Süddeutsche Zeitung

Haushalt:München im Minus

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Milliarden neue Schulden und sinkende Einnahmen: So schlecht war die städtische Finanzlage lange nicht.

Von Heiner Effern

Die reiche Stadt München steht vor einer Zäsur, die einzigartig sein dürfte für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Gerade noch erlebte sie Jahre, in denen die Einnahmen so unbegrenzt zu fließen schienen, dass sich die Regierenden schier jeden Wunsch erfüllen konnten. Sie beschlossen das größte Wohnungsbauprogramm, das je eine Kommune in Deutschland beschlossen hat. Das größte Schulbauprogramm, das sich eine Stadt jemals geleistet hat. Die Verlängerung der U-Bahn-Linie fünf wird nicht staatlich bezuschusst? Egal, die finanziert man eben alleine.

Diese Zeiten sind vorbei, und das auf Jahre hinaus. Die Stadträte werden in der Vollversammlung am Mittwoch zwar auch einen Haushaltsplan voller Höchstmarken verabschieden. Allerdings nicht bei den Einnahmen, sondern bei den Ausgaben und Schulden. Im Jahr 2021 wird München alleine im laufenden Geschäft seiner Referate 564 Millionen Euro Verlust machen. Das dürfte eine Rekordmarke sein. Solch ein Minus ist eigentlich rechtlich nicht zulässig, doch der Freistaat wird es wie bei allen Kommunen wegen der Corona-Krise akzeptieren.

Dazu wird München wegen seiner hohen Investitionen bis 2024 so viele Schulden aufnehmen, dass alle bisherigen Höchstmarken gerissen werden. Kämmerer Christoph Frey nennt im Mehrjahresinvestitionsprogramm einen Stand von 6,67 Milliarden. Diese ohnehin wuchtige Zahl erhält noch mehr Gewicht, wenn man die jetzige Situation berücksichtigt. Zuletzt hatte die Stadt 635 Millionen Euro Schulden. Rechnet man das Geld gegen, das man noch in den Kassen hatte, war München de facto schuldenfrei. Das Geld, das nun ausgegeben wird, löst sich aber nicht in Luft auf. Die Stadt wird Werte schaffen wie neue oder generalsanierte Schulen und Kitas, Straßen und Radwege und ein besseres öffentliches Verkehrsnetz. Die Stadträte lösen so einen Investitionsstau auf, der den niedrigen Schuldenstand mit ermöglicht hat.

Der erste Haushaltplan, den die Koalition verabschiedet, macht aber deutlich, wie sehr Grüne und SPD in ihrer Gestaltungsfreiheit eingeschränkt sein werden. Als einen wesentlichen Grund lässt sich die Pandemie anführen, die nicht nur das Leben der Münchner, sondern auch die Finanzen ihrer Stadt schlagartig auf den Kopf gestellt hat. Die Gewerbesteuer, das Prunkstück unter den städtischen Einnahmen, brach massiv ein. Schlagartig fehlen Hunderte Millionen Euro pro Jahr. Zugleich stiegen auch die Ausgaben der Stadt, etwa weil Menschen wegen Corona in Not gerieten. Deswegen mussten die Referate sparen, im kommenden Jahr sollen zudem etwa 1000 frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden. Dennoch wird alleine im laufenden Geschäft der Verwaltung eine gute halbe Milliarde Euro fehlen. Die Investitionen will Grün-Rot hoch halten, um eigene Akzente etwa im Wohnungsbau oder im Klimaschutz zu setzen und die Wirtschaftskrise nicht zu verschärfen. Dass dazu das Jahr 2020 aus finanzieller Sicht glimpflich endet, ist nur dem Bund zu verdanken. Der glich einmalig das Gewerbesteuerloch aus, doch für 2021 ist das nicht in Sicht.

Zur Wahrheit gehört auch, dass das letzte Regierungsbündnis aus SPD und CSU der jetzigen Koalition ein Vermächtnis hinterlassen hat, das die Stadt auch ohne Corona massiv in die Schulden getrieben hätte. Die beschlossenen Programme zum Schulbau, zum Wohnen oder zum Ausbau des Nahverkehrs werden nun umgesetzt und zur Zahlung anfallen. Schon vor einem Jahr war geplant, dass 2021 mehr als 1,7 Milliarden Euro aufgenommen werden müssen. Diese Zahl drückte Grün-Rot durch Einschnitte auf 1,358 Milliarden. Mittelfristig sind auch teure Straßentunnels wie an der Landshuter Allee schon weggefallen. Streichen und Strecken von Projekten könnte die Handlungsmaxime dieser Amtszeit werden. Wo immer Grüne und SPD neue Schwerpunkte setzen wollen, werden sie wohl an anderer Stelle etwas aufgeben oder verschieben müssen.

Rote Zahlen

Die Stadt hatte öfter mal das Problem, mit dem laufenden Geschäft ihrer Referate ins Minus zu rutschen. Anfang der 2000er Jahre etwa, als sich das Defizit der 200-Millionen-Euro-Marke näherte. Doch solch einen Einschlag wie durch die Corona-Krise gab es wohl noch nie. Sorgen bereiten den Stadträten nicht nur die fehlenden 546 Millionen Euro in 2021, sondern auch die Prognosen für die Jahre danach. Ohne jeweils ein Sparpaket von 200 Millionen Euro würde München bis 2024 rote Zahlen schreiben. Das ist auf Dauer nicht erlaubt, Kämmerer Christoph Frey muss auf Haushaltsdisziplin achten.

Steiler Abfall

Wie herausragend Münchens Einkünfte zuletzt waren, das sieht man an den Gewerbesteuer-Einnahmen. Diese sind in 15 Jahren um 150 Prozent gestiegen. Der Steilabfall vom letzten auf dieses Jahr zeigt, wie sehr die Unternehmen mit Corona kämpfen. Die Stadt rechnet 2021 mit einem leichten Anstieg, aber weit unter dem bisherigen Niveau. Die fehlenden Einnahmen schlagen sich eins zu eins im Haushalt der Referate (große Grafik) nieder. Die Politik hofft aber, dass die Wirtschaft schneller wieder anspringt als gedacht. Dann könnten sich die düsteren Prognosen rasch wieder aufhellen.

Große Last

Nicht nur Kämmerer Christoph Frey und den Stadträten könnte bei diesem drohenden Schuldenberg schwindlig werden. Auch dem letzten Bürger müsste bei einer prognostizierten Schuldenlast von 7,2 Milliarden Euro im Jahr 2024 klar werden, dass die Stadt nicht mehr jeden Wunsch erfüllen können wird. In nur fünf Jahren könnte sich der Nettobetrag mehr als verzehnfachen. Kämmerer Frey will dem Stadtrat diese Zahlen am Mittwoch nicht nur vorlegen, sondern von diesem auch den Auftrag und die Erlaubnis erhalten, die Ausgaben zu drücken.

Teure Programme

Wenn man sehr viel Geld einnimmt, dann gibt man leichter größere Summen aus. Insbesondere, wenn man davor kräftig gespart hat und dafür manches hat schleifen lassen. So erging es dem Stadtrat in der zurückliegenden Amtszeit. Er beschloss Milliarden-Investitionen in Schulen, Kitas und den Wohnungsbau. Solche Vorhaben müssen lange geplant und gebaut werden, die Kosten fallen zu großen Teilen in dieser Legislaturperiode an. Stabil 1,8 Milliarden pro Jahr will die Stadt im Moment noch bis 2024 ausgeben. Es ist kaum anzunehmen, dass sie sich das in dieser Form leisten kann und wird.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2020
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