Heio von Stetten:"Ich habe früh mitgekriegt, dass die Welt nicht planbar ist"

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Heio von Stetten ist dauerpräsent im Fernsehen. Er spielt in Pilcher-Schmonzetten und Filmen über illegalen Waffenhandel. Er gilt als vielseitig. Aber was ist mit dem Ruhm?

Von Gerhard Fischer

Es kommt vor, dass man am Sonntagabend unzufrieden mit dem Tatort ist. Man könnte dann, wenn man unerschrocken ist, zu Inga Lindström wechseln. Deutsche Schauspieler lustwandeln im ZDF auf schwedischen Schären und wohnen in roten Holzhäusern. Die Schweden selbst sagen über Inga Lindström: In diesem Land, das da gezeigt wird, würden wir auch gerne leben - da ist immer schönes Wetter, da geht alles gut aus. Manchmal kommt am Sonntagabend auch Rosamunde Pilcher. Und wer spazierte da vor einigen Wochen ins Bild, als man vom Tatort zum Zweiten hinüber zappte? Heio von Stetten. Er züchtete - vor der großartigen Kulisse Cornwalls - Alpakas und kämpfte mit den Sorgen eines älteren Herrn, der eine viel jüngere Frau hat. Man blieb hängen.

Stetten kommt schon sehr lange ins Bild, wenn man durch das Fernsehprogramm zappt. Seit 25 Jahren? Seit 30 Jahren? Fast jeder kennt dieses schmale Gesicht mit der markanten Nase. Und diese behagliche Stimme. Aber kann man eine Rolle von ihm nennen? Oder einen Filmtitel?

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Heio von Stetten, 59, kommt mit dem Fahrrad zum Stadtcafé. Er lebt seit 1982 in München. Stetten schließt das Rad ab, nimmt seine Mütze ab und setzt sich an einen Tisch vor dem Gebäude. Es ist noch warm an diesem Oktobernachmittag. Dann redet er über alte Kneipen, welche die Zeit überdauert haben, das Faun in der Hans-Sachs-Straße zum Beispiel. Und er spricht darüber, welche Anstrengungen Sender früher unternommen haben, um einen Film oder eine Serie zu promoten. Schauspieler und "100 Journalisten" seien für ein Projekt durch die ganze Welt gekarrt worden. Heute fehle das Geld. Und die Zeit. Und das Internet mache das Brimborium ohnehin überflüssig.

Stetten ist sofort drin im Gespräch. Als würde er sich an seinen Stammtisch setzen. Er sagt, dass er im November - zusammen mit einer Kollegin - einen Abend über Fontane machen werde. Und dass er als Schauspieler früher Regisseuren gegenüber "impulsiver mit Änderungsvorschlägen" gewesen sei. Heute probiere er erst mal aus, was vorgeschlagen werde. "Figuren können auch überraschen." Als das Foto gemacht wird, zieht er seinen Gehrock an. Das passt irgendwie, er ist ja adelig.

Stetten kommt aus der Nähe von Aystetten, das liegt einige Kilometer nordwestlich von Augsburg. Stetten und Aystetten? "Das hat keinen Bezug", sagt er. "Das ist erstaunlich. Darüber habe ich mich auch immer gewundert." Anna Barbara von Stetten, eine seiner Vorfahrinnen, hat im 18. Jahrhundert in Augsburg die Bürgerliche Töchterschule gestiftet; erstmals konnten damit protestantische Frauen in Augsburg eine höhere Bildung erlangen.

Stetten kommt aus Aystetten - mit seinem Namen hat der Ort trotzdem nichts zu tun

Heio von Stettens Bruder verwaltet heute das Stammschloss der Familie in Aystetten. Früher war es ein Bauernhof, den der Vater betrieb. Die sechs Kinder mussten mit anpacken. "Mit zwölf habe ich Traktorfahren gelernt", sagt Stetten. "Wir hatten Milchvieh, Hühner und Pferde - ich hatte mal eine Phase, in der ich Tierarzt werden wollte." Einmal rettete er einem Schaf das Leben.

Man könnte jetzt darüber reden, warum er nicht Tierarzt, sondern Schauspieler wurde; und dann könnte man, nach gut 30 Minuten Gespräch vor dem Stadtcafé, über seine Karriere sprechen. Aber Heio von Stetten ist so richtig im Erzählen drin, man will ihn nicht stoppen.

Er sei als Teenager im Fußballverein gewesen, sagt er. "Und da hatten wir eine tragische Spielerschrumpfung." Bitte? "Als die Jungen 16 wurden, kauften sie sich Zündapp-Mopeds oder die 50er Herkules", erzählt Stetten. "Es gab keine Helmpflicht, die halbe Mannschaft ist tödlich verunglückt." Er selbst hatte kein Moped. "Wer hätte das zahlen sollen? Wir waren keine reichen Gutsbesitzer. Wir hatten alles, was wir brauchten, aber nichts, was wir nicht brauchten."

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Manche Jahre liefen gut, manche schlecht. Kann man - in dieser Hinsicht - die Arbeit auf dem Hof mit der Arbeit als Schauspieler vergleichen? "Ich habe früh mitgekriegt, dass die Welt nicht planbar ist", sagt Stetten. "Und dass man trotzdem nicht den Spaß verliert - gemeinsam Feiern ging auf dem Hof immer."

Er lächelt. Entweder ist er gut darin, Lebensfreude zu vermitteln. Oder er hat sie wirklich.

Stetten sagt, er habe sich bald für das Künstlerische interessiert. Fotografie. Architektur. Zeichnen. Auch das Lesen kam dazu. Er hatte als Kind nie ein Buch in der Hand gehabt - auch deshalb, weil er eine seltene Lese-Schreibstörung hatte. Er hat sie sozusagen selbst behoben, indem er sich durch Tolstois "Krieg und Frieden" kämpfte. Stetten hat dann an der Schule in einer Komödie von Aristophanes mitgespielt. Er spürte ein Gemeinschaftsgefühl, wie auf dem Hof. Außerdem habe es Spaß gemacht, "die geschriebene Sprache in Körpersprache umzuwandeln".

Er wird jetzt noch ein Stück lebendiger. Rückt mit dem Stuhl nach vorne, beugt sich ein bisschen über den Tisch und redet eindringlicher. Man merkt, dass er gerne über Sprache und Ausdruck philosophiert. Heute schaut er sich übrigens seine Filme an und stellt den Ton ab. "Ich gucke, ob das Körpersprachliche stimmt", sagt er.

Ein Freund ging damals auf die Falckenbergschule in München. Stetten wollte das auch. Aber vorher machte er den Zivildienst, er dachte darüber nach, Schiffskoch zu werden, und er ging auf Weltreise. Thailand, Singapur, Malaysia, Neuseeland, Australien, Amerika. Er war alleine unterwegs, und er genoss es. "Das war schon auch eine Befreiung aus der Enge des Dorfes", sagt er. Mit einem Lkw-Fahrer, der ihn eine lange Strecke von der Westküste an die Ostküste der USA mitgenommen hatte, pflegte er danach eine lang andauernde Brieffreundschaft.

Reisen, sagt er, sei für ihn bis heute wichtig. Genauso wie Sport. Er klettert, joggt, segelt, fährt Ski, macht Karate, taucht, tanzt Tango. Alles ohne den Gedanken des Wettbewerbs. Einfach, weil es ihm Spaß macht. "Unverkrampft", "entspannt", "nicht verbissen", das sagt er öfter.

Ach ja, die Falckenbergschule. Nachdem er sie beendet hatte, spielte er erst mal an kleinen Privattheatern in München, und dann, Anfang der Neunzigerjahre, war er am Kinder- und Jugendtheater Schauburg. "Das war eine prägende Phase für mich als Schauspieler und fürs Haus", sagt er. "Es war eine sehr kreative Zeit." Sie trugen Papiermäntel, Holzbeine und aufgeblasene Reifen um den Bauch, sie spielten menschliches Puppentheater und dicke Clowns, die sich beschimpften. Manchmal hatte jede Figur eine eigene Sprache. Peer Boysen, der Sohn von Rolf Boysen, führte Regie. Andrea Sawatzki war auch einige Zeit dabei. Genauso wie Thorsten Krohn, Peter Enders und René Dumont.

Stetten liebte diese Zeit. Er erzählt davon wie ein Schriftsteller von seinem ersten Buch, wie ein Fußballer von seinem ersten Spiel vor 70 000 Zuschauern. Nach fünf Jahren wollte er trotzdem eine Veränderung. Er ging zum Volkstheater - und lernte dort seine Frau kennen, die Schauspielerin Elisabeth Romano.

Volkstheater? Noch mal Theater? Mit irgendwas Mitte 30. Man wartet darauf, dass er endlich über den Beginn seiner Fernsehkarriere redet. Ist er vielleicht doch nicht seit Ewigkeiten dabei?

Stetten sagt erst mal, dass ihn Karrieresteuerung nie interessiert habe. "Ich bin einem Geruch gefolgt, wie ein Hund - und dann habe ich gemacht, was ich tun wollte." So war es auch mit dem Fernsehen. "Mir fiel das Angebot für eine ZDF-Komödie quasi vor die Füße", sagt er. "Die Casterin Risa Kes schickte mir ein Drehbuch von Jo Baier, das Stück hieß 'Der schönste Tag im Leben'." Er heiratete in dieser Komödie Martina Gedeck.

Danach kam "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit". Dies sei 1998 "der zweiterfolgreichste Kinofilm nach den ,Comedian Harmonists' gewesen", sagt Stetten. Er spielte den Sven, der sich ein Kind auslieh, um eine Frau rumzukriegen. Das war wohl der Durchbruch. Wie bei einem Schriftsteller, der einen Bestseller hat. Wie bei einem Fußballer, der einen Stammplatz in der Bundesliga hat. Jetzt kamen "in schneller Abfolge viele Nachfragen" von Film und Fernsehen, sagt Stetten. "Oft spielte ich den jugendlichen Helden - einen Mann, der eine Entwicklung durchmacht, um sein Glück zu finden."

Wurde er in dieser Zeit auf der Straße erkannt? "In Italien ja", sagt er und lacht. "Da wurde ich in der Bar mit Cia, Vito begrüßt." So hieß er in einer Serie, die in Rom spielte. Aber in Deutschland, sagt er, wurde er nicht angesprochen. Wird er auch heute nicht. "Zum Teil liegt es vielleicht daran, dass die Deutschen zurückhaltender sind", sagt er. Aber darauf würde er es nicht schieben. Er kann damit leben, dass er nicht zu den berühmtesten Schauspielern in Deutschland zählt. "Mit jedem Karriereschritt gibt man ein Stück Freiheit auf", sagt er.

Die eine Rolle, die ihn berühmt gemacht hätte, gibt es nicht. Er ist auch kein Tatort-Kommissar. Er spielt am Sonntagabend Pilcher, auch wenn ihm klar ist, dass die Figuren holzschnittartig dargestellt werden. Und er spielt auch in ernsthaften Filmen wie "Meister des Todes II", in dem es um illegale Waffengeschäfte geht. "Ich bringe offenbar etwas mit, was in allen Bereichen funktioniert", sagt er. Das gebe ihm eine enorme Freiheit. Es sei ohnehin uninteressant, wie ihn die Leute einordnen.

© SZ vom 26.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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