Kohleausstieg:Streit ums Heizkraftwerk

Heizkraftwerk München Nord in Unterföhring, 2015

Das Feuer im Brennkessel des Heizkraftwerks Nord wird wohl noch länger brennen, als sich Kohlegegner das wünschen.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Durch das Abschalten des Kohleblocks des Heizkraftwerks im Münchner Norden könnte es nach einem Gutachten des TÜV Süd zu Versorgungsengpässen kommen.
  • Die Fernwärmeversorgung einiger Haushalte könnte gefährdet sein.
  • Im Stadtrat wird das Thema kontrovers diskutiert: Eine Mehrheit im Rathaus will das Kraftwerk bis 2028 am Netz lassen, die ÖDP jedoch pocht auf eine Stilllegung 2022, wie es in einem Bürgerentscheid beschlossen wurde.

Von Dominik Hutter

Die Lichter würden wohl nicht ausgehen, falls das Kohlekraftwerk im Münchner Norden 2022 vom Netz ginge. Aber wenn es dumm liefe, könnte in einigen Wohnzimmern die Heizung kalt bleiben. Zu diesem Ergebnis kommt ein vom Stadtrat in Auftrag gegebenes Gutachten des TÜV Süd. Die Experten bestätigen damit im Wesentlichen die bisherige Linie der Rathausmehrheit sowie der Stadtwerke, die die Anlage im Vorort Unterföhring noch bis 2028 im gedrosselten Betrieb weiterlaufen lassen wollen. Folgt der Stadtrat dieser Einschätzung, liefe der Bürgerentscheid von 2017, der eine Stilllegung bis Ende 2022 vorsah, ins Leere. Juristisch ist das möglich, da Bürgerentscheide nur für ein Jahr bindend sind. Politisch gilt es jedoch als heikel.

Die Initiatoren des Bürgerentscheids melden denn auch Widerstand gegen das Gutachten an, das am Dienstag auf der Tagesordnung im Wirtschaftsausschuss des Stadtrats steht. "Das Ergebnis überrascht mich nicht", erklärt Münchens ÖDP-Chef Thomas Prudlo. "Falsche Fragen führen zu entsprechenden Antworten." Franziska Buch vom Umweltinstitut München kündigt an, einige Aussagen des Gutachtens unabhängig überprüfen zu lassen. "Auf dieser Grundlage kann der Stadtrat keine Entscheidung treffen", erklärt Buch. Man werde das Öko-Institut, das sich bereits in der Vergangenheit mit dem Kraftwerk Nord beschäftigt hatte, mit einer entsprechenden Expertise beauftragen.

Die großen Fraktionen im Rathaus haben sich nach eigener Aussage noch nicht abschließend festgelegt und wollen erst noch Gespräche mit den Organisatoren des Bürgerentscheids führen. Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht, falls tatsächlich schon am Dienstag im Ausschuss abgestimmt werden soll. Es gilt daher als wahrscheinlich, dass die Stadtratsdebatte in den November vertagt wird. Bis dahin erwartet sich die ÖDP Antworten auf einen Katalog mit kritischen Nachfragen, der gerade erarbeitet wird und demnächst im Wirtschaftsreferat eingereicht werden soll. Die Stadt müsse eine neue Expertise in Auftrag geben - diesmal aber mit den richtigen Fragen.

Dass das Kraftwerk München-Nord nicht einfach 2022 vom Netz gehen kann, steht für die Gutachter außer Frage. Denn vor einer solchen Stilllegung muss die Bundesnetzagentur prüfen, ob die Anlage für die deutsche Stromversorgung systemrelevant ist. Der Netzbetreiber Tennet hat die Stadtwerke bereits informiert, dass eine solche Einstufung und damit ein Veto zu erwarten wäre. Allerdings wäre es dann immer noch möglich, die Anlage in Reserve betriebsbereit zu halten.

Nur: Dann steht sie nicht mehr uneingeschränkt für die Fernwärmeversorgung zur Verfügung - was nach Einschätzung der Stadtwerke wie auch der TÜV-Gutachter die Versorgungssicherheit in den Wintermonaten gefährdet. Im Ernstfall müsse das Kraftwerk innerhalb kurzer Zeit hochgefahren werden können. Tatsächlich dauert es jedoch acht Stunden, bis der Kessel die volle Leistung erreicht. Ohnehin würden die Stadtwerke aber bei einer Überführung in die Netzreserve die Hoheit über die Anlage an die Bundesnetzagentur abgeben müssen, die sich ausschließlich auf die Stromversorgung konzentriert.

"Warum wird diese Zahl geheimgehalten?"

Die Frage, ob die Fernwärmeversorgung auch ohne den Kohleblock gesichert ist, zählt von Anfang an zu den Kernfragen der Debatte. Die Verfechter des Bürgerentscheids hatten kalkuliert, dass auch nach der Stilllegung noch ein kleines Polster von 35 Megawatt thermischer Energie vorhanden ist. Laut den TÜV-Gutachtern ist diese Rechnung jedoch fehlerhaft. Tatsächlich entstehe eine Lücke von 339 bis 520 Megawatt, die eine Abschaltung unmöglich mache. Gerechnet wird stets der Extremfall: zwei aufeinanderfolgende Tage mit einer Durchschnittstemperatur von minus 16 Grad - bei gleichzeitigem unerwartetem Ausfall der leistungsstärksten Anlage, also des Kraftwerks Süd.

Thomas Prudlo hat allerdings Zweifel, dass in München in der Spitze tatsächlich so viel Fernwärme benötigt wird, wie die Stadtwerke immer wieder behaupten. Er glaubt also, dass schon die Grundannahme der ganzen Rechnung nicht stimmt, und fordert daher Einblick in die entsprechenden Statistiken des Unternehmens. "Warum wird diese Zahl geheimgehalten?", ärgert sich der ÖDP-Mann. Zudem hätten die Gutachter keinesfalls alle Alternativen für einen gedrosselten Betrieb untersucht, sondern vor allem die Szenarien der Stadtwerke berücksichtigt. Prudlo hält es für denkbar, den Kessel auf niedrigster Stufe mit Gas warmzuhalten, so dass er bei hohem Wärmebedarf schnell hochfahren kann.

Die TÜV-Gutachter empfehlen jedoch das Szenario der Stadtwerke, mit dem im Vergleich zum ursprünglich geplanten Weiterbetrieb bis 2035 rund 35 Prozent der Kohlendioxid-Emissionen eingespart werden könnten: 60 Prozent Betrieb im Winter, im Sommer zwölf Wochen Stillstand. In den übrigen Monaten liefe die Anlage mit 24 Prozent. Eine längere Stillstandszeit, so die Stadtwerke, verursache Schäden an der eigentlich auf Dauerbetrieb ausgerichteten Anlage.

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