Süddeutsche Zeitung

München:Hauptsache Öl

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Vier Schüler kneten beim "Boys' Day" Badekugeln und üben Gesichtsmasken, vier Schülerinnen lernen beim "Girls' Day" in einer Autowerkstatt Schlagschrauber und Bremsbeläge kennen. Beobachtungen in zwei Welten

Von Jakob Pontius und Franziska Koohestani, München

Könnte man Düfte hören, wäre man hier auf einem Rockkonzert. Denn betritt man die Filiale der englischen Kosmetikreihe "Lush" an der Sendlinger Straße, spielen die Nasenschleimhäute verrückt. Es riecht nach schweren Ölen, nach Kakao, Mandeln und Salz. Einen Schritt weiter weht plötzlich eine fruchtige Duftwolke vorbei, Seifenberge in knalligen Farben stapeln sich neben Parfümfläschchen, Badekugeln warten neben glibberigen Duschgelees auf ihren Einsatz. Und an diesem Tag müssen sie nicht lange darauf warten. Denn die enge Ladenfläche ist einen Tag lang Arbeitsplatz für vier Münchner Schüler zwischen zwölf und 15 Jahren. Der "Boys' Day" erlaubt ihnen, einen Tag lang statt der Schulbank Badekugeln zu drücken - und so die Kosmetikbranche hautnah kennen zu lernen.

Szenenwechsel. Eine riesige Halle, abgesehen von einem schmalen Gang in der Mitte vollgestellt mit orangefarbenen Müllwagen und Pkw. Der Geruch von Motoröl, Staub und Abgasen liegt in der Werkstatt des Münchner Abfallwirtschaftsbetriebs in der Luft. Doch so sehr man sich auch auf seine Geruchssinne konzentriert: Nach Abfall riecht es hier nicht. Denn die Müllwagen werden vor der Reparatur gesäubert. Mitten in der Halle stehen neun Mädchen in signalfarbenen Overalls und warten auf Anweisungen. Hier nennt sich das ganze "Girls' Day".

Die beiden deutschlandweit etablierten Projekttage ermöglichen Schülerinnen und Schülern von zwölf Jahren an, Erfahrungen in solchen Berufsfeldern zu sammeln, die überwiegend vom jeweils anderen Geschlecht ausgeübt werden. Die "Zukunftstage" sollen Geschlechterklischees in der Arbeitswelt abbauen und die Berufswahl junger Menschen aus gesellschaftlichen Fesseln befreien. Die Initiatoren wollen mehr Männer in die Pflege locken und Frauen auch für technische und naturwissenschaftliche Jobs begeistern.

Nach dem Umziehen herrscht bei den Müllfrauen Aufruhr. Die Mädchen zwischen zwölf und 15 Jahren machen Fotos mit ihren Handys, sie wirken zugleich hilflos und erheitert. Doch gegen ihren neuen neon-orangefarbenen Müllmann-Look haben sie nicht viel einzuwenden. Dabei ist dieser weder besonders figurbetont, noch schmeichelt die Farbe dem Teint. Ein derart modischer Fauxpas kann für weibliche Teenager hin und wieder ein dramatischer Weltuntergang sein. Doch mehr als ein zaghaftes "Die Ärmel sind etwas zu lang für die Handschuhe" ist nicht zu vernehmen. Das Outfit ist schnell vergessen, als die Arbeit in der Werkstatt beginnt - und die Mädchen richtig hinlangen müssen.

Um Handwerk geht es auch im Kosmetikladen, wenn auch auf sanftere Art. Der zwölfjährige Jamie hat sich bei "Lush" angemeldet, weil er das Selbermachen von Kosmetika spannend findet. Und weil die Briten viele vegane Produkte führen. Jamie hat sonst eher unauffällige Hobbys: Er spielt gern Fußball und Basketball. Und seine Zukunft stellt er sich eigentlich in einer Bank vor, in Nadelstreifen. Jetzt aber bindet er die Schleife seiner Schürze und schmiert eine erdige Masse aus Kakaobutter und Minzöl vorsichtig auf Wangen und Stirn von David, der auch zum Schnuppern da ist. Eine Gesichtsmaske auftragen ist offenbar schwerer, als die beiden es sich das vorgestellt haben. Aber Spaß macht es ihnen trotzdem.

Am Georg-Brauchle-Ring machen sich die Mädchen indessen ans Schrauben, Bohren und Meißeln. Bremsen erneuern, Reparaturen, Schlosserarbeiten und ein Besuch in der Druckerei stehen auf dem Programm. Die erste Unbeholfenheit und Zurückhaltung legt sich rasch; aber der Umgang mit dem Druckluft-Schlagschrauber ist eine Herausforderung. Doch wer anfangs noch beim lauten Knattern zusammenzuckt und erschrocken abrutscht, mausert sich bald zur Profischrauberin. "Aber ich kann da nichts kaputt machen, oder?", fragt die Achtklässlerin Annamaria zögerlich.

Die Eintageskosmetiker haben inzwischen einen Beauty-Schnellkurs gemacht, Badekugeln gepresst und Schaumbäder vorgeführt; auch die ersten Kunden werden forsch und fachmännisch beraten. Den vieren gefällt es zwischen all den Seifen und Ölen, das sieht man. Und das allermeiste würde zumindest Jamie auch selbst ausprobieren, "bis auf den Eyeliner natürlich", sagt er und lacht. Aber hat der "Boys' Day" seinen Zweck erfüllt, wollen die Buben eines Tages in der Kosmetikbranche arbeiten? Nach ihrem Schnuppertag können sie sich das zumindest vorstellen. Immerhin. Die Mädchen in der Autowerkstatt dagegen sehen sich eher nicht beim lebenslangen Schrauben und Löten. Ein Klischee wird dann doch noch bestätigt: Sie würden die Technik "sowieso nicht kapieren". Schade.

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Quelle:
SZ vom 24.04.2015
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