Süddeutsche Zeitung

Verkehr in München:So geht es weiter mit den Bauarbeiten am Hauptbahnhof

  • Die Schalterhalle am Münchner Hauptbahnhof ist Geschichte, übrig ist ein unebenes Feld. Bis 2028 soll im Untergrund die S-Bahn-Station der zweiten Stammstrecke entstehen.
  • Arbeiter werden sich dafür ab Februar 2020 Schritt für Schritt 43 Meter in die Tiefe graben. Die kommenden eineinhalb bis zwei Jahre sind dafür reserviert.
  • Erst danach werden die Reste des Hauptbahnhofs abgetragen, um dem neuen zu weichen.

Von Ekaterina Kel

Mit schwerfälligen Bewegungen schaufelt der Bagger immer mehr Schutt zu sich heran. Er brummt in regelmäßigen Abständen etwas, als würde er seufzen. Kein Wunder: Die Arbeit, die er, gesteuert von einem Bauarbeiter, verrichtet, geht nur langsam voran. Schaufel um Schaufel muss der Schutt auf der Baustelle am Hauptbahnhof auf Lkw verladen und abtransportiert werden. Etwa 1400 Lkw-Ladungen waren es bisher, seit die Abrissarbeiten im Juni angefangen haben, schätzt Martin Wieser. Er ist der Mann, der sich auf diesem braun-grauen Feld voller Erde, Steine, verbogener Stahlträger, Sand und letzter Reste der alten Schalterhalle am besten auskennt - als Projektleiter der Station Hauptbahnhof der zweiten Stammstrecke.

Die Deutsche Bahn hat am Donnerstag zu einem Blick hinter den Bauzaun am Hauptbahnhof geladen. Seit Juni trennt dieser Zaun den Bahnhof von der Straße. Dahinter liegt ein unebenes Feld, wie ein umgegrabener Acker. Ausgestattet mit knallgelben Schutzstiefeln, einem Helm und einer Warnweste konnte man von der Arnulfstraße für eine Stunde auf das Gelände mit den Schutthügeln gehen.

An einer Seite sind, vielleicht für den Besuch, verschiedene Baggeraufsetzer aufgereiht. Bei einer Zange mit Zacken, die vage an einen Krokodilsmaul erinnern, bleibt Wieser stehen. Damit sei der Schwammerl, das markante Vordach aus den Fünfzigern, abgetragen worden, sagt er. Der Beton wurde sozusagen "pulverisiert". Davon ist weit und breit nichts mehr zu erahnen. Überall rumort es, links und rechts sind Bagger zugange, ein modriger Geruch steigt vom Boden auf.

Kein Wunder: "Wir sind hier in den Kellerräumen des Bahnhofs", sagt Wieser. Ebenfalls in Schutzkleidung, läuft er ein bisschen weiter auf eine geräumte Fläche, schaut hinter sich, nickt zufrieden und zeichnet mit den Armen in der Luft eine Linie. "Hier ist die Außenkante der Station." Er meint die kommende S-Bahn-Station der zweiten Stammstrecke, die in den vergangenen Jahren so hart kritisiert wie herbeigelobt wurde und nun kurz davor ist, Realität zu werden. Voraussichtlich 2028 soll sie fertig sein. Im Moment ist da bloß eine Markierung an der unsauber abgeschnittenen Wand. Direkt hinter ihr liegt die Gleishalle, wo tausende Reisende zu den Zügen eilen.

Wieser zeigt sich zuversichtlich. Der Betrieb geht zu beiden Seiten dieser Wand weiter. Man sei "im Zeitplan", sagt er. Das heißt konkret: Bis Weihnachten sind die Abbruchunternehmer abgezogen. Anfang des kommenden Jahres beginnt der nächste Schritt und im Februar 2020 rollen hier etliche Großgeräte und Bohrfräser an, um ein etwa 110 mal 45 Meter großes Loch zu graben - 43 Meter in die Tiefe. Wie soll das gehen, wenn hier schon zweieinhalb Meter unter den Füßen das 14 Grad kalte Grundwasser rauscht? Kein Problem, sagt Wieser. Das Wasser soll abgepumpt werden und in der Nähe der Donnersberger Brücke wieder in der Erde versickern.

Der Projektleiter kann kaum einen Schritt machen, ohne sofort von einem Grüppchen Reporter aufgehalten zu werden. Wieser erklärt geduldig, lächelt höchstens etwas amüsiert über die häufigen Nachfragen zur Trennung des Bauschutts. Ja, man trenne auch hier Stahl, Beton, Asbest, Kabel, Rohre. Wenn er Antworten gibt, muss er seine Stimme heben. Der Lärm der Bagger verschluckt seine Worte, sobald er sich halb umdreht, um in der Luft die Pläne zu umreißen.

Es ist recht komplex: Stück für Stück arbeitet man sich ab Februar in die Tiefe. Zunächst kommen 60 sogenannte Primärstützen verteilt auf der gesamten Fläche in den Boden, bis zu 70 Meter in die Erde hinein. Sie sollen Wasser- und Erddruck trotzen und den Tiefbau stabilisieren. Danach, voraussichtlich ab Mai, lassen die Bauarbeiter sogenannte Schlitzwände ein, um die Baugrube zu umschließen, ähnlich wie am Marienhof. Wieser spricht vom "Einkasten" der Station. Und schließlich wird nach jedem neuen Abschnitt ein Betondeckel eingelassen, um noch mehr Stabilität zu garantieren. Insgesamt sollen so unterirdisch sechs Ebenen entstehen.

Bis zu fünfzig Bauarbeiter werden laut Wieser an diesem Riesenloch beteiligt sein. Die kommenden eineinhalb bis zwei Jahre sind dafür reserviert. Erst danach wird sich für die Passanten sichtbar etwas ändern, wenn der Bau auch in die Höhe geht und die Reste des Bahnhofs abgetragen werden, um dem neuen zu weichen. Noch existiert er nur in den Plänen, Köpfen und auf Simulationen, der Entwurf des Münchner Architekturbüros Auer Weber ist nicht weniger umstritten als die zweite Stammstrecke . In etwa neun Jahren soll er das Gesicht Münchens verändern.

Doch zunächst werden von Freitag an wiederum andere Experten erwartet. In bis zu fünf Metern Tiefe soll nach früheren Kampfmitteln gesucht werden. Aber auch hier bewahrt Wieser die Ruhe. Von Bombenfunden gehe er derzeit nicht aus.

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SZ vom 22.11.2019/syn
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