrich, 26, hat "Ja & Weiter" mitgegründet; er hält die Show als Moderator zusammen. Er sagt: "Es gibt eine Vorstellung von Münchner Humor, die aber heute nicht mehr relevant ist." Es handele sich eher um eine Marke, ein Label zum Aufkleben. "Die Stand-up-Comedy hat auf jeden Fall keine Münchner Humorfarbe." Stand-up als Kunstform orientiert sich eher an amerikanischen Vorbildern als an deutschen. "Was Comedians in München verbindet, ist allein die Tatsache, dass wir hier leben."

Ulrich hat noch nichts von den Plänen für ein Haus des Humors gehört, in Stand-up-Kreisen sei das kein Thema, sagt er. Ihn treibt etwas anderes um: Junge Künstler haben es in München nicht unbedingt leicht, wie das Beispiel "Medium Rare" zeige. Und das sei nicht die einzige Comedy-Show, die gerade Probleme habe.

"München hat nicht umsonst den Ruf, als Stadt ausgestorben zu sein", sagt Ulrich. "Es gibt kaum Unterstützung für neue Formate. Die Stimme von jungen Comedians zählt hier nicht. Dass so eine Stadt dann ein historisches Kabarettmuseum bekommt, ist irgendwo auch wieder konsequent."

Ulrich ist alles andere als ein wütender Revolutionär. "Wir haben es nicht verdient, dass man auf uns achtet, nur weil wir jung sind und irgendwas Neues machen", sagt er. "Unsere Aufgabe ist es, so gut zu werden, dass man nicht mehr um uns herumkommt." Stand-up sei in Deutschland eine junge Kunstform und habe noch viel aufzuholen. Und das geht nur durch Übung, nicht durch Rückbesinnung auf Tradition, findet Ulrich. Darum sieht er auch die Pläne für das Humor-Haus skeptisch. "Was soll ein Museum bringen?", fragt er. "Wenn das den Humor in München nach vorne bringen soll, dann eröffnet doch darin eine Bühne mit sieben Shows die Woche!"

Claudia Pichler hält es für wichtig, Traditionen für die Nachwelt zu bewahren. Ja, aber. Mit Blick auf das "Forum für Humor" sagt sie: "Die Bedeutung für München wird man auch daran messen, wie es gelingt, Brücken zu schlagen: von den Humortraditionen zum Humor von heute." Und den Humor von heute dort auch stattfinden zu lassen.

Sebastian Ulrich wäre nicht abgeneigt. Eine Stand-up-Comedy-Show im Haus des Humors? Wieso nicht? "Es ist doch ganz egal, wo wir eine Show machen. Ob in so einem Haus oder bei Pizza Hut", sagt er. "Solange man eine gute Show hat."

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