Süddeutsche Zeitung

München:Hilfe beim Ankommen

Wie geht die Bustür auf? Wie funktioniert Gruppenarbeit? Im Peer-to-Peer-Programm der Ludwig-Maximilians-Universität unterstützen Mentoren ausländische Studenten dabei, sich einzugewöhnen

Von Jorid Engler

Er hatte nicht auf den Halteknopf gedrückt. Deshalb fuhr der Bus an der Haltestelle in Starnberg vorbei. Und Anuj Trivedi stieg ein paar Kilometer weiter aus und lief den ganzen Weg zu Fuß zurück. Heute sitzt Trivedi auf dem Balkon seiner Mentorin Julia Wildfeuer und erzählt von seiner Ankunft in München im Oktober vergangenen Jahres. "Ich wusste nicht, dass man den Knopf drücken muss, um aussteigen zu können", erklärt der Student aus Indien, weshalb er früher häufig Umwege in Kauf nehmen musste.

Trivedi studiert an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) im Master "Evolution, Ecology and Systematics". Gemeinsam mit der ungarischen Biologie-Studentin Vanda Marosi nimmt er am "Peer-to-Peer"-Programm (P2P) der Universität teil. Dort sprechen sie mit ihrer Mentorin Wildfeuer über solche kleinen Alltagsprobleme genau wie über Schwierigkeiten in Vorlesungen oder Seminaren. In diesem Programm helfen erfahrene Studenten Studienanfängern oder internationalen Studenten beim Ankommen. Wildfeuer, die gerade an ihrer Doktorarbeit über Schmetterlinge schreibt, hat ihre eigene Auslandserfahrung motiviert, sich im P2P-Programm zu engagieren. "Ein Professor in Australien hat mir einmal gesagt, ich solle einen normalen Essay schreiben. Nur was ist 'normal' in Australien?", schildert sie ihr Schlüsselerlebnis.

Professor Juliana Roth leitet die Interkulturelle Beratungsstelle der Universität. Sie würde Wildfeuer wohl zustimmen, dass "normal" nicht nur von Land zu Land, sondern auch von Universität zu Universität sehr unterschiedlich sein kann. "Ausländische Studierende haben eine andere Vorstellung von Lernprozessen. Man kann nicht dasselbe voraussetzen wie bei deutschen Abiturienten", sagt Roth. Doch genau das sei das Problem: Die Universität habe sich nur auf die deutschen Studenten eingestellt. Dabei sind gut 16 Prozent der knapp 50 000 Studenten an der LMU nichtdeutscher Herkunft. Und diese ausländischen Studenten hätten ganz eigene Bedürfnisse. Dazu zählten nicht nur die Eingewöhnung in kulturspezifische Unterrichtsmethoden wie Gruppenarbeit oder Pro-/Contra-Diskussionen, sondern auch das emotionale Einleben am Campus und in der Stadt.

Deutsche Studenten werden vom Büro des International Office schon in München auf ihren Auslandsaufenthalt vorbereitet. Sie lernen zum Beispiel bei Trainerin Barbara Habermann Strategien gegen den Kulturschock. "Nach ein paar Wochen im Ausland kommt man in ein Tief. Aber wenn man Strategien entwickelt, mit dem Fremdheitsgefühl umzugehen, fühlt man sich wieder wohler", erklärt Habermann. Im Ausland komme man mit den gewohnten Handlungsweisen häufig nicht zum Erfolg. Das hat auch Vanda Marosi, die Teilnehmerin aus dem P2P-Programm, erlebt. Am Anfang fiel es ihr schwer, Öffnungszeiten oder Abgabetermine für Hausarbeiten einzuhalten. Aus Ungarn war Marosi das nicht gewohnt. In solchen Fällen rät die interkulturelle Trainerin Habermann: "Man muss versuchen, das wertfrei zu sehen, und sich fragen, was kann ich machen?"

Marosi fragt sich nicht nur selbst, was sie machen kann, um in ihrem Biologie-Studium in München Erfolg zu haben. Sie sucht auch Rat und Rückhalt bei ihrer Mentorin. Zu Beginn ihres Master-Studiums hatte sie große Sorgen, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, Wildfeuer stärkte ihr den Rücken. "Julia hat mir sehr geholfen. Sie meinte, ich sei nicht die Einzige, die vor Referaten nervös ist, und hat mir gute Tipps für meine Power-Point-Präsentation gegeben", erinnert sich Marosi.

Ihre Hausarbeit hat Vanda Marosi dann doch rechtzeitig innerhalb der vorgeschriebenen Frist eingereicht, so wie es in Deutschland üblich ist. Und danach hat sie sich mit ihrer türkischen Freundin, die sie hier kennengelernt hat, über die strengen Regeln lustig gemacht.

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Quelle:
SZ vom 01.06.2018
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