Süddeutsche Zeitung

München:Hochgefühl

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Für ihre Ausstellung "Divine Light" lag Miriam Ferstl auf harten Steinböden dalmatinischer Kirchen, um den Formenreichtum von Kronleuchtern zu fotografieren

Von Stefanie Schwetz

Der Priester konnte es einfach nicht mitansehen, wie diese seltsame junge Deutsche mit der Kamera da rücklings auf dem harten, kalten Steinboden seiner Kirche lag. Er schaffte Kissen und frisch gewaschene Messgewänder heran, um sie der Fotografin unterzulegen. Man muss schon ein wenig verrückt sein, wenn man dreimal nach Kroatien reist, knapp 70 dalmatinische Inselkirchen abklappert und dort Kronleuchter fotografiert. Oder man ist eben genau das Gegenteil, weil man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, um das zu tun, was man einfach tun muss. Genau das ist Miriam Ferstl passiert.

Zu sehen sind ihre erstaunlichen Fotografien derzeit in der Galerie Anaïs in Haidhausen. Unter dem Titel "Divine Light" präsentiert sie dort, hinter Glas und ohne Rahmen, ihre ornamentalen Bilder, deren Wirkkraft darauf gründet, dass sich Ferstl für jede Aufnahme mit ihrer Kamera exakt unter den Mittelpunkt der jeweiligen Lichtquelle gestellt hat. Wie verzierte Eierbecher, bunte Zuckerstangen oder Pralinés sehen diese erst auf den zweiten Blick als Leuchter erkennbaren Objekte aus, die vor dem Hintergrund der jeweiligen Kirchendecke in einem symmetrischen Ganzen aufgehen.

Ein ungewohnter Blickwinkel. Miriam Ferstl fotografiert in Kirchenräumen von unten nach oben.

Oft entpuppen sich die buten Mandalas erst auf den zweiten Blick als Kronleuchter.

In ihrem symmetrischen, geradezu kaleidoskopischen Zusammenspiel aus Licht, ...

... Farben...

... und Formen korrespondieren die Kronleuchter mit der Architektur der Kirchenräume.

Unter dem Titel "Divine Light" sind die Fotografien in der Galerie Anaïs in Haidhausen zu sehen.

"Eigentlich passt Fotografie nicht in unser Programm", erzählt Galerist Gernod Leuthold. Aber das, was Miriam Ferstl hier zeige, habe ihn sofort fasziniert, weil es sich bei diesem Fotoprojekt um ein "Gesamtkunstwerk" handele. Dazu kommt, gesteht der erfahrene Aussteller, dass "Miriam so ein einnehmendes Wesen" habe. Wenn man der 30-Jährigen begegnet, versteht man, was Leuthold meint. Die junge Frau mit dem offenen Blick und dem festen Händedruck trägt ihre Gedanken mit einer großen Lebhaftigkeit vor, in einem leichten Oberpfälzer Zungenschlag. "Künstlerin" - diesen Begriff mag Miriam Ferstl für sich eigentlich gar nicht in Anspruch nehmen. "Ich sehe mich eher als Kunstschaffende in einem Prozess, an dem ganz viele Menschen beteiligt sind." 24 Exponate aus insgesamt 40 Motiven hat Ferstl für ihre Ausstellung ausgewählt, Bilder, hinter denen sich eine große und viele kleine Geschichten verbergen. Angefangen hat alles im Juli 2016, als Miriam Ferstl spontan mit einer Rock-Band, die sie während eines Kroatienurlaubs kennengelernt hatte, als Sängerin auf Tour ging. Das Impulserlebnis für ihr Kunstprojekt hatte sie, als sie in einer von Chormusik erfüllten Kirche zufällig den Blick nicht diagonal, sondern direkt von unten auf den Kronleuchter richtete. "Wie anders der plötzlich aussieht", dachte sie. Dieses Andere, diese neue Facette der Realität hat die Münchnerin sofort gefangen genommen. "Als hätte ich die Liebe des Lebens kennengelernt, so stimmig und richtig fühlte sich dieser Augenblick an", verrät sie.

Zwei weitere Male fuhr Ferstl daraufhin nach Kroatien, zuletzt im vergangenen März. Teils auf Englisch, teils mit Händen und Füßen verständigte sie sich mit Nonnen, Priestern und Dorfbewohnern, um sich Zugang zu den Kirchen zu verschaffen - immer in der Hoffnung, dort einen Kronleuchter zu finden. Die Schlüssel für die Gotteshäuser aufzutreiben, war da oft ein ziemliches Abenteuer. Mal ging die Fotografin allein in eine fremde Wohnung, als sie der Fährte einer Fremdenführerin folgte. Mal läutete sie in einer Kirche versehentlich die Glocken, weil sie den Lichtschalter verwechselt hatte. Und sie traf diesen hilfsbereiten Priester, der zunächst nicht ganz verstand, was es da oben an der Decke seiner Kirche so Faszinierendes zu fotografieren gab.

Ihre Herkunft habe ihr bei diesem Projekt sehr geholfen, erzählt Miriam Ferstl. "Von der Mentalität sind sich die Oberpfälzer und die Bewohner der dalmatinischen Inseln sehr ähnlich - erst zurückhaltend, und wenn sie einmal Vertrauen gefasst haben überaus hilfsbereit."

Divine Light, das göttliche Licht - ein sakraler Raum, eine Lichtquelle und ein ästhetisches Hochgefühl. Das mag sich kitschig anhören, und doch klingt die Geschichte, wenn Miriam Ferstl sie mit ihrer bodenständigen Begeisterung erzählt, ganz selbstverständlich. Bienenwaben, Regentropfen, Blütenkelche oder fragile Skelette - all das kommt einem beim Anblick der Kronleuchter-Motive in den Sinn. In ihrer kaleidoskopartigen Perfektion erinnern sie an jene Kunstwerke der Natur. Doch Miriam Ferstl widerspricht: "In der Natur gibt es keine Perfektion." Dort sei das Perfekte nämlich das Unperfekte. Und so würden auch die Kronleuchter ganz alltägliche Dysbalancen aufweisen: kaputte Halterungen, verloren gegangene Kristallketten, geflickte Kabel - Beschädigungen, die ihrer Schönheit keinen Abbruch tun.

Neun Monate lang hat sich Miriam Ferstl voller Hingabe und Beharrlichkeit ihren Kronleuchtern gewidmet - und das, obwohl sie zu jenen Menschen gehört, die eine Vielzahl an Interessen und Talenten haben: Musik, Malerei, Literatur, Schauspiel und den Job beim Fernsehen. Doch irgendetwas muss sie beflügelt haben. Vielleicht war es dieses ständige Ausloten der Mitte, die Suche nach einem Ort, einer Zeit und einem Zustand, wo die Dinge in ihrer Ordnung sind und sie selbst in einer Ordnung mit den Dingen.

Bis zu einer Stunde habe sie manchmal in den zugigen Kirchen verbracht und die Kamera immer wieder am Mittelpunkt der Kronleuchter ausgerichtet. Und dann war er plötzlich da, der richtige Augenblick, um auf den Auslöser zu drücken. Dieser Moment zwischen zwei Atemzügen, den Miriam Ferstl aus der Meditation kennt, in dem sie die eigene Mitte und die des Lichts durchdrungen hatte.

"Divine Light" von Miriam Ferstl, noch bis zum 3. Juni in der Galerie Anaïs an der Sedanstraße 22 in Haidhausen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 13 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2017
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