Gesundheit:Dieser Kasten birgt Hoffnung für Heuschnupfen-Geplagte

Pollenmessstation, Biedersteiner 29, auf dem Gelände der Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie

Bayern hat angeblich das weltweit erste elektronische Polleninformationsnetzwerk installiert. Der BAA500 ist Teil davon.

(Foto: Florian Peljak)
  • Am Rande des Englischen Gartens in München steht seit kurzem ein "Roboter-Pollenmonitor".
  • Das Gerät ist Teil eines großen Netzwerks und soll dazu beitragen, Allergiker besser als bisher über den Pollenflug zu informieren.
  • Alle dadurch gesammelten Daten sollen frei verfügbar sein.

Von Stefan Simon

Normen gibt es für fast alles, sogar für die Frage, wie viel Luft man sich mit anderen Menschen teilen muss. In öffentlichen Verkehrsmitteln sind in Stoßzeiten schon mal vier Erwachsene pro Kubikmeter erlaubt, das klingt und ist recht eng, lässt sich aber zumeist ertragen. Probleme gibt es eher, wenn sich der Mensch seinen Kubikmeter Luft mit einer gewissen Anzahl Pollen teilen muss. Dafür gibt es, zum Bedauern vieler, keine gesetzliche Höchstgrenze, aber eine Diagnose, und die heißt: Allergie.

Zurzeit sind es die Pollen von Gräsern, Linden und Brennnesseln, die Betroffene in München zu Tropfen und Sprays, Tabletten und Taschentüchern greifen lassen. Jeder Siebte leidet an einer Überreaktion der Immunabwehr auf die eigentlich harmlosen Luftpartikel, allein in der Landeshauptstadt leben also mehr als 200 000 Patienten. Es kommt zu Entzündungen im Körper, die häufig unterschätzt werden. Offensichtlich sind Niesattacken, rote Augen und Fließschnupfen. Viele Allergiker fühlen sich ausgelaugt, sie schlafen schlecht, sind unkonzentriert und allgemein weniger leistungsfähig. Nicht selten führen Allergien auch zu Asthma.

In Schwabing wird deshalb jetzt genau nachgezählt: 43 Brennnessel-, 46 Gräser- und 107 Lindenpollen pro Kubikmeter Luft - das waren die Höchstwerte in der vergangenen Woche, erfasst an einer Station der Technischen Universität (TU) an der Biedersteiner Straße. Seit einem Monat liefert dort ein "Roboter-Pollenmonitor" Daten, mit denen sich Patienten präziser als bisher informieren können. Die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) stellte sich Ende Mai für ein Foto neben den Kasten und dabei gleichzeitig den Zweck vor, dem er dient. Es gehe um nicht weniger als "das weltweit erste elektronische Polleninformationsnetzwerk". Für Allergiker "bricht eine neue Ära an", versprach Huml. Der Roboter am Rand des Englischen Gartens tut sein Möglichstes, dieses Versprechen zu erfüllen.

Dabei klingt Roboter aufregender, als es auf den ersten Blick wirkt. Der BAA 500, so heißt der Apparat mit bürgerlichem Namen, ist eine voll automatisierte Pollenfalle - immerhin das macht ihn tatsächlich ein bisschen aufregend. Pollen wurden seit den Fünfzigerjahren stets von Hand gezählt, von wissenschaftlichen Fleißarbeitern, die an Mikroskopen saßen. So ein Pollenkorn ist zehn bis 100 Mikrometer groß, und es ist nicht damit getan, es einfach nur zu finden. Man sollte schon auch wissen, was man da gerade vor sich hat: Birke oder Esche, Gräser oder Eiche?

Keine leichte Aufgabe, das müssen Maschinen genauso lernen wie Menschen. Forscher am Münchner Zentrum für Allergie und Umwelt (ZAUM), gegründet von der TU und dem im Münchner Norden ansässigen Helmholtz-Zentrum, haben den BAA 500 lange getestet. Die Herstellerfirma Hund hat es hinbekommen: ein vollautomatisch arbeitendes Lichtmikroskop, eine hochauflösende Kamera, eine Datenbank voller Pollenkörnerfotos und dazu eine Art Gesichtserkennungssoftware - fertig war der Robo-Pollenkontrolleur. Acht solche Geräte gibt es nun in Bayern, sie speisen das elektronische Polleninformationsnetzwerk. Die Auswertung liegt nach drei Stunden vor, früher dauerte das oft Tage. Alle Daten sind frei verfügbar, beim Landesamt für Umwelt und Lebensmittelsicherheit (LGL), das das Netzwerk betreibt, und beim ZAUM, das zusätzliche, sehr viel detailliertere Werte für München und die sieben anderen Standorte zur Verfügung stellt.

Erfahrene Allergiker könnten nun fragen, was das soll. Wer an Heuschnupfen leidet, kennt den Blühkalender, und wer seine Antihistaminika zu spät nimmt, ist ein bisschen auch selber schuld, wenn es ihm unnötig schlecht geht. Pollenflug kommt einerseits nicht viel überraschender als Frühjahr oder Sommer. Andererseits ist aber die Allergieforschung ein weites Feld. Schon die Frage, ab welchen Pollenkonzentrationen Symptome auftreten, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Die Faustformel lautet: Leichte Beschwerden ab 30 Pollen pro Kubikmeter und richtige Beschwerden ab 100. Daran können sich Betroffene beim Blick in die neuen Online-Daten zwar orientieren, mehr aber auch nicht.

"Zum jetzigen Zeitpunkt können keine ausreichend gesicherten Aussagen zum Zusammenhang zwischen einer bestimmten Pollenkonzentration und dem Auftreten von Symptomen bei den betroffenen Allergikern getroffen werden", warnt das LGL. "Jeder Allergiker reagiert individuell auf den Pollenflug", der Allergengehalt einzelner Pollenkörner derselben Art könne verschieden sein, und Symptome könnten mit Pollenkonzentrationen aus zurückliegenden Tagen zusammenhängen.

Das ist der zweite Zweck des Netzwerks: aus den Daten zu lernen. Es ist deshalb Teil der bayerischen "Klimaanpassungsstrategie". In der geht es darum, möglichst früh Risiken für Hochwasser, Dürre oder sogenannte Geogefahren wie Hangrutsche und Steinschläge zu erkennen. Bessere Informationen über die Pollenpegel von heute kämen in Zukunft "sowohl Allergikern als auch der allergie- und gesundheitsbezogenen Klimaforschung zugute", hofft LGL-Präsident Andreas Zapf. Für Jeroen Buters vom ZAUM "ein großer Fortschritt für die Allergieprävention und die zukünftige Forschung". Neue Erkenntnisse und womöglich sogar neue Therapieformen werden zwar sicher etwas dauern. Bis dahin kann es aber zumindest nicht schaden, nachsehen zu können, mit wie vielen Pollen man sich in München die Luft gerade teilen muss.

Aktuelle Werte: pollenflug.bayern.de oder zaum-online.de/pollen/pollen-counts-munich.html

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