Ganztagsbetreuung:Der große Mittagsstreit

Ganztagsbetreuung: Vier Frauen, ein Problem: Für Gaby Meier, Andrea Obermüller, Ina Carmiel und Rita Casper (von links) wäre es ein "Frevel", würde die Stadt langjährige Konzepte der Mittagsbetreuung durch die neue "Kooperative Mittagsbildung" einfach zerstören.

Vier Frauen, ein Problem: Für Gaby Meier, Andrea Obermüller, Ina Carmiel und Rita Casper (von links) wäre es ein "Frevel", würde die Stadt langjährige Konzepte der Mittagsbetreuung durch die neue "Kooperative Mittagsbildung" einfach zerstören.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Die Stadt München plant, flächendeckend eine neue Ganztagsbetreuung für alle Grundschulkinder einzuführen.
  • Derzeit erproben schon zehn Schulen in München das neue Modell namens "Kooperative Ganztagsbildung".
  • Einige Münchner Mittagsbetreuungen haben jetzt einen Brandbrief geschrieben: Sie fürchten, dass bei der Umstellung Plätze verloren gehen könnten.

Von Jakob Wetzel

Die Camerloher Grundschule ist nur ein Beispiel. Die Schule in Laim erhält derzeit einen Neubau. Mit ihm wäre sie baulich dafür gerüstet, eine Ganztagsschule zu werden. Bereits Ende 2022 soll alles fertig sein. Und für Gaby Meier verheißt das nichts Gutes. Meier leitet die Mittagsbetreuung "Camerloher Kids" - 270 Kinder werden hier nach dem Schulunterricht betreut, sie beschäftigt 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch die Frage ist, wie lange noch. "Der Neubau wächst", sagt Meier. "Mit jedem Kubikmeter Beton, der angeliefert wird, wächst bei uns die Sorge um den Arbeitsplatz." Und sie warnt: Nicht nur auf die Mitarbeiter kämen Probleme zu. Es gehe um mehr.

Was Meier und ihrem Team Sorgen bereitet, ist eine Reform, die für Münchner Grundschulen das Zeug hat zur Revolution. Damit jedes Grundschulkind auch am Nachmittag betreut werden kann, soll flächendeckend ein neues Betreuungsmodell eingeführt werden, die "Kooperative Ganztagsbildung". Das Modell sieht vor, dass jede Schule eng mit einem einzelnen Partner für den Nachmittag zusammenarbeitet. Die bisherigen Angebote, unter anderem die Mittagsbetreuungen, sollen dann dagegen keine neuen Kinder mehr aufnehmen und nach einer Übergangsphase abgewickelt werden.

Derzeit erproben schon zehn Schulen in München das neue Modell, im Herbst kommen voraussichtlich drei dazu, wenn der Stadtrat zustimmt, nämlich die Grundschulen an der Konrad-Celtis-Straße in Sendling, an der Schrobenhausener Straße in Laim und am Mariahilfplatz in der Au, die derzeit an der Hochstraße untergebracht ist. Die Stadt setzt große Hoffnungen auf das Modell: Ab 2025 soll jedes Grundschulkind einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung haben, und mit der "Kooperativen Ganztagsbildung" soll jeder Erstklässler garantiert einen Betreuungsplatz erhalten. Für Eltern verheißt das im Idealfall einen entspannten Übergang vom Kindergarten zur Grundschule: Sie müssen nicht mehr um einen Betreuungsplatz bangen wie bisher häufig, sondern bekommen eine Garantie.

Gerade an einen reibungslosen Übergang aber glauben einige Mittagsbetreuungen nicht. Knapp zwei Dutzend von ihnen haben jetzt einen Brandbrief geschrieben. Auch an Oberbürgermeister Dieter Reiter haben sie sich nach eigenen Angaben gewandt. Sie wollen die "Kooperative Ganztagsbildung" nicht verhindern, aber sie warnen vor der Art und Weise, wie sie eingeführt werden soll: Gehe die Stadt weiter so vor wie bisher, sei nicht nur die Qualität der Grundschülerbetreuung gefährdet. Es bestehe auch die Gefahr, dass das Gegenteil dessen geschieht, was beabsichtigt ist: nämlich dass Betreuungsplätze verloren gehen. "So, wie die Stadt vorgeht, geht das schief", sagt Rita Casper, Chefin der Mittagsbetreuung "Lüderix" an der Fritz-Lutz-Grundschule in Zamdorf. "Dann werden wir 2025 weniger Plätze haben als heute."

Mit dem Wechsel auf das neue Modell gehen Mitarbeiter verloren, warnen die Mittagsbetreuungen. Dabei gebe es schon jetzt zu wenig Personal. Eigentlich sollen die Angestellten der Mittagsbetreuungen zwar in das neue Modell übernommen werden; weil dort anders als in Mittagsbetreuungen nur Fachleute tätig sein dürfen, sollen diejenigen, die keine Ausbildung zum Erzieher oder zum Kinderpfleger haben, berufsbegleitend nachqualifiziert werden. Das Bildungsreferat teilt deshalb mit, es gebe für das Personal Beschäftigungssicherheit. Doch nach Einschätzung der Mittagsbetreuungen sind jene Nachqualifizierungen wegen des Aufwands in der Praxis problematisch oder gar nicht realisierbar.

Zudem fühlen sich die Mittagsbetreuungen übergangen. Denn eigentlich müssten sie nicht unbedingt verschwinden, heißt es in einem Stadtratsbeschluss; sie könnten sich auch selbst darum bewerben, die "Kooperative Ganztagsbildung" an ihrer Schule zu übernehmen. Tatsächlich aber hat die Stadt genau das in den meisten Fällen ausgeschlossen. Im November 2019 hat der Stadtrat ein Trägerauswahlverfahren beschlossen. Da heißt es: An Schulen, an denen das Bildungsreferat schon eine eigene Einrichtung wie einen Hort oder ein Tagesheim betreibt, übernehme die Stadt "grundsätzlich selbst die Trägerschaft der Kooperativen Ganztagsbildung".

Langjährige gute Konzepte würden zerstört

Am Großteil der derzeit 137 Grundschulen in München hätten andere Träger demnach von vornherein keine Chance, klagen die Mittagsbetreuungen. Das gilt auch für die Camerloher Schule, denn dort gibt es einen städtischen Hort - dabei ist die Mittagsbetreuung mit ihren 270 Kindern deutlich größer als der Hort mit seinen laut Bildungsreferat derzeit 111 Kindern.

Auch dort, wo sich Mittagsbetreuungen bewerben könnten, werde im Auswahlverfahren zudem nur ein Konzeptpapier berücksichtigt, ärgert sich Ina Carniel, Chefin der Mittagsbetreuung an der Grundschule an der Oberföhringer Straße in Bogenhausen. Die gute Zusammenarbeit mit den Schulen spiele dagegen keine Rolle. Andrea Obermüller, Leiterin der Mittagsbetreuung an der Grundschule an der Boschetsrieder Straße in Obersendling, spricht von einem "Frevel": Langjährige gute Konzepte würden zerstört, Konzepte wie im Fall ihrer Mittagsbetreuung zum Beispiel das Projekt "Gala-Essen", bei dem die Kinder Tischmanieren lernen, oder das Projekt "Geld verdienen, Geld ausgeben", ein Rollenspiel, das Kindern ein Verständnis für den Wert von Arbeit vermitteln soll.

All das werde nicht wertgeschätzt, klagt Obermüller. "Aber was passiert, wenn eine Mittagsbetreuung sagt: Wenn bei uns die Kooperative Ganztagsbildung eingeführt wird, hören wir sofort auf?" Aus Frust?

Das Bildungsreferat erklärt dazu, die Stadt lege großen Wert auf ein gutes Einvernehmen mit den Mittagsbetreuungen. Die Mittagsbetreuungen dagegen fordern in ihrem Schreiben einen fairen Wettbewerb um die Trägerschaft - und vor allem einen flexibleren Übergang. Es sei in Ordnung, ausschließlich Fachkräfte neu einzustellen, sagt Gaby Meier. Aber den langjährigen Mitarbeitern der Mittagsbetreuungen müsse sie entgegenkommen und ihre Erfahrung und ihre Weiterbildungen honorieren, "und sie nicht einfach von der Bettkante stoßen".

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