Das Haus war ein Graus. Aber irgendwie war es auch ein Glücksfall. Der faschistisch-neoklassizistische Riegel, Adolf Hitler hatte ihn sich als „Haus der Deutschen Kunst“ und Propagandamaschine der besonderen Art ans südliche Ende des Englischen Gartens setzen lassen, stand da ohne Schäden. Vor den verheerenden Bombardierungen Münchens durch die Alliierten blieb das Haus unter einem Tarnnetz verschont. Da stand es also, als intaktes Gebäude, modernst ausgestattet, inmitten der allgemeinen Trümmerwüste. Und der Pragmatismus jener Jahre gebot es, mit dem zu arbeiten, was man hatte.
Die Künstler griffen zu. 1948 gründeten sie mit Erlaubnis der Amerikanischen Besatzer die „Ausstellungsleitung München e.V.“ im Haus der Kunst. 1949 – die Amerikaner hatten im Keller ihren Offiziersclub „P1“ eröffnet – richteten sie oben, in den monumentalen Hallen, ihre erste „Große Münchner Kunstausstellung“ aus. Sie wollten damit an die Jahresausstellungen anknüpfen, die im legendären Münchner Glaspalast stattgefunden hatten, und der 1931 abgebrannt war.
Ebenfalls noch im Jahr 1949 organisierte Ludwig Grothe dort die Ausstellung „Der Blaue Reiter“ mit im Nationalsozialismus verfemten Künstlern. Damit schien mehr als ein Anfang gemacht, dem Haus die Altlasten auszutreiben. 1950 wurde der bis dato als deutscher Betriebsleiter des Offiziersclubs arbeitende Peter Ade zum Geschäftsführer der Ausstellungsleitung und zum Direktor des Hauses der Kunst ernannt.
Er und seine Nachfolger im Verein stellten mehr als 100 Sonderausstellungen und bis 2011 jährlich die „Große Kunstausstellung“ auf die Beine. Bis Ende der 1980er-Jahre veranstaltete die Ausstellungsleitung, die sich 1962 in „Künstlerverbund im Haus der Kunst e.V.“ umbenannte, Schauen, die regelmäßig fünf-, bisweilen sogar sechsstellige Besucherzahlen anzogen und auf internationale Resonanz stießen. Dabei zeigte man nicht nur zeitgenössische Künstler wie Pablo Picasso. Legendär sind auch die Ausstellungen mit Altägyptischer Kunst, etwa 1980 „Tutanchamun“, für die die ägyptische Antikenbehörde zum letzten Mal einen der Sarkophage, die berühmte Kopfmaske und weitere Stücke aus dem Grab des Pharaos verlieh.
Das Archiv der Künstler enthält Quellen aus den Jahren 1948 bis heute. Darunter befinden sich Unterlagen zu An- und Verkäufen von Kunstobjekten und zum Leihverkehr mit Privatsammlern und Museen, die Provenienzforschern Freudentränen in die Augen treiben können. So manches missing link ihrer Recherchen dürfte sich hier auftun lassen, glauben Expertinnen vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte.
Dazu noch schlummern in den Leitz-Ordnern und Mappen, Schubladen und Regalen so emotional behaftete Belege für die Münchner Kulturgeschichte wie die Organisationsunterlagen zum Münchner Künstlerfasching. Für die Feste gestalteten die Künstlerinnen und Künstler selbst die Dekorationen. Dank ihrer sprudelnden Einnahmen konnten die Künstler über Jahre vieles finanzieren, was die schiere Kunst etwa über Eintritte nie hätte erwirtschaften können.

Des Weiteren gibt es in dem Archiv Fotografien, Reprovorlagen für Plakate und mehr Kataloge zu den Ausstellungen, als die deckenhohen Regale tragen können. Diese Sammlung der besonderen Art ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich und wurde bislang nicht wissenschaftlich bearbeitet oder ausgewertet. Die darin enthaltenen Quellen bieten aber einen enormen kunsthistorischen Schatz: zum Ausstellungswesen der Nachkriegszeit etwa, zum Kunstmarkt und zur Geschichte der ewig zerstrittenen Münchner Künstlervereine, um nur ein paar mögliche Forschungsansätze zu nennen.
Derzeit gibt es nun aber eine Ausstellung zu diesem Archiv, und dessen Aufarbeitung hat damit sachte begonnen. Sie findet nicht im Haus der Kunst selbst statt – obwohl es einen eigenen Raum besitzt, der sich mit der Geschichte des Hauses auseinandersetzt, die sogenannte „Archiv Galerie“. Besagte Ausstellung ist im Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) zu sehen. Auch das ist in einem prominenten Münchner NS-Bau beheimatet, dem früheren Verwaltungsbau der NSDAP.
Und um die Sache noch ein wenig verwirrender zu machen: Diese Ausstellung zeigt nicht einfach nur einige der vielsagenden Originaldokumente aus dem Keller des Hauses der Kunst, sie stellt sie zudem aktuellen künstlerischen Arbeiten gegenüber. Die sind speziell für diese Schau hergestellt worden, darunter befinden sich Fotografien, Collagen, Objekte und Installationen. Die Ausstellung trägt den entsprechend komplexen Titel: „Die Unterlagen befinden sich im Zustand der Ablage. Poesie und Verwaltung aus dem Archiv des Künstlerverbund im Haus der Kunst e.V.“.

Die Künstlerin Petra Gerschner etwa ließ sich von den vielen Ordnern inspirieren, die in dem Archiv zu finden sind. Hunderte reihen sich dort in engen Regalen aneinander, darin sind unzählige Dokumente organisiert: von der Rechnung bis zum Notizzettel, der mit Telefonzeichnungen verzierten ist, von der Speisekarte einer Vernissage bis zu Fotodokumentationen von Ausstellungen. Jeder dieser Ordner hat ein Griffloch mit jeweils eigener Anmutung – und dahinter schlummert das große Unbekannte, wie Gerschner offenbar meint. Sie hat die Löcher in Reihe fotografiert und die Arbeit „Black Hole“ genannt.
Ein anderes Werk zeigt das Bild eines Regals, in dem Plakate abgelegt sind. Eingeschlagen in Packpapier oder in Rollen sind sie selbst nicht zu sehen, dafür aber Zettel mit Ausstellungstiteln und Jahreszahlen. Das allein genügt, um vor dem Auge des Betrachters dennoch Bilder aufziehen zu lassen. Und so betritt auch der Besucher dieser Ausstellung zwar nicht das Archiv selbst, aber er bekommt einen ganz und gar nicht oberflächlichen Eindruck von ihm.
Die Unterlagen befinden sich im Zustand der Ablage. Poesie und Verwaltung aus dem Archiv des Künstlerverbund im Haus der Kunst e.V.“, Ausstellung bis 25. Juli 2025, Führung, 24. Juni 2025, 11 bis 12 Uhr, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, Katharina-von-Bora-Straße 10, Lichthof Nord, 1. OG, München, Eintritt frei, Teilnehmerzahl begrenzt, Anmeldung unter info@zikg.eu