Kritik:Schwarzer Albtraum

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"Seligkeit, tief empfunden": Jennifer O'Loughlin als Antonia und Lucian Krasznec als Hoffmann in Stefano Podas Inszenierung am Gärtnerplatztheater (Foto: Marie-Laure Briane)

Stefano Poda inszeniert "Hoffmanns Erzählungen" am Gärtnerplatztheater als düstere Vision.

Von Klaus Kalchschmid, München

"Phantastische Oper" nennt Jacques Offenbach seinen Schwanengesang "Les contes d'Hoffmann - Hoffmanns Erzählungen". Die Uraufführung im Februar 1881 erlebt er nicht mehr, bei seinem Tod vier Monate zuvor hatte er auch die Partitur noch nicht vollendet, weshalb sie von fremder Hand fertiggestellt wurde. Am Gärtnerplatztheater wurde sie nun nach der quellenkritischen Ausgabe von Fritz Oeser von 1977 gespielt und war in jeder Hinsicht eine "Opéra fantastique", in der Realität mit Albtraum verschmilzt.

Weitgehend deutsch, wenn Lieder oder Arien als "Kunst" im Verlauf der Handlung thematisiert werden, aber auch auf Französisch gesungen, erleben wir hier die düsteren Visionen des Dichters E.T.A Hoffmann. Am Anfang und Ende hackt er, inmitten seiner lemurenhaft im Gothic Style in schwarzes Leder gewandeten, wie Tote geschminkten Saufkumpane wild in eine Schreibmaschine. Dazwischen erlebt er erneut seine Beziehung zu drei Frauen, denen er jetzt in Stella als Synthese wiederzubegegnen glaubt.

Die erste ist Antonia: eine Puppe, die mittels rosaroter Brille für den Dichter lebendig und zum Liebesobjekt wird. Ilia Staple singt mal lupenrein, mal famos schneidend wie ein Automat und ist vervielfacht in jeder Menge Vitrinen mit identischen Puppen, die auf einer Drehbühne das Geschehen in einer Art Gruft bevölkern. Deren hohe Wände sind mit unzähligen, zerknüllten Notenblättern beklebt, was aussieht wie ein vertikaler irrealer Flokati.

Callas oder Caballé im Glassarg

Bühne, Kostüme, Inszenierung, Lichtdesign und Choreografie stammen wieder - wie im November 2019 bei "Tosca" am Gärtnerplatztheater - von Stefano Poda. Er zeigt neben der Sängerin acht weitere Damen in rotem futuristischem Netzkleid, wie sie sich, erst starr, dann immer wieder minimalistisch puppenhaft in ihren Vitrinen bewegen. So perfekt gespielt wird das, dass man sich manchmal vom Geschehen weg den fantastischen Statistinnen zuwendet. Das wiederholt sich im dritten Akt, als Hoffmann Antonia, einer lungenkranken jungen Sängerin, wiederbegegnet. Jennifer O'Loughlin verströmt zwar wenig Wärme, aber da sie ja eine Erinnerung verkörpert, stellt sie ihren lyrischen Koloratursopran wohl bewusst künstlich aus. Da stehen, Habitus und Gestus immer wieder raffiniert ändernd, die großen Opern-Diven vor allem des 20. und 21. Jahrhunderts in ihren Glas-Särgen: Wagner-Heroine Martha Mödl, die Tebaldi und die Callas, Joan Sutherland und Montserrat Caballé bis hin zur erst kürzlich tragisch verunglückten Edita Gruberová und viele andere. Verblüffend, wie eine Callas oder Caballé nicht nur in Maske und Frisur dem realen Vorbild ähneln, sondern auch deren Haltungen einnehmen. Am Sockel erscheinen nicht nur ihre Namen, sondern auch die der Erzählungen Hoffmanns wie "Rat Crespel" oder "Der Sandmann", auf denen die Oper basiert.

Im vierten Akt vervielfältigt sich die Kurtisane Giulietta (kühle Verführerin: Camille Schnoor). Wie aus einem Sci-Fi-Film tragen die Damen über weißer, durchsichtiger Netz-Haut silberne Motorrad-Helme, die mit Glasscherben und Diamanten bestückt sind, als wär's ein Werk von Damien Hirst. Die Herren aber erscheinen wieder als schwarze Albtraum-Gestalten wie aus dem Horrorfilm à la "Nosferatu". Auch Hoffmann wirkt wie eine ferngesteuerte Marionette aus dem Gruselkabinett. Wunderbar, wie Lucian Krasznec beim Lied vom Klein-Zack, dem seine Beine nicht gehorchen, immer wieder wie eine Gliederpuppe zusammenknickt. Dazu singt und spielt er den Hoffmann mit berückend herber Diktion und unverwechselbar leuchtend irrlichterndem Tenor. Seine Muse, Berater und Freund Niklas ist in Gestalt von Anna-Katharina Tonauer mit milden Trost verströmendem Mezzo sein Alter Ego, zumindest im Kostüm. Auch sie erscheint zur Apotheose mit der balsamischen Melodie auf den Text "Man wird groß durch die Liebe, größer noch durch das Leid" ganz in Weiß wie alle anderen Männer und Frauen. Da sieht Hoffmann wohl das weiße Licht des Todes und entschwindet in ein Nirwana der eisigen Kälte. Mathias Hausmann schlüpft erfolgreich in die Rolle der bösen Gegenspieler Hoffmanns Lindorf, Coppelius, Dr. Mirakel und Dapertutto. Buffo-Tenor Maximilian Mayer brilliert als Andreas, Cochenille, Franz und Pitichinaccio. Anthony Bramall hält das Ganze am Pult des Gärtnerplatz-Orchesters gut zusammen, auch wenn eleganter Esprit einerseits und romantisches Pathos andererseits noch nicht ganz ausgelotet sind.

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