Süddeutsche Zeitung

Parteitag der Grünen:Erst ins Wohnzimmer, dann in die Halle

In Zeiten der Corona-Pandemie einen Parteitag zu organisieren, stellt Parteien vor große Probleme. Die Grünen versuchen es am Samstag mit einem Hybrid-Modell.

Von Heiner Effern

Grünen-Chef Dominik Krause kennt nun das TÜV-Gutachten der Lüftung der kleinen Olympiahalle in Bezug auf deren Corona-Tauglichkeit. Die Mitglieder seiner Partei, die sich völlig unspontan persönlich anmelden mussten, erhalten vorab ein Schreiben, welchen Eingang sie nutzen dürfen und welchen nicht. Möglicherweise stehen auch noch weitere Anweisungen drin, die am Samstag gelten werden: dass sie einer von zwei Gruppen zugeteilt sind, die sich mit der anderen nicht vermischen darf. Dass sie ihren Sitzplatz nicht verlassen dürfen, außer mal kurz auf die Toilette. Dass Gegenverkehr auf den Gängen nicht erlaubt ist. So eine Stadtversammlung, sagt Krause, "gab es vorher noch nicht".

Vorher, das heißt bevor das Coronavirus auch das politische Leben auf bis dahin nicht vorstellbare Weise verändert hat. Die Grünen versuchten sich erst wie einige andere an einem reinen Digitalparteitag, der nächste Versuch läuft nun unter der Vorgabe "hybrid". Am Vormittag sollen die Mitglieder vor ihren Bildschirmen sitzen, sich Haushaltsberichte, Strukturkommissions-Fortschritte und die Rede von Bürgermeisterin Katrin Habenschaden anhören. Spätestens um 13.30 Uhr soll dann Pause sein, und die 350 Münchner Grünen, die sich angemeldet haben, müssen sich schleunigst in Richtung kleine Olympiahalle aufmachen, um den zweiten Teil ihrer Stadtversammlung nicht zu verpassen. Dort steht die wichtigste Entscheidung des Tages an, nämlich welches Duo die Partei in München die kommenden zwei Jahren führen wird.

Krause, auch Fraktionsvize im Stadtrat, und seine Kollegin an der Spitze, die Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel, beenden das kurze Intermezzo, zu dem sie sich zusammengefunden haben. Bei Demirel kommt das später als erwartet; sie war eingesprungen, als die damalige Vorsitzende Gudrun Lux vor der Kommunalwahl überraschend hingeschmissen hatte; Demirel mit der Ansage, gleich danach wieder aufzuhören. Bei Krause wiederum naht das Ende schneller als manche gedacht haben mögen. Auch er hat noch keine ganze Amtszeit von zwei Jahren hinter sich. Er selbst begründet das mit den gestiegenen Anforderungen der Regierungsarbeit im Stadtrat und der daraus entstehenden größeren Bedeutung der Trennung von Amt und Mandat. Außerdem habe er besonders für die Kommunalwahl ein Scharnier zwischen Rathaus und Partei sein wollen. Nun gleich eine komplett neue Doppelspitze zu wählen, das sei doch "eine runde Sache".

Eigentlich wollten die Grünen ihren Parteitag mit dieser anstehenden Wahl in mehreren Räumen dezentral abhalten und auch dezentral abstimmen. Sie planten den Parteitag auf dem Muffatgelände in der dortigen Halle, im davon abgetrennten Ampere, im Außenbereich und an einem weiteren Ort in der Nähe. Die Redebeiträge sollten hin und her gesendet werden, bei der Abstimmung sollten elektronische Geräte zum Einsatz kommen. Auch das wäre ein neuartiger Parteitag gewesen, dezentral statt hybrid. Doch die Grünen entschlossen sich, bei dieser Gelegenheit auch noch Delegierte zu wählen, die im kommenden Jahr über die Liste der Partei zur Bundestagswahl mitabstimmen sollen. Da waren sie sich aber nicht zu hundert Prozent rechtssicher, das nicht in einem Saal zu tun. Also wohin? Für die angemeldeten 350 Mitglieder gibt es in München nicht viele Räume, in denen sich die eng mit dem Kreisverwaltungsreferat erarbeiteten Hygieneregeln einhalten lassen. Deshalb greifen die Grünen nun tief in ihre Kasse und zahlen einen niedrigen fünfstelligen Betrag für die Olympiahalle. "Sicher ist sicher", sagt Krause.

Die Grünen sind nicht die einzigen unter den großen Parteien, bei denen Vorstandswahlen anstehen, die nicht digital erfolgen können. "Wir haben das gleiche Problem", sagt SPD-Sprecher und Parteivize Roland Fischer. Noch im Herbst wäre die Neuwahl fällig. Der Stadtvorstand wird am kommenden Montag darüber beraten. "Wir werden alle Optionen ergebnisoffen durchsprechen", sagt Fischer. Im Bund gebe es eine Initiative, den rechtlichen Rahmen für solche Parteiveranstaltungen zu ändern. Das geschehe aber erst im kommenden Jahr, könnte aber die Organisation erleichtern. Entscheidet sich der jetzige Vorstand dafür, müsste er kommissarisch länger im Amt bleiben. Eine Möglichkeit wäre auch ein kurzer, klassischer Parteitag. Die SPD hat dabei im Gegensatz zu den Grünen den Vorteil, dass bei ihr nicht alle Mitglieder, sondern nur Delegierte eingeladen sind. Fischer rechnet mit 120 bis 150 Besuchern, das könnte mit den entsprechenden Hygienevorschriften zu schaffen sein.

Genau diesen Weg will die FDP gehen, die sich - wie anfangs die Grünen - für die Muffathalle als Austragungsort entschied. Stadtchef Fritz Roth hat bereits angekündigt, dass er nicht mehr antreten, sondern sich verstärkt um sein im Frühjahr gewonnenes Stadtratsmandat kümmern will. Abstimmen dürfen nur die Mitglieder, die in der Halle erscheinen. "Wir werden aber versuchen, auch eine digitale Teilnahme zu ermöglichen", sagt er. Mit 150 bis 200 Teilnehmern rechnen die Liberalen, das Hygienekonzept sei eng mit dem KVR abgestimmt, sagt Roth. Eine kleine Partei wie die FDP schmerzen Kosten von die mehreren tausend Euro Miete ebenfalls entsprechend. Aber die Muffathalle biete als eine der wenigen großen Vermieterinnen ein ausgeklügeltes Konzept an, sagt Roth.

Die Grünen machen sich als stark wachsende Partei mit mehr als 3000 Mitgliedern auch Gedanken, wie sie ihre Basisbeteiligung auf Dauer gestalten und auch finanzieren können. Eine Strukturkommission erarbeitet gerade Vorschläge. Doch zuerst kommt die Premiere des Hybrid-Parteitags in der Olympiahalle. Auch wenn niemand rumlaufen und drauflos ratschen dürfe, "sind wir froh, dass wir uns alle mal wieder sehen dürfen", sagt die scheidende Stadtchefin Demirel.

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SZ vom 18.09.2020/syn
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