Süddeutsche Zeitung

Münchner Hilfsprojekt:Ein Fußballplatz für junge Massai

Wie der Sport für bessere Infrastruktur und Bildung sorgen kann, zeigt das Projekt "Kick for Life". Die Trainer Carsten Altstadt und Matias Blasenbreu helfen in Tansania und haben dabei ihre Leidenschaft für den Fußball wiederentdeckt.

Von Christoph Leischwitz

Über Weihnachten war Josh zu Besuch, und natürlich war er begeistert. Einmal nahmen sie den 27-Jährigen aus Tansania mit in eine Soccerhalle, und Josh verstand gar nicht, dass man normalerweise alle paar Minuten durchwechselt, weil es eigentlich so anstrengend ist. "Der Platz! Der Platz! Ein Traum!", schwärmte er auf Englisch, er wollte einfach nur spielen, spielen, spielen. Matias Blasenbreu, 37, und Carsten Altstadt, 28, schwärmen wiederum von seiner Begeisterung. Sie ist der wichtigste Grund, warum die beiden hauptamtlichen Trainer an diesem Mittwoch wieder in die ostafrikanische Steppe gereist sind.

Frühmorgens ging es nach Amsterdam und von dort zum Flughafen Kilimandscharo, dann rund 60 Kilometer weiter mit dem Jeep durch unwegsames Gelände. Gut 16 Stunden dauert diese Reise, um in dieser komplett anderen Welt anzukommen, in der sie, das wissen sie jetzt schon, vor zwei Jahren eine Lebensaufgabe für sich entdeckt haben.

Ist Fußball wirklich so bedeutsam? Gibt es nicht Wichtigeres zu tun in der Welt? Womöglich beginnt genau an dieser Stelle schon der eurozentristische Fehler, alles besser zu wissen.

Natürlich geht es für zwei Fußballtrainer in einem Gebiet wie jenem zwischen den Nationalparks Arusha und Kilimandscharo erst einmal nur darum, einen neuen Platz zu bauen, mittlerweile den zweiten, sowie Fußballschuhe und Trikots zu verteilen. Aber: "Wenn du ihnen den Ball hinwirfst, da siehst du in den Augen die pure Freude", sagt Altstadt.

Je mehr die beiden von ihrem Projekt sprechen, umso deutlicher treten zwei Dinge zutage: Altstadt und Blasenbreu können tatsächlich viel bewirken. Zweitens: Sie lernen in Tansania so viel über sich selbst und die Heimat, dass Entwicklungshilfe, im eigentlichen Wortsinn, in beide Richtungen fließt.

Eigentlich arbeiten beide für die in Martinsried angesiedelte "Münchner Fußball Schule", Blasenbreu ist einer der Inhaber. Altstadt, unter Fußballern auch bekannt als ehemaliger Torwart des SV Pullach, wurde über die Schwester seiner Freundin auf das Projekt in Tansania aufmerksam.

Vor gut zwei Jahren, mit gerade mal 26, steckte er in einer Phase des Sich-Selbst-Hinterfragens: Was bleibt von dir, wenn du einmal nicht mehr da bist? Wie werden die Menschen später von dir sprechen? Der nächste, wohl entscheidende Schritt, wirklich selbst tätig zu werden, war ein Anruf bei der Schwester der Freundin mit der Frage: "Ich kann ja nicht einmal eine Infusion legen. Was kann ich als Fußballer dort unten tun? Soll ich Kinder trainieren?" Die Antwort lautete: Dafür bräuchten wir erst einmal einen Platz.

Das von ihnen gegründete "Kick for Life" ist ein eigenständiges Projekt, das selbst Spenden sammelt, aktuell ist das Ziel 111 111 Euro - in Anlehnung an elf Freunde, also eine Fußballmannschaft. Nicht nur, um einen Kunstrasenplatz fertigzustellen. Gleichzeitig wird die heimische Wirtschaft unterstützt, zum Beispiel werden handgenähte Fußbälle besorgt, die für den harten Boden sowieso besser geeignet sind.

Fußball als stabiles soziales Netzwerk, das auffängt und Halt gibt

Dieser neue Platz ist Teil von etwas Größerem. Denn "Kick for Life" ist eingebettet in das noch größere Projekt Africa Amini Alama, 2009 von einer österreichischen Ärztin gegründet. Neben Spenden finanziert es sich durch die hiesige Lodge, ein Hotel für Reisende. Für die als Halbnomaden lebende Minderheit der Massai gibt es vor Ort schon ein Krankenhaus, ein Waisenhaus, mehrere Schulen, Ausbildungsplätze. "Fußball soll sozusagen der Anstoß sein, um auf die wichtigen Projekte drumherum aufmerksam zu machen", sagt Altstadt.

Eine Betreuerin erzählte kürzlich am Telefon, einige der Fußballer seien jetzt auch besser in der Schule geworden. Fußball als stabiles soziales Netzwerk also, das auffängt und Halt gibt. Nun soll der neue Kunstrasenplatz noch im Jahr 2021 verlegt werden, "wir beiden großartigen Handwerker machen das", sagt Blasenbreu kurz vor der Abreise und lacht ironisch. Bislang gibt es nur einen steinigen Sandplatz.

Der Ex-Keeper Altstadt hat Riesenrespekt davor, was sich die Kicker dort antun. Der Ort liegt in einem Vulkangebiet, permanente Eruptionen werfen immer wieder Steine auf. "Einer hat vier Narben übereinander, der hat solche Wölbungen hier", Altstadts Hände machen eine runde Bewegung über sein Knie, "und das war ihm egal, der ist wieder gesprungen. Weil er einfach den Ball haben will."

Blasenbreu erzählt vom Kapitän der Schulmannschaft. "Ein unfassbar guter Junge", sagt er, er sei einer von den vielen, die im Waisenhaus aufgewachsen sind, "ich würde den wahnsinnig gerne mal rüberholen und hier in meiner Mannschaft mittrainieren lassen." Und auch, wenn jegliche Taktik fehlt oder die Kinder entweder Flip-Flops oder Schuhe mit Autoreifensohlen anhaben: Die beiden Trainer haben in Tansania ganz offensichtlich etwas entdeckt, was sie auf deutschen Fußballplätzen oft vermissen.

Die "Münchner Fußball Schule" bietet individuelles Training und Videoanalyse für künftige Profis ebenso an wie Breitensportprogramme. Natürlich hat die Corona-Pandemie auch hier Spuren hinterlassen, aber man ist gut im Geschäft. Blasenbreu hat viel Respekt vor Spielern, die Profis werden wollen, aber er bekommt auch hautnah mit, wie verwöhnt hierzulande viele Jugendliche aufwachsen.

Er zählt Klischees auf, die offensichtlich gar keine Klischees sind. Kinder, die mit dem SUV von Eltern zum Training gebracht werden, die in diesem Training wiederum aber nur einen weiteren Termin im Wochenplan sehen; Jugendliche, die andere Jugendliche schief anschauen, weil deren Fußballschuhe unter 100 Euro kosten; Sprüche wie "Das ist ja nicht mal ein Bundesliga-Ball", wo anderswo die besagten Augen leuchten; und vor allem: Individualismus statt Mannschaftsgeist.

"Ich habe bei uns leider das Gefühl, dass man Fußball nur noch spielt, um irgendwas zu erreichen", sagt Blasenbreu. Es gehe also immer weniger darum, mit den Freunden gemeinsam zu spielen und danach ein Bierchen zu trinken, sondern um die Fotos für den Instagram-Account. Dort könne man mit einem Post aus der Kreisklasse niemanden beeindrucken. Also spielten viele Jugendliche nicht mehr in ihrem Heimatort, sondern in der höchstmöglichen Liga, egal, ob sie dort Stammspieler sind oder die Mitspieler überhaupt kennen.

Carsten Altstadt sagt, Josh bezeichnet seine Begeisterung als einen Funken. Dieser Funke könne "die ganze Steppe in Brand setzen", so Joshs Metapher. Blasenbreu spürte an sich selbst schon, dass dieser Funke oft nicht mehr gezündet hat. "Ich mache meine Arbeit nach 20 Jahren ja nicht schlechter, aber deutlich technischer. Wenn ich abends nach Hause komme, denke ich nicht mehr: Ach wie schön, ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht." Doch in Tansania kommt dann plötzlich wieder die Frage auf: Wieso hast du dich damals in den Fußball verliebt?

Altstadt nennt den Fußballplatz im Dorf der Massai den "Mittelpunkt der Gemeinde". Alle treffen sich hier, während Turniere ausgetragen werden, von rund 260 Schülerinnen und Schülern spielt ein Drittel regelmäßig, und Erwachsenenteams von der Berufsschule gibt es ja auch schon. Ein Massai-Team hat kürzlich zum ersten Mal überhaupt einen regionalen Pokalwettbewerb gewonnen. Alt und Jung kommen hier zusammen, alle reden miteinander. Und auf dem Platz darf eben auch der schlechte Kicker mitspielen, denn das Verbindende ist wichtiger: Als Waisenhaus oder als Schulklasse stellt man eben ein Team.

Für Altstadt und Blasenbreu wurde das Projekt in Tansania zum Lebensprojekt

"Zu hundert Prozent", sagt Blasenbreu auf die Frage, ob dies der Antrieb sei für das Projekt in Tansania: Ein Mehrwert für die eigene Gesellschaft, das Bodenständige, das zu Hause verloren geht. Altstadt findet, die große Stärke des Fußballs sei seine Universalität. Es sei egal, welche Sprache man spricht, welche Hautfarbe man hat, wenn es ans Kicken geht. "Josh hat bei uns in der Soccerhalle gespielt, wir bei ihm auf dem Sandplatz, und wir sind Freunde fürs Leben." Für beide, Altstadt wie Blasenbreu, wurde das Projekt in Tansania zum Lebensprojekt.

Zurzeit ist der neue Brunnen ein großes Thema. Er wurde auf dem Gelände gebohrt, auf dem Josh lebt, der kürzlich in Deutschland zu Besuch war. Der Brunnen ist eigentlich fertig, doch ohne einen Filter ist das Brunnenwasser gesundheitsgefährdend. Gut möglich also, dass eine Spende an "Kick for Life" auch diesen Brunnen mit in Gang setzt. Damit die Kinder nicht mehr zehn Kilometer zum nächsten Brunnen laufen müssen, sondern in dieser Zeit in der Schule sitzen und anschließend kicken können.

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