Süddeutsche Zeitung

Architektur in München:Schluss mit der Nostalgie

2004 votierten die Münchner dafür, dass kein Hochhaus mehr als 100 Meter sein dürfe. Es ist höchste Zeit, sich von dieser Selbstbeschränkung zu verabschieden.

Kommentar von Nina Bovensiepen

Die Altstadt-Silhouette! Die Sichtachsen Münchens! Die drohende Verschattung der Stadt - ach was, des Lebens! Was werden seit Jahren und Jahrzehnten nicht alles für Argumente bemüht, wenn es darum geht, ob München Hochhäuser bekommen darf, die über die 100-Meter-Marke hinausgehen? Eine Begrenzung, die in einem 15 Jahre alten, damals schon knappen Votum per Bürgerentscheid festgelegt wurde.

Da mögen die Münchner (samt Zugereisten) sich noch so gern als Menschen von Welt geben, zum Empire State Building (443,2 Meter bis zur Spitze) in New York pilgern oder das höchste Gebäude der Welt in Dubai, den Burj Khalifa (829,8 Meter), bestaunen - daheim bleibts bitte klein. Auch in der Münchner Politik traute sich kaum jemand, dies wirklich laut und nachhaltig in Frage zu stellen.

Daher war es dringlich und gut, dass das Planungsreferat im vergangenen Jahr eine Hochhaus-Studie in Auftrag gegeben hat. Deren Entwurf liegt nun vor und er stellt endlich manches in Frage, an dem zu lange nicht gerührt wurde. Zum Beispiel die 100-Meter-Marke. Dies geschieht zwar immer noch etwas verzagt; so sollen die Altstadt und andere definierte Bereiche weiter vor wirklich hohen Hochhäusern "geschützt" werden. Höher als 100 Meter zu bauen wäre aber grundsätzlich nicht mehr ausgeschlossen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, und es ist zu hoffen, dass der nächste Stadtrat ihn nach der Kommunalwahl im März 2020 beherzt geht. München sollte das alte Bürgerbegehren hinter sich lassen, umso mehr bei den Problemen, die inzwischen das Wachstum schafft.

Das muss weder heißen, dass die Altstadt-Silhouette in Gefahr gerät, noch dass überall Wolkenkratzer aus dem Boden sprießen. Es heißt nur, sich aus einer nostalgischen Beschränkung zu befreien. Hochhäuser können ein Stadtbild durchaus bereichern. Sie können ästhetisch ansprechend sein, in ihnen kann neuer Wohnraum entstehen - auch wenn das häufig teuer ist. Sie können einladend sein, wenn ihre Zugangsbereiche, das Umfeld und ihre Architektur gut und umsichtig gestaltet werden. Sie können Touristenmagneten sein - und womöglich auch viele Einheimische begeistern, wenn dieser nötige Aufbruch im Städtebau endlich geschafft wird.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2019/vewo
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