Süddeutsche Zeitung

Bürgerentscheid:Der Kohleausstieg ist komplizierter als "Ja" oder "Nein"

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Die entscheidenden Informationen lagen schon beim Bürgerentscheid 2017 auf dem Tisch. Nun wird das Votum für die Stilllegung des Heizkraftwerks in Unterföhring von der Realität eingeholt.

Kommentar von Dominik Hutter

Es hat so kommen müssen. Die entscheidenden Informationen lagen längst auf dem Tisch, als die Münchner im November 2017 zum Anti-Steinkohle-Bürgerentscheid aufgerufen wurden. Man hätte sie nur lesen müssen - und vor allem auch akzeptieren, daran haperte es wohl vor allem. Es war bekannt, dass sich Engpässe in der Wärmeversorgung abzeichnen. Und es war bekannt, dass die Stilllegung des Kohleblocks wohl durch ein Veto der Bundesnetzagentur verhindert wird.

Die Befürworter des Bürgerentscheids aber focht das nicht an. Es galt, einen politischen Sieg einzufahren. Man kann getrost anzweifeln, dass sich das Gros der Münchner Ja-Fraktion ernsthaft mit allen Details der Ausstiegsaktion beschäftigt hat. Mit der Münchner Versorgungssicherheit, mit dem Prinzip der Systemrelevanz und mit den Tücken der Umstellung eines Fernwärmenetzes von Dampf auf Heißwasser. Zugegeben: Das alles ist kompliziert und im Alltag nicht wirklich wichtig. Nur waren das halt exakt die Probleme, die zwingend aus einem solchen Votum resultieren.

Vermutlich wollten die meisten Ausstiegs-Befürworter ein Zeichen setzen - für Klimaschutz und gegen die weitere Verbrennung von Kohle. Das ist vollkommen legitim. Nur: Tatsächlich zur Abstimmung stand keine Absichtserklärung, sondern eine radikale Stilllegung eines Kraftwerks mit allen Konsequenzen. Und ohne jede Chance zum Kompromiss, etwa durch die Wahl eines etwas späteren Ausstiegszeitpunkts - bei Bürgerentscheiden gibt es nur Ja und Nein. Zur Erinnerung: Im Rathaus war die Stilllegung zwischen 2027 und 2029 ohnehin vereinbart. Auch das war bereits vor dem Bürgerentscheid bekannt.

Nun liegt eine Art Kompromiss vor: Aussteigen, sobald es rechtlich möglich und vertretbar ist. Und bis dahin wird weniger Kohle verbrannt als eigentlich geplant. Formal wirkt das Ganze wie ein Bruch des Bürgervotums von 2017 (das aber streng genommen ohnehin nur für ein Jahr bindend war). Ein solcher Vorwurf wäre jedoch wohlfeil. Es geht schlicht nicht anders. Willkommen in der Realität!

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Quelle:
SZ vom 04.07.2019
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