Kritik:Eine Laune der Struktur

Wenn der Rahmen stimmt: Nach dem Konzert-Abbruch in Augsburg überzieht Helge Schneider bei der München-Premiere von "Let's Lach!".

Von Oliver Hochkeppel, München

Mancher wurde vielleicht schon nervös: 19.38 Uhr war es, und noch tat sich nichts, obwohl sie doch um 19.30 Uhr losgehen sollte, die München-Premiere von Helge Schneider mit seinem neuen Programm "Let's Lach!" Normalerweise sind ein paar Minuten Verspätung kein Grund, nervös zu werden. Doch tags zuvor hatte die Meldung, dass Schneider sein Konzert in Augsburg nach einer halben Stunde abgebrochen hatte, selbst Unwetterkatastrophen und Corona aus den Schlagzeilen verdrängt. In München freilich standen die Wohnmobile mit Mülheimer Kennzeichen nicht umsonst hinter der Bühne im Innenhof des Deutschen Museums. Um 19.39 also betrat Schneider samt "Teekoch" und Diener Bodo, dem Gitarristen Sandro Giampietro und "Charlie the Flash" am Schlagzeug (sein souverän trommelnder elfjähriger Sohn) die Bühne, hieß alle willkommen und sagte dann: "Das war's für heute."

Ein "kleiner Spaß" natürlich, nach dem es mit dem Blues vom Papst losging, der nirgendwo hingehen kann, weil er überall erkannt wird. Und der deshalb, so die Song-Pointe, "zuhause bei seiner Frau bleibt". Immer wieder fand Schneider im weiteren Verlauf Gelegenheit, auf Augsburg anzuspielen, nach dem Muster: "Ich bin total kaputt. Manch anderer Star würde da aufhören." Konkreter musste er nicht werden, lieferte doch der Auftritt selbst die beste Erklärung. Schneider machte genau dasselbe, was er seit Jahrzehnten macht: Eine herrliche Alberei, dessen Grundlage der Geist des Jazz ist. Natürlich hat Helge Schneider ein "Arrangement", also ein vorbereitetes Song-Repertoire und einen Fundus an Punchlines und Wortspielereien ("Oh, jetzt hab' ich mich versongen, ich versung mich"). Aber zum Leben erwacht das Ganze erst durch die Improvisation. Wenn Schneider Nachzügler ins Programm einbaut, auf die Glocken der Turmuhr reagiert, das Hof-Interieur mit lustiger Lyrik aufgreift, und den spontanen Wechsel der verschiedensten Instrumente ebenso wie Slapstick-Einlagen und Aphorismen ganz offensichtlich von der Stimmung der Leute steuern lässt.

Er braucht die Energie im Raum

Wie der Jazzmusiker - und das ist er eben in letzter Konsequenz vor allem - braucht auch der Entertainer Helge Schneider den Zwischenapplaus, die Lacher, die Energie im Raum. Dass es deshalb keine gute Idee ist, auf einer fünf Meter hohen Bühne vor weit verstreuten Strandkörben zu spielen, aus denen so gut wie nichts zurückkommt und vor denen ständig Bedienungen herumrennen (wie es in Augsburg nach Schneiders Darstellung war), hätte - und das darf man ihm wohl vorwerfen - Schneider vorher selbst wissen können. Nicht ohne Grund hat er zu Lockdown-Zeiten auf Autokino-Notauftritte verzichtet. Mindestens so gut hätte es aber ein kundiger Veranstalter wissen müssen. Dass man sich beim Augsburger Strandkorb-Festival gut mit Corona, aber schlecht mit Schneider auskennt, zeigt auch der Vorwurf, für die fehlende Stimmung solle sich Schneider an die eigene Nase fassen. Statt beleidigt zu sein und Anwälte einzuschalten, sollte man sich lieber um einen Nachholtermin unter vernünftigen Bedingungen kümmern, wie ihn Schneider schon angeboten hat.

Da läuft es dann im Idealfall wie in München, wo Schneider so munter wirkte wie selten und die maximalen eineinhalb Stunden weit überzog. Das - natürlich komisch überspitzte - Fazit hatte er schon ziemlich am Anfang selbst gezogen: "So macht's doch wieder Spaß. Corona ist vorbei."

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