Haus der Kunst:Rituale der Erinnerung

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Eine neue Konzert- und Performance-Reihe im Haus der Kunst soll Gedächtnislücken schließen: "Echoes" befasst sich mit den Folgen von imperialistischer Politik und Vertreibung.

Von Jürgen Moises

Denn alle Kunst will Ewigkeit. Und die Museen sollen ihr dabei helfen. So könnte man es zumindest sehen. Also dass Künstler etwas Bleibendes erschaffen wollen, und die Museen dann die Werke für sie oder für die Menschheit erhalten und bewahren. Bei Gemälden und Skulpturen scheint das auch recht gut zu klappen. Aber wie sieht das bei neueren Ausdrucksformen wie etwa der Performance aus? Auch Filme und Videos haben etwas Flüchtiges, sie existieren nur im Moment der Vorführung, der Projektion. Und ist es nicht eigentlich auch bei der Musik so, die als eine zeitbasierte Kunst nur "da" ist und lebendig wird, wenn man sie spielt oder sie abspielt?

Genau diese eher flüchtigen Kunstformen will Andrea Lissoni im Haus der Kunst verstärkt ins Zentrum rücken. Auch jüngere Leute und allgemein mehr Leben wolle er ins Museum bringen, hat der Direktor des Hauses in einem Interview gesagt. Erste Beispiele dafür waren die Performance-Veranstaltung " Pleasure Garden" und die Konzert-Reihe " Tune", die von 3. März an mit Gastspielen von Abdullah Miniawy, William Basinski und Christelle Oyiri alias Crystallmess ihre Fortsetzung findet. Um deren Sound-Performances herum legt sich gewissermaßen dieses Mal aber auch noch eine weitere Veranstaltungsreihe. " Echoes" heißt sie und findet vom 3. bis zum 13. März statt. Neben Konzerten wird es dort Filme, Performances und Gespräche geben. Die einzelnen Tickets kosten zwischen fünf und 15 Euro. Für 45 Euro gibt es den für sämtliche Tage gültigen "Echoes-Pass".

Inhaltlich stehen bei "Echoes" künstlerische Praktiken im Zentrum, "die mit einer Poetik des Nachhalls auf kulturelle Formen der Amnesie reagieren". Wie es etwas abstrakt in der Beschreibung heißt. Es geht um imperialistische Politik, um "Lücken" in der Erinnerung, die durch gewaltsame Vertreibungen entstehen. Und darum, wie Künstler in Form von "fiktiven Archiven" darauf reagieren. Das heißt: Sie greifen historische Erzählungen, Riten oder Mythologien ihrer Vorfahren auf, verarbeiten sie in ihren Kunstwerken und halten sie damit in Erinnerung. Das kann in Form von Klang und Bewegung passieren oder anderen licht-linearen Erzählweisen.

Abdullah Miniawy wurde zu einer Figur des Widerstands im Arabischen Frühling

Ein Beispiel dafür ist der bereits genannte ägyptische Schriftsteller, Sänger, Komponist und Schauspieler Abdullah Miniawy. Dieser wurde während des Arabischen Frühlings eher ungeplant zu einer Figur des Widerstands, als sich seine Gedichte in Syrien, Tunesien und anderen Ländern verbreiteten. Im Jahr 2017 musste er Ägypten auf Druck der Regierung hin verlassen und lebt aktuell in Frankreich. Am 3. März tritt er als Sänger und Sprecher zusammen mit dem Pariser Saxophonisten Peter Corser auf. Einen Tag später steht er mit dem Münchner Live-Jam-Techno-Trio Carl Gari auf der Bühne, mit dem er bereits seit 2015 kollaboriert. In ihren Performances treffen experimentelle, oft leicht ins Bedrohliche kippende Elektronikklänge auf eine verzerrte, Arabisch sprechende Stimme. Am 3. März ist außerdem ein Film zu sehen, den Miniawy gemeinsam mit dem Münchner Medienkünstler Justin Urbach gedreht hat.

Am 5. März präsentiert Christelle Oyiris ihren Film Collective Amnesia: In Memory of Logobi (2018). Darin setzt sich die die französische Musikerin und DJ, die den Film musikalisch live begleitet, anhand des Musik- und Tanz-Genres Logobi mit dem kulturellen Einfluss der Elfenbeinküste auf die Clubkultur in Frankreich auseinander. Unter ihrem Künstlernamen Crystallmess ist Oyiri am 12. März dann noch einmal in München zu erleben, und zwar mit ihrer neuen Sound-Performance "Godspeed". Mit einer Klangperformance von Lamin Fofana wurde "Tune" im letzten Juli eröffnet. Am 5. März ist der in Sierra Leone geborene Künstler abermals zu Gast und stellt seine neue Performance "Here Lies Universality / Unfinished Elegy" vor, mit der er seine seitdem im Terrassensaal laufende Klanginstallation "A call to disorder" live erweitert. Das Thema: die Dominanz westlicher Musiktheorie, die der Musiker als imperialistisch empfindet und beklagt.

Meditative Klagelieder und die transformative Kraft der Raves

William Basinski ist ein in New York lebender Musiker und Medienkünstler, der in Texas Kunst, Jazz-Saxophon und Komposition studiert hat und sich im Fahrwasser von Ambient und Minimal Music bewegt. Im Haus der Kunst stellt er am 6. März sein Album "Lamentations" vor. Thematisch geht es darin um den Verfall der Welt. Die musikalische Grundlage der Instrumentalstücke sind Tonband-Loops von analogen Radioprogrammen, die Basinski in den Siebziger- und Achtzigerjahren in Brooklyn aufgenommen und 2019 wieder herausgekramt hat. Vor dem Konzert sind Kurzfilme zu sehen, die Basinski mit James Elaine gedreht hat. Der italienische Choreograf Michele Rizzo und Caner Teker sind am 9. März zu Gast. Teker stellt die Plakat-Aktion "Anarchiving" vor, die sich mit der Tradition des türkischen Öl-Wrestlings beschäftigt, Rizzo seine Performance "Higher.xtn" über die transformative Kraft der Rave-Kultur.

Die französisch-ägyptisch-iranische Sängerin, Künstlerin und Produzentin Lafawndah präsentiert zwei Tage später ihre Performance "Fanfare for the Warriors". Das interdisziplinäre, mehrteilige Werk ist nach dem gleichnamigen Album des Art Ensemble of Chicago benannt und sieht unter anderem den Auftritt eines fünfköpfigen Chors vor. Außerdem sind die Tänzerin Dalila Belaza, die Musikerin Crystallmess und die Dichterin Chouf daran beteiligt. Den Abschluss macht am 13. März das in London und Neu-Delhi beheimatete Performance-Duo Hylozoic/Desires, das aus Himali Singh Soin und David Soin Tappeser besteht. In ihrer multimedialen Performance "As Grand As What" geht es um heilende Rituale, Buddhismus und mystische Geometrie und um die Suche nach einer verlorenen kollektiven Lebenskraft.

Echoes , 3. bis 13. März, Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, alle Infos und Karten auf und via hausderkunst.de

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