Süddeutsche Zeitung

Prozess in München:Bandenkrieg vor Gericht

Lesezeit: 2 Min.

Von Susi Wimmer

Die Verhandlung hat noch gar nicht begonnen, da droht schon die Eskalation: Binnen einer Sekunde ist der halbe Zuschauerraum leer, Sympathisanten der Rockergruppierung Hells Angels stürmen auf den Gang, wo ein Rivale mutmaßlich Bilder mit dem Handy von ihnen aufnimmt. Der Mann ist eines der Opfer und hält das Handy weiter in Richtung Zuschauerreihen, als er den Gerichtssaal betritt. Polizei und Justizwachtmeister haben alle Hände voll zu tun, die Situation zu beruhigen. Und als Staatsanwalt Laurent Lafleur später noch mit eingreift, ruft ihm ein Hells Angels zu: "Ey Staatsanwalt, lassen Sie in frei, er ist mein Bruder, unschuldig."

Der Staatsanwalt allerdings ist in diesem Fall anderer Meinung. Ansonsten hätte er kaum Khaled B. des zweifachen versuchten Mordes vor dem Landgericht München I angeklagt. Der 39-jährige Deutsch-Libanese soll in der Nacht zum 2. Mai 2015 im Crowns Club nacheinander zwei Brüdern einer verfeindeten Gruppe sein Messer in den Bauch gerammt haben. Beide konnten nur durch Notoperationen gerettet werden. Wenige Minuten nach der Tat, so die Anklageschrift, verließ Khaled B. das Gelände, fuhr zu seiner Wohnung in Karlsfeld und setzte sich über Salzburg in die Türkei und in den Libanon ab. Obwohl er wusste, dass ein Haftbefehl gegen ihn bestand, reiste Khaled B. Ende November 2018 sogar mit Ankündigung an die Behörden wieder ein und ließ sich inhaftieren.

Der Zuschauerraum gleicht einem brodelnden Kessel. Männer mit aufgepumpten, tätowierten Körpern, viele in Trainingshosen, schnauben und rutschen unruhig auf ihren Klappsitzen. Die Spannung im Raum ist schon greifbar, nur der Angeklagte selbst grinst, schnalzt mit der Zunge in Richtung seiner "Brüder", ein paar schnalzen zurück. Er schwingt eine Fanta-Flasche und ruft: "Wodka!" Als der Vorsitzende Richter Norbert Riedmann schließlich die Verhandlung eröffnet, setzt es erst einmal eine Standpauke. Das Gericht sei nicht der geeignete Ort, um Auseinandersetzungen weiterzutreiben, sagt er.

Khaled B., ein Mann in Karohemd und mit Glatze, poliert fein säuberlich seine Brillengläser, dann erklärt sein Verteidiger Adam Ahmed, dass es nicht richtig sei, dass B. "ein Messer oder einen anderen spitz zulaufenden Gegenstand" in jener Nacht eingesetzt habe. Mehr nicht. Den Behörden zufolge gibt es in München heute keine organisierten Hells Angels mehr, auch wenn sich im Gericht 40 bis 50 Männer drängen.

Eines ihrer bevorzugten Lokale war oder ist der Crowns Club an der Rosenheimer Straße. Dort feierten am 1. Mai etwa 20 Mann bei den "Istanbul Nights" einen Geburtstag, und als die Brüder, einer soll den Black Jackets angehört haben, mit Freunden gegen 2.40 Uhr in den Club kamen, brannte die Luft. Zwischen den Gruppen gab es schon früher körperliche Auseinandersetzungen. Jetzt flogen erst Gläser, dann Flaschen. Die Brüder und ihre Gruppe flüchteten, die Hells Angels setzten hinterher, so die Anklage. Auf der Treppe soll Khaled B. einem der Brüder ein Messer in den Bauch gestoßen haben. Wenige Minuten später stürmte eine Gruppe der Hells Angels auf die Straße, um nach weiteren Kontrahenten zu suchen. Man fand den anderen Bruder, ihm soll Khaled B. das Messer acht Zentimeter tief in den Bauch gestoßen haben. Von den Taten gibt es Videos aus der Überwachungskamera.

Eigentlich sollten am ersten Verhandlungstag die Opfer aussagen. Riedmann lässt die Öffentlichkeit kurz ausschließen, dann will die Nebenklage aufgrund der aufgeheizten Stimmung die Befragung verschieben. Der Verhandlung wird am Montag fortgesetzt.

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Quelle:
SZ vom 13.11.2019
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