Süddeutsche Zeitung

Hilfsangebot:Ein Treffpunkt für Alkoholkranke

  • Suchtkranke Menschen sollen am Hauptbahnhof einen neuen Treffpunkt bekommen.
  • Dort soll es ihnen erlaubt sein, Bier und Wein zu trinken - Schnaps allerdings ist verboten.
  • Sozialarbeiter der Caritas sollen sie betreuen und so dazu beitragen, dass die Aufenthaltsqualität am Hauptbahnhof für alle steigt.

Von Sven Loerzer

Manchmal ist es schwierig, eine kurze Bezeichnung für ein neues Angebot zu finden, ohne dass es gleich abwertend klingt: "sozial betreute Trinkerstube" oder gar "Saufraum", wie Bild das bereits 2012 eingerichtete Vorbild "Café Berta" in Dortmund nennt. Dabei geht es eigentlich nur darum, zumeist suchtkranke Menschen, die nach dem völligen Alkoholverbot am Hauptbahnhof ins Umfeld ausweichen, von den Straßen zu holen, ohne Vorbedingungen zu stellen.

Um diesen Menschen zu helfen, will die Caritas einen leer stehenden Laden in ihrem Altbau an der Dachauer Straße 3 (Ecke Hirtenstraße) zu einem Treffpunkt umbauen. Dort wird, anders als in bestehenden Einrichtungen, der Konsum von Bier und Wein erlaubt sein, um Menschen zu erreichen, die Hilfsangeboten sonst kaum zugänglich wären. "Begegnungszentrum mit sozialpädagogischer Betreuung und zugehender Sozialarbeit für Menschen mit erhöhtem Alkoholkonsum im öffentlichen Raum" nennt das Sozialreferentin Dorothee Schiwy. Noch in diesem Herbst soll es eröffnen, wenn der Stadtrat zustimmt.

"Die Menschen stehen bei uns ums Eck", sagt Caritas-Vorständin Gabriele Stark-Angermeier. Statt sie aus dem Viertel zu vertreiben, will die Caritas "ihnen ein Angebot machen, einen Ort bieten, wo sie verbleiben können". Das umfasse auch "primäre Überlebenshilfe" wie etwa Dusch- und Waschmöglichkeiten, "aber wir wollen auch Plattform sein für andere Angebote", etwa für Suchthilfe- und Schuldnerberatung oder Wohnungslosenhilfe.

Anders als bei der im vergangenen Jahr eröffneten Kontakt- und Begegnungsstätte "Lindwurm 12" des Trägers Soziale Dienste, die sich um alkohol- und seelisch kranke Menschen kümmert, wird Konsum von Alkohol in dem neuen Tagestreff erlaubt sein. Allerdings gilt das nur für Bier und Wein, Schnaps bleibt verboten. Bis zu 50 Menschen sollen in dem neuen Treff Platz finden, um ihre Betreuung werden sich erfahrene Sozialarbeiter kümmern. Sie sollen auch regelmäßig die bisherigen Treffpunkte im Umfeld des Hauptbahnhofs aufsuchen und zum Besuch der Einrichtung einladen.

Caritas kritisiert Staatsregierung

Mit 350 Einrichtungen, mehr als 9000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie rund 68 000 Klienten im vergangenen Jahr ist die Caritas in der Erdiözese München und Freising nach eigener Aussage der größte Wohlfahrtsverband in Oberbayern. Bei der Jahrespressekonferenz sparte Caritasdirektor Georg Falterbaum nicht mit Kritik an der Staatsregierung. "Wir sind enttäuscht, dass viele Versprechen, die im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl gegeben wurden, dann leider nicht umgesetzt und gehalten wurden." So sei das angekündigte Sonderinvestitionsprogramm zum Umbau großer Behinderteneinrichtungen in kleine, flexible Wohneinheiten ganz erheblich zusammengestrichen worden. "Auch beim Gute-Kita-Gesetz hinken wir in Bayern hinterher", sagte Falterbaum. Zwar habe die Staatsregierung die versprochenen 100 Euro Kita-Zuschuss pro Monat für die Eltern gewährt, aber der zweite Teil des Versprechens, genauso viel Geld in den Ausbau der Kita-Qualität zu stecken, sei noch nicht erfüllt.

Obwohl Innenminister Joachim Herrmann den Behörden vor drei Monaten mehr Spielraum für Ausbildungs- und Arbeitsgenehmigungen bei Flüchtlingen in Aussicht gestellt habe, hat sich nach Erfahrungen der Caritas nichts geändert. "Im Gegenteil", sagte Falterbaum, "noch immer verlieren viele Asylbewerber ihre Ausbildungs- oder Arbeitsstelle, oder sie dürfen sie gar nicht erst antreten." Die Behörden nutzten ihren Ermessensspielraum nicht, Flüchtlinge würden "von heute auf morgen aus den Betrieben geholt, um sie abzuschieben". Diese "Ausgrenzung vieler Asylsuchender vom Arbeitsmarkt" hält Falterbaum "im Einklang mit der Wirtschaft für fatal und unnötig". Pragmatische Lösungen forderte er auch für die Pflege. So dauerten die Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegefachkräfte bis zu neun Monate und damit viel zu lang. loe

Sozialreferentin Dorothee Schiwy erhofft sich davon, dass sich die Situation im Umfeld des Hauptbahnhofs entspannt und die Menschen nicht in andere Stadtteile ausweichen. Auf diese Weise werde die Aufenthaltsqualität an diesem zentralen Ort für alle Bevölkerungsgruppen gestärkt, Belästigungen durch Alkohol konsumierende Menschen würden reduziert.

Bei der Ausschreibung der Trägerschaft habe die Caritas vor allem durch ihre umfangreiche Erfahrung im Umgang mit suchtkranken Frauen und Männern überzeugen können, so Schiwy. Zur Zielgruppe gehören auch Migranten. Das ehemalige Ladenlokal mit 160 Quadratmetern werde auf einfachem Standard renoviert und könne bis zum Neubau des Hauses, der voraussichtlich nicht vor 2022 erfolgen wird, genutzt werden. Der Treff soll täglich von zehn bis 20 Uhr geöffnet sein. In diesem Jahr rechnet das Sozialreferat mit Kosten in Höhe von 830 000 Euro, für 2020 sind bis zu 1,6 Millionen Euro kalkuliert.

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Quelle:
SZ vom 18.07.2019/kaal
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