Herbst in München:Lasst den Kürbis in Frieden!

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In sämtlichen gastronomischen Einrichtungen Münchens muss man es im Moment mit dem Kürbis aufnehmen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Stadt befindet sich derzeit in der Kürbis-Periode. Er wird gekocht, geschnitzt, fotografiert und zu Pyramiden aufgeschichtet. Gerade jetzt sollte man sich eingestehen, was der Kürbis wirklich ist.

Glosse von Christiane Lutz

Der Münchner Jahreskreislauf hat bekanntlich ein paar Saisons mehr als der anderer Regionen. Es gibt außer den herkömmlichen vier Jahreszeiten noch die Wiesn-Zeit, die After-Wiesn-Erkältungszeit, dann natürlich die "Liegt noch Schnee auf den Bergen oder kann man schon wandern?"-Wochen und die "Oh nein, Semesterbeginn, Wohnungsmarkt noch irrer"-Phase.

Aktuell befindet sich die Stadt in der Kürbis-Periode. Im Landkreis Aichach bei Augsburg jubelt man über den schwersten Kürbis, der in diesem Jahr bei den deutschen Meisterschaften geehrt wurde: 690 Kilo. Auf dem Viktualienmarkt fand das Kürbisfest statt, man konnte der "Kürbis-Päpstin" die Hand schütteln und sich die Sonderlinge in all ihren Ausprägungen anschauen. München trägt orange.

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Die Kürbis-Periode zu zelebrieren ist nicht wesentlich unkomplizierter, als Weihnachten zu feiern. Es gibt viel zu tun. In sämtlichen gastronomischen Einrichtungen muss man es jetzt mit dem Kürbis aufnehmen. Er kommt zur Lasagne geschichtet, in Risotti gerührt, als Kürbisschnitzel, als Kürbispommes, veganes Schoko-Kürbis-Crossie. Magazine werben mit "12 faszinierenden Kürbis-Rezepten", die man nachkochen muss. Für Träge bieten viele Münchner Obsthändler Kürbisse inzwischen schon klein geschnibbelt in Tüten an, weil er sich mit dem herkömmlichen Haushaltsmesser nur mühsam bezwingen lässt.

Wer Kinder hat, erlebt noch eine ganz andere Dimension der Kürbis-Periode. Er muss die störrischen Biester vor Halloween schnell noch aushöhlen, den orangen Schmodder entsorgen und ein gruseliges Gesicht hinein schnitzen, weil die Amerikaner das auch so machen.

Frauen rekeln sich gern vor Kürbishaufen

Auf Instagram, wo man die Welt bekanntlich so sieht, wie sie wirklich ist, heißt der Trend: Posieren mit Kürbisgewächs. Frauen rekeln sich gern vor Kürbishaufen, geben dem Kürbis Bussis, halten sich, wie kess, zwei Kürbisse vor die Brüste. Hashtag "Kürbisliebe". Unter manchen Beiträgen tauschen sie sich darüber aus, wie man am besten mit Kürbissen posiert (lieber mit mehreren kleinen als wenigen großen). Sogenannte Erlebnisbauernhöfe im Münchner Umland schichten Kürbisse zu gigantischen Pyramiden auf, das sieht dann gleich noch besser aus. Nimm das, Spargel!

Allerdings: Wenn Menschen anfangen, Lebensmittel zu Pyramiden aufzutürmen und sich davor zu fotografieren, ist vielleicht der Moment gekommen, sich kritisch mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. Jetzt täte es Not, einzugestehen, dass der Kürbis ist, was er ist: fad, unpraktisch, unansehnlich und überbewertet. Wer nach Halloween schon mal einen zur Schimmelhölle vergammelten Gruselkürbis entsorgen musste, weiß, was gemeint ist.

Und wenn man ehrlich ist, müssen die meisten Kürbisse doch trotz besten kulinarischen Vorsätzen kurz vor ihrem Verfall dann doch zu einer langweiligen Suppe notpüriert werden. Man sollte die Dinger einfach unbeachtet in Frieden ihr oranges Dasein fristen lassen. Denn am Horizont, da zieht doch schon der nächste Höhepunkt des Münchner Jahreskreises auf, die "Igitt, alles klebt Glühwein"-Wochen.

© SZ vom 31.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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