Süddeutsche Zeitung

Polizei München:Der Angriff nach dem Angriff

Nach dem Mordversuch an einem seiner Beamten muss sich das Münchner Präsidium wilder Spekulationen erwehren. Doch selbst Profis tun sich schwer damit, angesichts der Tat sachlich zu bleiben.

Kommentar von Julian Hans

Nach der Messerattacke auf einen ihrer Beamten muss die Münchner Polizei mit einer doppelten Belastung fertig werden: Da ist zunächst der Angriff auf einen Kollegen, völlig unerwartet und scheinbar aus dem Nichts, verübt von einem Mann, der offenbar nicht mehr Herr seiner Sinne war. Und dann kommen gleich darauf massenhaft die Vorwürfe, Spekulationen und das Geraune, die Behörde verschweige die wahren Tatsachen, um einer angeblich verordneten Ideologie zu dienen.

Irgendeinem, der am Montag den Twitter-Account der Polizei München bediente, ist dann der Kragen geplatzt. Auf die provokante Frage einer AfD-Politikerin, warum denn der Vorname des Täters nicht veröffentlicht werde - offenbar in der irrtümlichen Erwartung, es handle sich um einen ausländisch klingenden Namen - twitterte er: "Sie würden weinen, wenn Sie den Vornamen lesen würden. Aber wir sagen nichts, dann können Sie noch weiter spekulieren und die Filterblase mit diesen wilden Theorien ausschmücken." Die klare Abfuhr fand tausendfach Zuspruch.

In Deutschland und in München insbesondere leben Bürger heute so sicher wie nie zuvor seit dem letzten Krieg. Umso spektakulärer wirkt jede Tat; erst recht, wenn sie sich gegen einen Vertreter der Staatsgewalt richtet. Der Schrecken und die Emotionen, die so eine Nachricht auslösen, sind stärker als jede Statistik, die belegt, dass insbesondere Gewalttaten über die Jahrzehnte stetig abgenommen haben. Alles sträubt sich gegen die nüchterne Einsicht, dass solche Taten nie ganz auszuschließen sind.

Dass Innenminister Joachim Herrmann, Polizeipräsident Hubertus Andrä und der stellvertretende Vorsitzende der Polizeigewerkschaft in Bayern, Jürgen Ascherl, nur Stunden nach der Tat unisono eine harte Strafe für den Täter forderten, zeigt, dass auch sie als Profis vor solchen emotionalen Ersatzhandlungen nicht gefeit sind. Denn eigentlich müssten sie wissen: Die Strafen können noch so hart sein, einen Menschen, der in einem krankhaften Wahn gefangen ist, werden sie nicht abschrecken. Und mehr Polizisten auf den Straßen werden weder solche Vorfälle verhindern können, noch das Sicherheitsgefühl zurückbringen. Es bleibt ein Restrisiko in jedem Leben.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2019/zara
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