Umwelt:Was ist wichtiger - Wohnen und Wirtschaft oder das Klima?

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Im Winter sieht die brachliegende Fläche nahe Neubiberg zwar etwas trist aus, dem Klima hilft die freie Schneise aber das ganze Jahr über - und Spaziergänger freuen sich auch. (Foto: Florian Peljak)

Das Hachinger Tal dient als Frischluftschneise, bei Hitze hilft es, die Stadt zu kühlen. Nun wird erwogen, das Gebiet zu bebauen. Damit sind nicht alle einverstanden.

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Eine kleine Brücke führt über den Hachinger Bach, der sich beruhigend und fast schon romantisch gurgelnd nach München hineinschlängelt. Es geht ein paar Meter weiter durch eine Siedlung bis zur Unterhachinger Straße, und dann öffnet sich der Blick auf weite Äcker, im Sommer gibt es hier Erdbeeren zum Selbstpflücken. Geradeaus rauscht hinten die A8, rechts liegt der Südfriedhof und links gibt es einen ziemlich freien Blick auf Breitwand-Alpenpanorama. So sieht also eine Frischluftschneise aus.

"Alpines Pumpen" heißt das Luftaustauschsystem, das der Deutsche Wetterdienst so beschreibt: "Tagsüber weht der Wind in Richtung Alpen und nachts strömt kühle Luft aus den Alpen in Richtung Stadt." Es helfe besonders bei sommerlicher Hitze, die Stadt zu durchlüften. Das Hachinger Tal, zu dem diese Freifläche am südlichen Münchner Stadtrand gehört und das Teil des regionalen Grünzugs ist, gilt als eine der Schneisen, durch die das Pumpen verläuft. Was macht es mit dem Klima auch in der inneren Stadt, wenn die Äcker teilweise bebaut würden?

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In dieser Woche hat der Stadtrat den "Klimanotstand" ausgerufen. Und unabhängig von diesem eher symbolischen Schritt hat der Stadtrat die Verwaltung verpflichtet, ihre Entscheidungen noch mehr als bisher auf Klimaverträglichkeit abzuklopfen. Das aber, so zeigt es exemplarisch das ebenfalls im Dezember vom Stadtrat behandelte Thema "Hachinger Tal", wird in Zukunft regelmäßig in Konflikt treten mit einem anderen Notstand. Er ist zwar nicht offiziell ausgerufen, aber kein Mensch von Verstand würde ihn in Abrede stellen: den Wohnungsnotstand. München wird weiter wachsen, laut dem jüngsten Demografiebericht der Stadt von 1,56 Millionen Menschen im Jahr 2017 auf 1,85 Millionen im Jahr 2040.

Pläne für neue Siedlungsgebiete etwa im Norden, rund um den Ortskern von Feldmoching, oder im Nordosten, hinter Daglfing, Englschalking und Johanneskirchen, stoßen lokal auf erheblichen Widerstand. Der kommt vor allem von Menschen, die schon dort leben und die Angst haben um ihre Lebensqualität mit viel Grün vor der Haustür oder um die Landwirtschaft, die sie betreiben. Eine weitere Quelle von Widerstand könnte künftig die Frage werden, welche Auswirkungen neue Siedlungen auf das Stadtklima haben. Das nämlich betrifft nicht nur jeweilige Anrainer, sondern im Prinzip alle Münchnerinnen und Münchner.

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Im Fall des Hachinger Tals gibt es Überlegungen, das weitgehend landwirtschaftlich genutzte Areal zwischen A8 und Hachinger Bach teilweise zu bebauen, und zwar beidseits der Stadtgrenze zwischen München und Neubiberg. Beide Kommunen gaben ein "Interkommunales Strukturkonzept Hachinger Tal" in Auftrag, das nun dem Münchner Stadtrat vorgelegt wurde. Stadtbaurätin Elisabeth Merk betont in ihrer Beschlussvorlage, es handele sich nicht um eine "formale Planung, sondern um eine Grundlagenarbeit für etwaige Entwicklungen". Aus verschiedenen Varianten entstand ein Vorzugskonzept, mit dem Merk weiter arbeiten möchte, um dann möglicherweise in die Bauleitplanung einzusteigen, an deren Ende die Schaffung von Baurecht stehen würde.

Das Vorzugskonzept sieht auf Münchner Flur entlang der Unterhachinger Straße, zwischen Südfriedhof und Stadtgrenze, ein Potenzial von 600 bis hin zu 1600 Wohnungen (wenn der Hochwasserschutz am Hachinger Bach umgeplant wird), plus einem Schulstandort. Auf Neubiberger Grund sind neben 100 bis 120 Wohnungen und einem weiteren Schulstandort vor allem große Gewerbeflächen vorgesehen. Alle infrage kommenden Areale lägen am Rande des Hachinger Tals, in der Mitte bliebe eine Freifläche. Ob und wie sehr die Frischluftschneise durch die Bebauung Schaden nähme, ist noch unklar.

München und Neubiberg wollen die Planungen in einem vom Freistaat geförderten interkommunalen Modellprojekt vorantreiben und dabei auch überlegen, wie der öffentliche Nahverkehr und die Radwege verbessert werden könnten. Bei der Infrastruktur wären große Fragen zu lösen. Die Unterhachinger Straße ist schon oft überlastet, auch wegen der Schranke am Übergang zur S-Bahn-Strecke Richtung Kreuzstraße, die wiederum - man mag es eigentlich nicht für möglich halten - noch auf Münchner Stadtgebiet eingleisig ist.

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Doch von den Verkehrsfragen, die Merk nun parallel zu einem klimaökologischen Gutachten über die Auswirkungen der Bebauung untersuchen will, wollen einige Stadträte noch gar nichts hören. In der Debatte des Planungsausschusses äußerte sogar die an sich wachstumsfreundliche FDP "erhebliche Bedenken wegen der Vorgehensweise", wie Stadtrat Michael Mattar erklärte. "Wir sind der Meinung: Als erstes braucht es ein klimaökologisches Gutachten. Und dann braucht es vielleicht gar keine weiteren Untersuchungen, weil das Hachinger Tal so sensibel ist, dass es keinesfalls weiter bebaut werden darf". Das fand sogar die Linke Brigitte Wolf "am vernünftigsten, ich staune über mich selbst". Letztlich verpflichtete eine breite Mehrheit das Planungsreferat dazu, "als ersten Schritt ein mikroklimaökologisches Gutachten" in Auftrag zu geben. Es soll klären, was eine Bebauung des Hachinger Tals für das Stadtklima bedeuten würde. Dabei einzubinden seien die "von der Frischluftzufuhr berührten Gemeinden".

Insbesondere gemeint ist das benachbarte Neubiberg. Dort gibt es im Gemeinderat Unruhe, weil der Vorwurf im Raum steht, Bürgermeister Günter Heyland (Freie Wähler) habe die Ansiedlung eines großen Gewerbegebiets weiter vorangetrieben als bisher bekannt. Für das Neubiberger Gewerbesteuersäckel wäre das eine gute Sache. Aber fürs Klima? Und was ist, wenn die Münchner aus ökologischen Motiven auf Bebauung verzichten, ihnen die Neubiberger aber zwei Gewerbegebiete vor die Tür stellen wollen? Die Klimafrage ist nicht nur eine Herausforderung für einzelne Kommunen, sondern auch für die oft beschworene interkommunale Zusammenarbeit. Stefan Schelle, Bürgermeister in Oberhaching und Vorsitzender des Regionalen Planungsverbandes, in dem es um genau solche Fragen geht, sagte kürzlich über die Pläne Neubibergs im Hachinger Tal: "Das müssen wir bremsen."

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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