Hans-Jochen Vogel:"Er reißt ein Riesenloch in unsere Mitte"

Hans-Jochen Vogel, 2011

Politik und Gesellschaft stets im Blick: Hans-Jochen Vogel in seiner Wohnung in der Seniorenresidenz "Augustinum".

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Tod von Hans-Jochen Vogel löst viele Reaktionen aus - Wegbegleiter, Parteifreunde und einstige politische Gegner aus München und ganz Deutschland bekunden Respekt und würdigen seine Lebensleistung.

Von SZ-Autoren

Der Tod von Hans-Jochen Vogel am Sonntag in München hat einen stimmgewaltigen Nachhall. "Wir haben einen Mann verloren, der die deutsche Sozialdemokratie und die Politik unseres Landes maßgeblich geprägt hat", schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer am Sonntag in Berlin veröffentlichen Kondolenz an die Witwe Liselotte Vogel: "Seine Disziplin und Geradlinigkeit, sein Pflichtbewusstsein und sein christliches Menschenbild haben ihm über alle Parteigrenzen hinweg größten Respekt eingebracht." Der Tod Hans-Jochen Vogels sei auch für ihn persönlich ein großer Verlust, bekannte Steinmeier, der ebenso wie Vogel für die SPD in Regierungs- und Parteiämtern tätig war. "Sein Eintreten für den Rechtsstaat, verbunden mit seinem tiefen moralischen Gefühl, was Recht und Unrecht ist, wird mir immer in Erinnerung bleiben", schrieb der Bundespräsident.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) würdigte Vogel als "herausragende Persönlichkeit": "Über Parteigrenzen hinweg genoss er durch seine glaubwürdige Politik und authentische Art höchstes Ansehen." Als Oberbürgermeister der Stadt München habe Vogel die Entwicklung der Stadt entscheidend mitgeprägt und sich auch später stets in den Dienst der Gesellschaft gestellt. "Der Tod von Dr. Hans-Jochen Vogel berührt mich sehr", so Söder.

Ähnlich bewegt zeigte sich Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD): "Die Nachricht von Hans-Jochen Vogels Tod erfüllt mich mit großer Trauer, nicht nur als Münchner Oberbürgermeister, sondern auch ganz persönlich. Mit ihm verliert München, verliert Deutschland einen großen Sozialdemokraten, einen scharfen Analytiker und leidenschaftlichen Politiker." Als Oberbürgermeister habe Vogel München in eine neue Zeit geführt. "Es war ein großes Glück, dass er die Olympischen Spiele 1972 nach München holte. U-Bahnen wurden gebaut, neue Stadtquartiere entstanden und der Olympiapark wird für immer mit seinem Namen verbunden sein. Ohne die visionäre Politik von Hans-Jochen Vogel wäre München nicht schon 25 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zu der weltoffenen, internationalen und liebenswürdigen Stadt, wie wir sie kennen, geworden", erklärte Reiter und strich auch sein Engagement für soziale Belange heraus: "Hans-Jochen Vogel war ein großer Denker und Visionär und er hat dabei nie vergessen, für die Menschen Politik zu machen, die kein großes Einkommen, keine große Lobby hinter sich haben."

Alt-Oberbürgermeister Christian Ude, der sich mit Frau Edith regelmäßig mit den Vogels getroffen hat, erinnert sich besonders gut an ein Treffen an Christi Himmelfahrt 1968, als Vogel mit dem damaligen Jungredakteur und Juso-Pressesprecher Ude in einem "stundenlangen Gespräch ausgelotet hat, wie sich der Konflikt der Generationen und Milieus überwinden lässt". Ein Ergebnis gab es nicht, "aber das war die Grundlage für ein jahrzehntelanges Vertrauensverhältnis". Es sei beeindruckend, wie viel ehrenamtliches Engagement Vogel im Ruhestand auf sich genommen habe - seine Kontakte zu versilbern, sei ihm nie in den Sinn gekommen.

"Hans-Jochen Vogel war ein großer Mann, da stehen wir alle mit der gleichen Meinung zusammen - egal, welcher Partei wir angehören", sagte Walter Zöller, Jurist und von 1972 bis 2020 CSU-Stadtrat. Die Nachricht von Vogels Tod habe ihn "tief betroffen gemacht": "Ich habe ihn bewundert wegen seiner juristischen Fähigkeiten." Vogel hatte einen Teil seiner Ausbildung bei Zöllers Vater absolviert und später - "bei bitterer Kälte" - die Grabrede für seinen Mentor gehalten.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, strich in ihrer Reaktion heraus: "Hans-Jochen Vogel hatte in seiner Jugend den Aufstieg der Nationalsozialisten und die Zerstörung des Landes im Krieg miterlebt; als Jugendlicher wurde er Zeuge des Novemberpogroms 1938. Der Drang, die demokratische Kultur der Bundesrepublik zu bewahren und zu schützen, wurde zu einer Triebfeder seines politischen Handels. Auch das Gedenken an die Opfer der NS-Zeit war ihm ein Herzensanliegen; noch bis ins höchste Alter nahm er regelmäßig an den Gedenkveranstaltungen zum 9. November teil. Er stand zeit seines Lebens an der Seite der jüdischen Gemeinschaft, die ihm wie unser ganzes Land ein ehrendes Andenken bewahren wird."

Claudia Tausend, Vorsitzende der Münchner SPD, sagte: "Die Nachricht von seinem Tod hat mich tief getroffen. Bis zuletzt war Hans-Jochen Vogel der beste Anwalt für ein soziales Bodenrecht, auf ihn gehen viele Teile der aktuellen Baugesetzbuch-Reform zurück. Auf seinen Rat konnte man sich immer verlassen, fundiert aber auch diskret. Seine Appelle, seine Redebeiträge haben uns immer klar gemacht, wofür Sozialdemokratie steht und wofür wir arbeiten. Wir verneigen uns vor einem beispiellosen Lebenswerk und einem beispiellosen Menschen, dessen Charakterzüge wir gerade heute so dringend weiter gebraucht hätten."

Anne Hübner, SPD-Fraktionschefin, erklärte: "Mit Hans-Jochen Vogel verliert München einen überzeugten Sozialdemokraten, der die Geschichte unserer Stadt entscheidend geprägt hat - als Oberbürgermeister, aber auch bis zuletzt als Ehrenbürger und politischer Denker, der eine klare Haltung immer mit fortschrittlichen Ideen zu verbinden wusste."

Christian Müller, SPD-Fraktionschef, sagte: "Hans-Jochen Vogel hat München gestaltet und in die Moderne geführt, sein Wirken wird bleiben. Besonders stolz war er selbst auf die Olympischen Spiele 1972 und das, was zuvor in der Stadt neu geschaffen wurde: Infrastruktur, Wohnraum und der Olympiapark, der weltweit zum Symbol für das neue, friedliche und weltoffene München geworden ist. Die SPD ist Hans-Jochen Vogel zutiefst dankbar."

Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) würdigte ihn als "herausragende Person, die die Stadt geprägt hat wie kaum ein anderer. Und das geht weit über die Olympischen Spiele hinaus, auch Projekte wie Neuperlach sind mit seinem Namen verbunden. Zu seiner Zeit ist ganz viel passiert, auf das wir in München immer noch stolz sind."

Keiner habe ihren Lebensweg so eng begleitet wie Hans-Jochen Vogel, sagt die frühere Bayern-SPD-Landeschefin Renate Schmidt: "Ich bin unendlich traurig". Vogel sei großer bayerischer, deutscher, aber auch europäischer Sozialdemokrat gewesen: "Sowas haben wir nicht so häufig in der SPD." Er habe immer verstanden, wie es den Menschen gehe und sich für die soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Der letzte Brief, den sie von ihm erhalten hat, ist von Ende Mai. Vogel forderte sie auf, seine Bodenrechtsreform zu unterstützen. Der Körper sei sehr gebrechlich gewesen, das habe sie bei ihrem letzten Besuch bei Vogel erlebt, sagt Schmidt, sein Geist aber sei noch völlig klar gewesen. Sie selbst habe viel von ihm gelernt, auch, warum es Klarsichthüllen als Ordnungselemente brauche.

"Es ist ein bisschen der Tag, von dem man nie wollte, dass er kommt", sagt Natascha Kohnen, Landeschefin der Bayern-SPD. Die Bedeutung von Hans-Jochen Vogel für die Bayern-SPD sei "kaum in Worte zu fassen". Er sei visionär, voller Energie und Überzeugungskraft gewesen, auch streng, aber unglaublich liebenswert. "Er reißt ein Riesenloch in unsere Mitte." Die letzten Jahre habe sie mit Vogel in sehr intensivem Kontakt gestanden, weil sie beide das Thema Wohnen als eines der wichtigsten einstuften. Immer wieder sei Vogel, der für eine Bodenrechtsreform gekämpft hat, zu ihr gekommen und habe gesagt: "Es ist der Boden", erinnert sich Kohnen. Diese Hartnäckigkeit sei manchmal anstrengend, aber wahnsinnig toll gewesen: "Das ist unersetzlich."

Günter Steinberg, Wiesnwirt vom Hofbräuzelt, erinnert sich an eine frühe Begegnung mit Vogel: "Er war damals Oberbürgermeister, als ich 1966 Faschingsprinz der Narrhalla wurde. Damals hat der OB bei der Inthronisation eine Ansprache gehalten und symbolisch die Schlüssel der Stadt übergeben. Vogel sagte: ,Wenn ich den Prinzen und die Prinzessin so sehe, dann muss ich immer an Goethes Götz von Berlichingen denken ...' Wir haben dann wohl ziemlich verblüfft geschaut, er lachte und sagte dann gleich: ,Nein, nein, es gibt schon noch ein anderes Zitat daraus.'" Später begegneten sie sich häufig in einem Verein, in dem Politiker und Wirtschaftsleute über die christlichen Werte in unserer heutigen Zeit sprechen: "Ich erinnere mich, dass Vogel auch in hohem Alter noch sehr gute Beiträge beigesteuert hat."

"Beeindruckend war für mich die Kontinuität in seinem Denken und Handeln", sagt Johano Strasser. Der Schriftsteller und ehemalige PEN-Präsident hatte als Mitglied der SPD-Grundwertekommission viel mit Vogel zu tun. "Er war immer sehr aufgeschlossen für jedes gute Argument, egal, aus welcher Ecke es kam." Als Strasser noch in Berlin lebte und Vogel dort kurzzeitig Regierender Bürgermeister war, hatte er ihn zusammen mit Hausbesetzern in seine Wohnung eingeladen: "Das war eine sehr spannende Diskussion. Und man hat gemerkt, wie aufgeschlossen er selbst für Argumente war, die aus einem Milieu kamen, das ihm völlig fremd war."

Der Münchner Kardinal Reinhard Marx würdigte Vogel als einen Menschen, für "dessen Handeln das christliche Menschenbild leitend gewesen" sei. "Es war nicht unbedingt selbstverständlich, wie Hans-Jochen Vogel als Sozialdemokrat sein Katholisch-Sein und seine damit verbundenen moralischen Grundsätze öffentlich bekannte und lebte." Zeit seines Lebens habe er auf Missstände hingewiesen und den Blick der Verantwortlichen auf Ungerechtigkeit gelenkt.

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Er suchte nie seinen Vorteil, konnte seine Pingeligkeit aber auch zelebrieren: als Münchner Oberbürgermeister, Regierender Bürgermeister Berlins, Justizminister, SPD-Chef, Oppositionsführer, Kanzlerkandidat. Zum Tod von Hans-Jochen Vogel.

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