Süddeutsche Zeitung

Bauprojekt "Elementum":Wohnen? Geht an diesem Eck im Bahnhofsviertel nicht

Lesezeit: 3 min

Von Sebastian Krass

Es war dem Stadtrat ein wichtiges Anliegen: Wenn schon ein finanzstarker Investor zusammen mit dem Architekturbüro Herzog und de Meuron Umbau und Aufstockung eines ganzen Karrees im Bahnhofsviertel plant, dann sollen doch bitte nach Möglichkeit neben den vielen Büros auch Wohnungen entstehen. Ob und wie das gehen könnte, möge das Planungsreferat prüfen. Inzwischen ist diese Prüfung abgeschlossen, und das Ergebnis ist eindeutig: Wohnen geht nicht.

"Im Umfeld bestehen keine Möglichkeiten, um gesunde Wohnverhältnisse nachzuweisen", resümiert Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Rund um das ehemalige Postbank-Gebäude zwischen Bayer-, Paul-Heyse-, Schwanthaler- und Mittererstraße sei es dafür zu laut, vor allem nachts. Die Luft sei zu dreckig, es fehle an sozialer Infrastruktur.

Dem Stadtrat blieb wenig anderes übrig, als das hinzunehmen und ein Bebauungsplanverfahren, mit dem Baurecht für Wohnraum geschaffen werden müsste, nicht weiter zu verfolgen. Stattdessen stellt das Planungsreferat den Bauherren einen positiven Vorbescheid in Aussicht, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Baugenehmigung. Der Investor, eine Fondsgesellschaft der Bank Credit Suisse, will das Projekt in gut drei Jahren abgeschlossen haben. Mit einem Bebauungsplanverfahren hätte es Jahre länger gedauert.

Die Lage, die Größe, die Kosten: Es ist ein bemerkenswertes Projekt. Etwa 300 Millionen Euro hat die Credit-Suisse-Tochter allein für das Grundstück bezahlt, auf dem ein in die Jahre gekommenes Zweckgebäude steht, in dem früher die Postbank saß. Mit den Baukosten wird die Investition auf mehr als eine halbe Milliarde Euro anwachsen.

Das Ziel der Bauherren ist es, einen modernen Bürostandort zu schaffen, wie er in dieser Größe in der Innenstadt so gut wie nie auf den Markt kommt - und der sich entsprechend lukrativ vermieten lässt, da Büroraum extrem knapp ist und die Mieten dafür noch schneller steigen als für Wohnraum. Der "Elementum" wird - so die Brancheneinschätzung - trotz Corona-Krise gut weggehen. 55 000 Quadratmeter Bürofläche sind geplant, das entspricht ungefähr der Fläche von Münchens höchstem Gebäude, dem "Uptown", bekannt als "O2-Tower", mit 2400 Arbeitsplätzen.

Die derzeitige Planung ist das Ergebnis eines Wettbewerbs. Herzog und de Meuron aus Basel, die in München schon die Arena in Fröttmaning und die Fünf Höfe gebaut haben und derzeit das Quartier rund um die Paketposthalle mit zwei 155 Meter hohen Türmen planen, setzten sich mit ihrem Entwurf durch. Als Vorteil führen sie auch die Nachhaltigkeit an: 80 Prozent der Rohbau-Substanz soll erhalten oder wiederverwendet werden. Zudem sollen kupferfarbene Rollläden und Stoffmarkisen dem Betonkomplex etwas Wärme verleihen. In den Erdgeschossflächen sollen Geschäfte und Gastronomie unterkommen.

Das Gesamtkonzept kommt im Stadtrat und in der Verwaltung auch deshalb gut an, weil es einen vergrößerten, öffentlich zugänglichen und hochwertig begrünten Innenhof ("Hofgarten") vorsieht, zudem ein ebenfalls öffentliches Fahrrad-Parkhaus mit 450 Abstellplätzen. Und die Eigentümer bieten an, dass entlang der Paul-Heyse-Straße der Fußweg auf ihrem Grundstück verläuft, sodass im Straßenraum Platz für einen Fahrradweg entsteht. "Das Projekt stellt für das Viertel eine Bereicherung aus städtebaulicher, stadtgestalterischer, freiraumplanerischer und verkehrlicher Sicht dar", urteilt Stadtbaurätin Merk.

Und wer zieht dort ein? Es gab, so berichteten Münchner Makler für Büroimmobilien, bereits ein Wettbieten, bei dem das Deutsche Patentamt, der Coworking-Anbieter We Work und Apple lange dabei waren. Die gebotenen Mieten sollen über 40 Euro pro Quadratmeter gegangen sein, ein Spitzenpreis selbst in München. Doch weil es so gut lief, trat die Credit Suisse erst mal auf die Bremse. Patentamt und We Work sind inzwischen wohl aus dem Rennen, Apple hat ein im Bau befindliches Gebäude an der Karlstraße angemietet. Aber das Interesse sei nach wie vor groß, erklärt Stephan Heller, der in München eine Firma für Kommunikation zu Immobilienprojekten betreibt und von den Bauherren als Pressesprecher engagiert wurde. "Es gibt tief gehende Gespräche mit einer Handvoll Interessenten, die das Gesamtensemble für ihr Unternehmen mieten würden." Namen kommentiert er nicht.

Dafür weist er darauf hin, dass es seit Anfang April eine Art soziale Zwischennutzung gibt: Die Bahnhofsmission, die dringend mehr Platz braucht, ist an der Schwanthalerstraße 46 bis 48 im Erdgeschoss eingezogen. "Durch das große Flächenangebot können die Corona-bedingten Sicherheitsabstände gut eingehalten werden", erklärt Heller. Miete müsse die Mission nicht zahlen, sie werde voraussichtlich bis Anfang nächstes Jahres bleiben.

Unter dem Motto "Brot und Mantel - ökumenische Nothilfe kommt an" verteilt die Diakonie montags bis freitags von 14.30 bis 17 Uhr kostenlos Kleidung und Hygieneartikel, jeden Tag von 8 bis 11 und von 14.30 bis 17 Uhr gibt die Caritas kostenlos eine Notverpflegung zum Mitnehmen aus. Die Beratung läuft weiter in der Zentrale der Bahnhofsmission an Gleis 11 im Hauptbahnhof, der nächtliche Schutzraum für Frauen ist geöffnet.

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Quelle:
SZ vom 22.04.2020
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