Süddeutsche Zeitung

Große Anteilnahme am Tod Hans-Jochen Vogels:"Warst a guada Bürgermeister"

Im Kondolenzbuch der Stadt für ihren Ehrenbürger Hans-Jochen Vogel finden sich Worte großer Zuneigung, tiefe sozialdemokratische Trauer und eine rote Opern-Reminiszenz. Nach der Beisetzung im kleinen Kreis folgt am Montag die offizielle Trauerfeier.

"Warst a guada Bürgermeister. Dankschee, eine alte Münchnerin." Worte der Dankbarkeit, niedergeschrieben im großen, schwarzen Kondolenzbuch, welches die Stadt München einige Tage lang im Münchner Rathaus für ihren verstorbenen Ehrenbürger ausgelegt hatte. Im Durchgang zum Prunkhof - obwohl Hans-Jochen Vogel ja doch gerade keinen Hang zu Prunk und Privilegien hatte. Gerade diese Selbstbeschränkung vergelten ihm viele Menschen nun mit liebevollen Einträgen im Kondolenzbuch. Auch die "alte Münchnerin" Elfriede Mayer.

"Seine Integrität hat Maßstäbe für die darauf folgenden Generationen von Politiker*innen gesetzt", schreiben Dominik Krause, Anna Hanusch und Florian Roth für die Grünen-Stadtratsfraktion, und sie sind nicht die einzigen, die sich so tief vor dem verstorbenen Alt-Oberbürgermeister verneigen.

Auf einer anderen Seite dieses Erinnerungsbuches tut dies beispielsweise der Münchner Journalist Ulrich Chaussy, den die Stadt als unermüdlichen Kämpfer für die Aufklärung des Oktoberfest-Attentates von 1980 kennt. Er schreibt: "Wenn ich versuche, mir die Integrität als eine Person vorzustellen, dann muss ich an Dr. Hans-Jochen Vogel denken. Möge der Herrgott, den er immer wieder mal zitiert hat, wenn ihm etwas wichtig war, uns Münchnern und Bürgern der Bundesrepublik von Zeit zu Zeit einen solchen Charakter als Politiker vorbeischicken."

Ein anderer Eintrag fasst sozialdemokratische Sehnsüchte des Jahres 2020 knapp so zusammen: "Lieber Herr Dr. Vogel! Vielen Dank für Ihr Engagement - so müsste die heutige SPD sein!" Wobei Vogel seiner SPD ja in den vergangenen Jahren vor allem für eine Reform des Bodenrechts im Kampf gegen die voranschreitende Immobilienspekulation recht eindringliche Texte ins Stammbuch geschrieben hat. Dieses - neben vielen anderen Themen - aktuellste politische Vermächtnis Vogels sprechen einige Einträge im Kondolenzbuch an. So etwa Bernadette-Julia Felsch, die auch ADFC-Landesvorsitzende in Bayern ist und sich in ihrem Abschiedsgruß noch einmal sehr persönlich bedankt für "Ihre Unterstützung bei meiner Diplomarbeit zum Bodenrecht und viele nette Briefe, die darauf gefolgt sind".

SPD-Genossin Ulrike Boesser nutzt die Gelegenheit gar, Hans-Jochen Vogel nun als einen ganz besonderen Verbündeten aller anzusprechen, welche sich vom Bodenspekulantentum drangsaliert fühlen: "Es ist so schade, dass Du die soziale Bodenrechtsreform nicht mehr erleben wirst. Aber wenn es einen Himmel gibt, wirst Du sicher streng darüber wachen, dass sie sehr bald kommt. Danke für Deinen nimmermüden Einsatz für die Demokratie!" Und sie schließt, wie einige Mittrauernde auch, mit dem alten sozialdemokratischen Gruß "Freundschaft!".

Eine besondere Reverenz stellt der Eintrag des Münchner Komponisten Wilfried Hiller und der Künstlerin Antje Tesche-Mentzen dar. Dem 79-Jährigen war's offenbar ein Herzensanliegen, er hat seinen dreiteiligen Eintrag sorgsam daheim vorbereitet und dann was Hübsches ins Kondolenzbuch geklebt - einen Text, ein Bild und ein paar Musiknoten. "Eines Morgens um 5 Minuten nach 6 läutete mein Telephon. ,Hier ist Hans-Jochen Vogel. Stimmt es, dass ich in einer Oper von Ihnen vorkomme?' Als ich bejahte, sagte er, ,dann kommen Sie doch am nächsten Donnerstag zu meinem Stammtisch ins Alte Rathaus'." Die Zeichnung zeigt das Nashorn aus der Oper "Norbert Nackendick & der Lindwurm und der Schmetterling", in der Vogel vorkommt. Darunter hat Hiller das "Lied des Vogels mit dem roten Schnabel" von Hand aufnotiert, "in dankbarer Erinnerung an den Gesprächskreis im Alten Rathaus, im Neuen Rathaus und im Augustinum" - der Wohnstätte des Ehepaars Vogel.

Bleibt ein kleiner Wermutstropfen: Eintragen durfte sich nur, wer den eigenen Stift mitbrachte, wie Erika Höhenberger, die begeistert war von Vogel und "Ehre, wem Ehre gebührt" ins Buch schrieb. Etliche scheiterten an dieser Stift-Regel - angesichts eines Ehrenbürgers, der olympisch groß denken konnte, fanden die Enttäuschten das kleinlich von der Stadt.

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SZ vom 03.08.2020/imei
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