Als Familie Semmler schließlich an der Kasse steht, ist doch so einiges zusammen gekommen. Zwei der bordeauxroten Stoffhocker, der praktische, da zusammenklappbare Kofferständer für das Gästezimmer, von dem Siri Semmler, die Familienmutter, so begeistert ist, dazu noch das ein oder andere Accessoire für den Hobbyraum daheim in Germering und natürlich noch die extragroße Matratze für Kimberley, die 17-jährige Tochter. Die stromert mit einer Freundin durch die Lobby, findet dieses und jenes Cocktailglas interessant und muss sich ausnahmsweise mal nicht so viele Gedanken machen, ob das jetzt an ihrem schmalen Teenager-Geldbeutel scheitert. Denn hier gibt’s heute Schleuderpreise, nach dem bewährten Motto: Alles muss raus! Genau gesagt: alles, was mal Hilton München Park war.
Wer es bislang nicht mitbekommen hat: Seit dem letzten Tag des vergangenen Jahres ist das dank der 50 Meter hohen Fassade recht markante Fünf-Sterne-Hotel im Tucherpark Geschichte, nach 52 Jahren. Zu den Olympischen Spielen 1972 war es eröffnet worden, hatte so manchen Star beherbergt, darunter viele Fußballer: Ronaldo, Messi, Mbappé mit Real Madrid und PSG Paris St.Germain in der Neuzeit, auch die DFB-Kicker hatten bei der Heim-WM 2006 mal hier Quartier gemacht.
Nach dem WM-Sieg 1974 sollte im Hilton mit Beckenbauer, Maier, Müller & Co. die große Feier steigen, was dann leider nicht so geklappt hat, weil die Ehefrauen der Helden nicht mit zum Bankett durften, und die halbe Mannschaft daraufhin beleidigt ins P1 weiter zog – mit ihren Frauen. Auch Ariola-Gründer Monti Lüftner, Entdecker und Vermarkter von Whitney Houston, Bob Marley, Udo Jürgens und zig andere Stars, feierten oben im Ballsaal wilde Feste – unvergessen die stundenlangen Siegerehrungen des Monti-Cups, bei denen garantiert niemand ohne Pokal heim ging. Tempi passati.
Seit Jahresende ist das Hotel dicht. Im denkmalgeschützten Tucherpark-Ensemble sollen künftig mehr Wohnungen, Büros und direkt neben dem Hotel ein siebengeschossiges Ärztezentrum entstehen. Nach der Neuentwicklung durch die Eigentümer wird Hilton das Hotel als Teil des „Circular City“-Stadtprojekts weiterführen. Die Umgestaltung - neues Dachrestaurant, Bar mit Panoramablick auf den Englischen Garten, Restaurants und Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss, neue Surfwelle am nahen Eisbach - soll 2029 abgeschlossen sein.
Doch bevor neu gestaltet wird, muss erst mal ausgeräumt werden: in 484 Gästezimmern, Ballsälen, Großküchen, Restaurants, Fitness-, Wellness- und Tagungsräumen sowie in Büros und Kellerkatakomben. Statt alles zum Wertstoffhof zu karren, hat man sich eine schön nachhaltige Lösung überlegt: Abverkauf direkt im Hotel und online, bar oder mit Karte, Selbstabholung, rund 20 Verkaufstage bis Mitte März. Jeden Tag wird frische Ware zur Ansicht in die Lobby geschleppt, die an drei Tagen pro Woche für Schnäppchenjäger geöffnet ist: Dienstag und Donnerstag von 12-18 Uhr, Samstag von 10-16 Uhr.

Psychotherapie:"Wer ständig denkt, zu laut gelacht oder zu viel geredet zu haben, lehnt sich innerlich ab"
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Gemütlich durchs Hotel schlendern ist nicht drin: Betreten darf man als Gast nur die Lobby. Aber da steht und liegt dann alles, was es in Hotels halt so gibt: riesige Servierwagen für 50 Cent, Kopfkissen für zehn Euro, Bettdecken für 25 Euro, Telefone, TV-Bildschirme, Sideboards, Chaiselongues, große Holztische (400 Euro), Sofas zwischen 200 und 500 Euro, Schuhlöffel, Body Lotion und Schuhputzzeug für 50 Cent, Toilettenpapierhalter (acht Euro), kniehohe Kochtöpfe für 59 Euro, gerahmte großformatige Groucho-, Marx- und Orson-Welles-Fotografien, Glastische, Lampen aller Art, ein Meer von Gläsern, Tassen, Tellern, Besteck, auch zwei Ice-Dispenser, allerdings ohne Preisschild sowie mehrere Mini-Bars, mit Preisschild (25 Euro), aber ohne Inhalt. Rätselhaftestes Verkaufsobjekt: in Plastik verpacktes Naturstroh für zwei Euro. Wer weiß, wie man's mal brauchen kann.



Das Publikum: ein paar junge Erst-Einrichter und Kinderwagen-Schieber, Drehstühle liebende Grundschüler, ein offenbar zufällig Vorbeigejoggter, ein älterer Herr mit Bügelbrett unter dem Arm und Bügeleisen in der Hand, kritische Duschkopf-Begutachter, aber in der Mehrzahl eher gut situiertes Bürgertum. Neugierige, die nicht zwingend etwas suchen oder brauchen. So wie das Ehepaar Lippert, das aus Schwabing rüber geradelt ist.
Von 50 Cent bis 20 000 Euro alles dabei
Andreas hat sich gleich mal einen „Chefsessel“ gesichert, wie er seine Neuerwerbung nennt: „Ein Super-Ding, für 100 Euro.“ Vorab hat er aber die Arbeitskollegin angerufen und gefragt, ob man überhaupt eigene Möbel mit ins Büro bringen dürfe. Man befand: Spricht nix dagegen. So wie eigentlich auch gar nichts gegen diese praktische Bain-Marie da drüben spreche: „Wäre ein prima Käsespatzen-Topf“, sagt Andreas Lippert und outet sich damit als Allgäuer, „aber der ist da unten schon kaputt. Ich hab‘ aber drüben bei den Küchen-Sachen noch einen anderen gesehen…“ Oder doch mal einen neuen Kleiderschrank? 220x62x217 Zentimeter, Eiche dunkel, Echtholzfurnier für 300 Euro – wenn das mal kein Schnapper ist! Da kommt der gewaltige Designer-Lüster an der Decke der Lobby schon ein wenig teurer: 20 000 Euro.
„Hier ist einfach für jeden was dabei, vom Sozialhilfeempfänger bis zum Millionär“, sagt Astrid Eilers, deren Firma Twins Company mit der Abwicklung betraut ist. Seit vergangenen Dienstag wird verkauft, und es stelle sich heraus, dass vor allem kleinere Teile am häufigsten über den Ladentisch gehen: „Die Leute sind zum Beispiel regelrecht verrückt nach den Safes“, sagt Eilers und zeigt dahin, wo eben wohl noch sehr viel mehr von diesen 50 Euro teuren Schatzkisten herumstanden. Sind halt nicht irgendwelche Safes, sondern die aus dem guten alten Park Hilton.