Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Bühne? Frei!:Zoomen im Finkenzoo

Kultur-Lockdown, Tag 120: Der Moderator und Kabarettist will bald wieder Leute zusammenbringen

Gastbeitrag von Hannes Ringlstetter

Harald Schmidt hat mal auf die Frage, ob und was ihm denn fehle seit dem Ende seiner Late-Night-Show, geantwortet, nur das Warm Up, die Show selber nicht. Und ich glaube zu wissen, was er damit meinte. Über vier Jahre lang bin ich mit Caro Matzko zusammen ins Studio vor Hunderte Leute getreten, und wir konnten sie mit dem nahezu immer gleich strukturierten Warm Up in eine Stimmung bringen, dass sie trotz der Kameras in eine Wohlfühl- und Erlebniszone eintauchen, und wir haben in diesen paar Warm Up Minuten aus den vielen Menschen, die als Fremde aus allen Himmelsrichtungen in diesem technisch überrüsteten Studio gelandet sind, eine Freudengemeinschaft gemacht. Wir haben sie aufgewärmt.

Gerade hab ich wieder eine dieser, seit einem Jahr mein (und viele andere) Leben bestimmenden, unseligen Zoom-Konferenzen hinter mir, in der ich mit anderen zusammen versucht habe, eine lustige und unterhaltsame Fernsehsendung auf Distanz zu kochen. Bei der Caro piepsen im analogen Hintergrund nervig die Zebrafinken, und die Tochter sitzt essend auf ihrem Schoss mit einer Stofftier-Avocado; bei meinem Chefredakteur kommt der Sohn ins Zimmer und schreit: "Wo ist mein Lichtschwert?!"; eine Redakteurin hat als Bildhintergrund ein Wiesnzelt eingerichtet (fehlt ihr wohl); und ein anderer Redakteur sitzt virtuell auf der Rückbank eines Aston Martin neben Sean Connery. Das wäre als solches lustig, wenn man aus diesem Setting nicht etwas Brauchbares herausholen müsste, stattdessen sich jeder einen Gin Tonic holen könnte und ...

Online kreativ zu sein, ist schrecklich für mich, denn ich brauche das Augen-Ping-Pong, das Lachen des Gegenübers, die Berührung, den konstruktiv reibenden Streit, und vor allem das Blödsinnmachen. Ob mit meiner Band, meinen Teams, meinen Bühnenpartnern oder im Film-Set-Ensemble, das was mich an meiner "Arbeit" immer erfreut und fasziniert hat, war der Kindergartenausflug, das Blödeln, das Nicht-erwachsen-sein-müssen und dass daraus was entsteht, das das Publikum ebenfalls in ein Gefühl des Gedankenverloren-im-Sandkasten-spielens katapultiert. Das war und ist mein Antrieb und meine Lust auf Unterhaltung. Mir fehlen "meine" Leute, und die Show ist ja dann auch noch in einem leeren Studio. Ohne Leute.

Von Karl Valentin ist der Spruch: "Der Mensch ist nicht das Problem, sondern die Leut'!" Und ja, mir sind die Leute auch schon auf die Nerven gegangen. Oft war ich fast auf der Flucht vor zuviel Begegnung. Angst vor Distanzlosigkeit und vor Lob oder Ablehnung und spontaner Diskussion. Rückzug war oft mein Wunsch.

Und jetzt? Mir fehlen die Leute. Und ich werde demütig. Zum Einen, weil ich so wundervolle Gemeinschaftsmomente auf Bühnen aller Art in den letzten Jahren erleben durfte, mit an sich reibenden, Wärme produzierenden Menschen, und weil ich dafür verdammt dankbar sein sollte. Und zum Anderen, weil ich im Gegensatz zu den meisten anderen Bühnenkünstlern das Fernsehen als Ausgleich habe. Aber am meisten treibt mich ein positiver Zukunftsgedanke: Wir Kunstschaffende sollten unter welchen Umständen auch immer Kunst schaffen und immer vor Augen haben, welches unfassbare Glück es ist, diese Wärme und Gemeinschaft erzeugen zu können. Das sollte unser lautes Credo werden diesen Sommer, wenn es zumindest wieder ein bisschen geht: Warm up the People, erschaffen wir Gemeinschaft, gegen die Spaltung und für das Miteinander! Ob leise, laut, lustig, ernst oder kritisch. Bringen wir die Leute zusammen. Ach ... Leute ... Ihr habt mir echt gefehlt. Will ich dann sagen ... Und dann Warm Up!

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Quelle:
SZ vom 01.03.2021
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