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Heiko Schaffartzik:Vom Nationalspieler zum Schauspieler

Basketballer Heiko Schaffartzik blieb nach dem Karriereende nicht in seinem Sport. Er versucht sich stattdessen als Schauspieler. Sein unbescheidenes Ziel: gleich mal eine Hauptrolle.

Von Thomas Becker

Das Schlimme an diesen oft gar wunderbaren Sportlerkarrieren ist ja, dass sie irgendwann doch zu Ende sind. Den richtigen Zeitpunkt für den Absprung ins Rest-Leben zu finden, ist für manchen dabei schwerer als sämtliche sportlichen Herausforderungen zuvor. Bei Heiko Schaffartzik war die Sache dagegen ziemlich schnell klar. Als er im Training immer wieder mal an seine Steuererklärung denken musste, wusste er: Okay, das war es dann jetzt.

Das war im Frühjahr 2020. Da war der 115-fache Nationalspieler und zweifache deutsche Meister immerhin schon 36 Jahre alt, sein Vertrag beim Bundesligisten Hamburg Towers lief im Mai aus, und dann kam Mitte März auch noch der Lockdown: keine Spiele mehr, kein Training, nichts. Außer viel Zeit zum Nachdenken.

Schaffartzik sagt: "Ich hatte endlich Zeit, mir Gedanken zu machen und fragte mich: Was könnte ich denn noch machen?" Er fand eine ziemlich originelle Antwort: Schauspieler sein.

Wer Heiko Schaffartzik auf der Straße begegnet, sieht ihm den ehemaligen Basketballprofi nicht an. Er ist keines dieser zwei Meter irgendwas langen Riesenbabys, sondern misst sehr handelsübliche 1,83 Meter. Der gebürtige Berliner, der von 2013 bis 2015 beim FC Bayern gespielt und sich nach der Karriere in Harlaching niedergelassen hat, war auf dem Spielfeld ein sogenannter Aufbauspieler. Einer, der so flink wie gewitzt die Bälle verteilt, Spielzüge ansagt, die langen Jungs des Gegners schwindlig spielt, zwischen ihnen durch zum Korb zieht oder verlässlich aus der Distanz trifft.

All das hatte Schaffartzik verdammt gut drauf: Jahrelang spielte er in der Nationalmannschaft, auch mit Super-Star Dirk Nowitzki, wurde deutscher Meister mit Alba Berlin und den Bayern, zweimal deutscher Pokalsieger (mit Alba). Doch der größte Erfolg gelang ihm mit dem Pariser Top-Klub Nanterre 92: Als Mannschaftskapitän führte er sein Team 2017 zum Gewinn des FIBA Europe Cups. Der schon sicher geglaubte Wechsel zum spanischen Erstligisten Saragossa platzte, weil Schaffartzik sich am Knie verletzte: Er war in einer Pfütze ausgerutscht. Die erste Verletzung seiner Karriere - und irgendwie der Anfang vom Ende.

Denn im vergangenen Frühjahr merkte er: Das ist nicht mehr das, was ich unbedingt machen will. "Wenn du als Leistungssportler wirklich gut sein willst, musst du Scheuklappen haben", erklärt Schaffartzik, "da vorn ist das Ziel, und alles, was ich mache, muss darauf ausgerichtet sein. Dadurch geht dir im Leben halt voll viel flöten."

Wie ein Chorknabe habe er nicht gelebt, hatte immer schon Interessen abseits des Basketballs, sich selbst Klavier und Gitarre beigebracht - und, als er in Berlin spielte, tatsächlich bei einem Poetry Slam in Friedrichshain mitgemacht. "Im WDR hatte ich mal eine Poetry-Slam-Night gesehen, da sagte ein Dude: 'Weil ich Pazifist bin, trage ich keine Schlaghosen.' Und ich dachte mir: 'So was will ich auch machen!" Unter falschem Namen - Schaffartzik nannte sich Rosetto Martini - trug er einen ernsthaft-witzigen Text vor, wie er es nennt, und wurde Dritter.

Damals war das bloß Gaudi, ein Ausgleich zum Basketball-Alltag. "Ich dachte, das hilft mir auch für den Sport. Aber irgendwann war klar: Ich muss mal was Anderes machen."

Erster Erfolg: Persil engagierte ihn für einen Werbespot, als Mann mit Wäschekorb

Mit drei hatte er zum ersten Mal auf den Korb geworfen. In San Diego, wo die Familie für zwei Jahre lebte, hatte Klein-Heiko schon mit vier in einer Mannschaft für Siebenjährige gespielt. 30 Jahre Basketball: Das muss doch mal reichen, oder? Obwohl er bei dem Gedanken, was nach der aktiven Karriere kommen könnte, stets auf das Naheliegende gekommen war: "Eigentlich war für mich klar: Ich werde Trainer. Wie so viele Ex-Profis. Schon als Spieler hatte ich aufgrund meiner Position als Aufbauspieler viele Traineraufgaben übernommen. Ich hatte gute und weniger gute Trainer, und manchmal dachte ich schon: Das könnte ich viel besser!"

Doch mit dem Trainer Schaffartzik wurde es dann doch nichts.

Weil da in seinem Kopf diese Schauspielidee herumspukte. "Das hat mich immer schon interessiert", sagt er, "ich liebe Filme. Schon als Kind habe ich Leute imitiert. Es gibt Videos, wo ich als Vierjähriger Michael Jacksons Moonwalk versuche." Nach der Zeit in den USA ging er oft ins Kino, montags immer zur Sneak-Preview in "Die Kurbel" in Charlottenburg, eines der wenigen englischsprachigen Kinos.

Zu Schaffartziks frühen Helden gehört "Forrest Gump", mit zehn oder elf: "Hab' ich bestimmt 50 Mal gesehen. Der hat mich berührt und inspiriert, den fand' ich auf ganz vielen Ebenen toll. Aber ich hab' erst später kapiert, was Tom Hanks da gemacht hat, wie er ein ganz anderer Mensch geworden ist. Faszinierend!"

Schon bevor er im Training anfing, an die Steuer zu denken, hatte Schaffartzik sich in Hamburg einer Improtheater-Gruppe angeschlossen, einfach so - im Internet recherchiert, hingegangen, mitgespielt. Wie auf dem Spielfeld: die Sache selbst in die Hand nehmen.

Als sich in Lockdown eins das Karriereende abzeichnete, dachte sich Schaffartzik: Okay, jetzt starte ich durch: vom Spielmacher zum Schauspieler. Was kann man denn Richtung Schauspiel so alles machen? Er fand: Workshops, Seminare, private Coaches. Er probierte gleich mal alles aus, wollte Material sammeln, um sich irgendwo vorstellen zu können.

Vor einem Jahr kaufte ihn Persil nach einem E-Casting für einen Werbespot ein, als Mann mit Wäschekorb. Der Beginn einer Schauspielkarriere? Wer weiß. Der Novize hat jedenfalls "Blut geleckt", wie er sagt: "Ich trainiere praktisch nonstop, pendele zwischen Berlin und München, und ich hab' jetzt genug Selbstvertrauen in meine Fähigkeiten als Schauspieler, dass ich sagen kann: Okay, ich bin ready!"

Fehlt nur noch jemand, der ihn haben will. Schaffartzik weiß: "Du musst halt den treffen, der von dir überzeugt ist, der sagt: 'Genau so stelle ich mir das vor!'"

Er lerne zwar immer mehr Leute kennen, sei aber nicht der beste Netzwerker und tue sich schwer, Leuten hinterherzurennen: "Es muss halt jemand Bock haben auf dich."

Beim Filmfest hat er sich das volle Programm gegeben: zig Filme, panel discussions, gern auch früh morgens: "Das war richtig nice", schwärmt er, "starke Filme, Connections mit Leuten aus der Branche. Ich hab' viel über Prozesse beim Filmemachen und in der Schauspielerei erfahren. War ne echt gute Woche!"

Sein Ziel hat er sich - typisch Leistungssportler - gleich mal schön hoch gesteckt: die Hauptrolle in einem Film oder einer Serie. "Es gibt so Rollentypen, die ich mir zutraue: einmal die Hero-Rolle, nicht wie Mel Gibson in ,Braveheart', sondern einer mit Ecken und Kanten, gerne auch Einzelgänger. Oder der Antagonist, mit dem man mitfiebert. Die bösen Buben, die man aber versteht: Die fand ich schon immer sehr sympathisch."

Er mag auch Szenen, "die an die Nieren gehen, in einem selbst etwas auslösen", sagt er. "Ich bin auf meine Art ein Perfektionist, vor allem, wenn es um Rollen oder Szenen geht: Da hast du die Chance, deinen Perfektionismus auszuleben, richtig reinzugehen. Was ich noch lernen muss, ist das Abschalten, die Rolle nicht mit nach Hause nehmen. Ich verliere mich da drin - was ich beim Basketball am Schluss nicht mehr hatte."

Der Basketball. Gerade erst sind die Playoffs zu Ende gegangen, zwischen zwei seiner Ex-Teams, Bayern und Berlin. Zig Interviewanfragen hatte er auf dem Tisch, fast alle hat er abgelehnt, sich nur wenig von der Finalserie angeschaut. "Ich habe mich bewusst vom Basketball entfernt - weil ich ja was Neues machen will."

Daheim hat er keinen Basketballkorb, noch nicht mal einen Ball, gespielt hat er schon ewig nicht mehr. "Wobei: stimmt gar nicht", sagt er. Vor ein paar Wochen habe er auf einem Freiplatz gespielt, eins gegen eins, gegen einen 14-Jährigen: "Hab' ihm 'ne Klatsche gegeben. Ging ja nicht gegen ihn, aber ich hatte sieben Monate lang keinen Ball angefasst, musste mal gucken, was jetzt passiert. Bin davon ausgegangen, dass ich erst mal vorbei werfe, aber nö: Handgelenk war locker."

Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn für so einen keine Schurken- oder Heldenrolle übrig ist. Heiko Schaffartzik sieht es so: "Ich glaube daran, dass alles so kommt, wie es kommen soll."

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Quelle:
SZ vom 10.07.2021
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