Süddeutsche Zeitung

Ludwigsvorstadt:Das Elend im Bahnhofsviertel wächst

Lesezeit: 2 min

Eine Hotelchefin, die Dealer verscheucht, Passanten, die Angst haben vor pöbelnden Junkies: Corona hat die Lage sozialer Randgruppen verschärft. Lokalpolitiker fordern einen runden Tisch fürs Bahnhofsviertel.

Von Birgit Lotze, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Die Pandemie hat die Schere weiter geöffnet, das Elend verstärkt. Im Bahnhofsviertel, wo es auch ohne Corona immer wieder Beschwerden gegeben hat über Prostitution, über Drogenhandel und Diebstahl, ist die Subkultur gewachsen. Der Bezirksausschuss (BA) hat deshalb den OB aufgefordert, kurzfristig wieder einen runden Tisch, eine Sitzung des Sicherheits- und Aktionsbündnisses Münchner Institutionen (SAMI) einzuberufen, um Lösungen zu finden. Auch der Verein Südliches Bahnhofsviertel solle wieder eingebunden werden. Wie vieles andere auch sind die SAMI-Sitzungen, die es seit 2009 gibt, während der Pandemie ausgefallen. Auch der Verein Südliches Bahnhofsviertel hat seit Anfang 2020 nicht mehr öffentlich getagt.

Auslöser für die Initiative war der Bericht einer Hotelchefin im Ausschuss für Kultur, Jugend und Soziales. Sie schilderte einfach kurze Momente ihres Alltags im Bahnhofsviertel an drei aufeinander folgenden Tagen. Wie sie einen Drogenabhängigen mit seinem Dealer aus dem Hoteleingang wegscheucht, wie ein Zuhälter, begleitet von einer Frau, von Hotel zu Hotel geht, um für seine Begleiterin ein Zimmer zu finden. Sie berichtete von Gästen, die den Bereich am Abgang zur U- und S-Bahn meiden - wegen der Junkies, die dort Vorbeigehende anpöbeln sollen oder mit Flaschen werfen.

Es komme auch zu Situationen in Gegenwart von Gästen, die ihr peinlich seien, sagte die Geschäftsfrau. Als sie an einem Morgen Gäste zur Tiefgarage begleiten wollte, kniete im Hoteleingang eine Frau mit Bierflasche über ihrer Tasche. Als sie sie freundlich gebeten habe, zur Seite zu gehen, war deren Antwort: "Halt's Maul, du siehst doch, dass ich etwas suche."

Der Münchner Hauptbahnhof steht schon immer besonders im Fokus

Dann habe sie draußen die Eingangstür zum Hotel geputzt, jemand verkaufte Handys aus seinem Rucksack. Das habe er in der vergangenen Woche auch schon gemacht, berichtete die Hotelchefin, "da waren es allerdings Parfumflaschen". Und sie beobachtet, wie ein Mann vor einer Apotheke um Geld bittet. Kaum hat er etwas beisammen, dreht er ab in einen Seitengang. Dort wartet sein Dealer.

Was die Polizei angeht, steht der Münchner Hauptbahnhof schon immer besonders im Fokus. Rudolf Stadler, der Leiter der für die Gegend südlich des Hauptbahnhofs zuständigen Polizeiinspektion, spricht von einem "enormen Überwachungsdruck". Es gebe dort täglich Festnahmen - schon allein von Drogenkonsumenten, seit sich die Rauschmittel, die als Neue psychoaktive Substanzen (NPS) geführt werden, mehr verbreiteten. NPS enthalten Stimulanzien oder ähnliche chemische Wirkstoffe, viele werden als Kräutermischungen angeboten.

Beschwerden von Bürgern über die Situation im südlichen Bahnhofsviertel gebe es immer mal wieder, sagt Benoît Blaser (Grüne), der Vorsitzende des Bezirksausschusses. Mit der Pandemie habe die Lage sich verschlechtert. Im BA gehe man davon aus, dass durch Corona auch die Arbeit der sozialen Einrichtungen, Vereine und Initiativen stark eingeschränkt wurde. Das habe zusätzliche Auswirkungen auf die Lage vieler Menschen im Bahnhofsviertel. Daher sei es wichtig, dass sich jetzt möglichst viele sozial- und sicherheitsrelevante Akteure wieder an einen Tisch setzten und Lösungen fänden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5349064
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.07.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.