Süddeutsche Zeitung

Demo in München:"Wenn die AfD die Antwort sein soll, wie dumm ist dann die Frage?"

Zehntausende haben in München gegen einen Rechtsruck in der Gesellschaft und autoritäre Strukturen protestiert. Nicht einmal die Organisatoren haben mit so vielen Teilnehmern gerechnet.

Von Martin Bernstein, Ana Maria Michel, Martin Moser und Theresa Parstorfer

Auf dem Odeonsplatz sollte die Großdemonstration "Jetzt gilt's!" am Mittwoch enden. Doch für viele Teilnehmer ist schon vorher Schluss. Nicht etwa ein Zwischenfall ist daran schuld, sondern die schiere, auch von den Organisatoren nicht erwartete Menge an Menschen, die am Tag der deutschen Einheit gegen den Rechtsruck hierzulande auf die Straße gehen. Ob es die von der Polizei geschätzten 21 000 Teilnehmer sind oder doch eher 30 000 oder sogar, wie die Veranstalter vermelden, 40 000 - sie stehen jedenfalls teilweise dicht gedrängt von der Feldherrnhalle bis zum Siegestor. Einem AfD-Landtagskandidaten aus dem Landkreis München entfährt ob dieses Anblicks auf Twitter: "Mir wird ganz schlecht..."

Der Mann durfte sich durchaus angesprochen fühlen. Viele Teilnehmer haben selbst gemalte Plakate dabei, und nicht wenige zielen direkt auf die rechte Partei. "Wenn die AfD die Antwort sein soll, wie dumm ist dann die Frage?" hat eine Jugendliche auf ihr Plakat geschrieben, das sie direkt vor der Bühne auf dem Odeonsplatz in die Höhe hält. Als "Freunde und Wegbereiter der rechtsnationalen Front" bezeichnet ein Asylhelfer auf seinem Plakat das Spitzenpersonal der AfD. "Rassismus ist keine Alternative", befinden andere, und fordern: "Nationalismus raus aus den Köpfen."

Die beiden Demo-Bündnisse "NoPAG" und "Ausgehetzt" haben mit ihrem Aufruf zahlreiche Organisationen, Initiativen und Parteien versammelt, Gewerkschafter marschieren neben den "Omas gegen rechts", kirchliche Asylhelfer zusammen mit Bayern-Ultras aus der Südkurve, Vertreter der im Landtagswahlkampf konkurrierenden Parteien gemeinsam hinter einem Transparent, Flüchtlinge zusammen mit ihren Rettern und Unterstützern. Auffallend viele Familien sind unter den Demonstranten, die durch die Maxvorstadt ziehen.

"Sehr, sehr zufrieden" zeigt sich Polizeisprecher Marcus Da Gloria Martins noch während der Abschlusskundgebung. Außer ein paar wenigen Parolen, die noch überprüft werden müssten, sei nichts vorgefallen. Es habe während der rund zweistündigen Demonstration keine Festnahmen gegeben, alles sei friedlich geblieben. "Das hat gut gepasst", sagt Martins.

"Hier gilt die StVO - Schluss mit Rechtsüberholen"

Dabei müssen die 450 eingesetzten Polizisten auch massive Kritik am neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetz (PAG) zur Kenntnis nehmen. Denn auch dieses gilt vielen Demonstranten als Gefahr und als Zeichen dafür, dass autoritäre Strukturen die Demokratie gefährden. Schon im Vorfeld haben die Veranstalter davor gewarnt, dass eines Tages antidemokratische Kräfte an die Macht kommen und das PAG für sich nutzen könnten. Darauf macht am Mittwoch eine Gruppe aufmerksam, die als "Gefährder" im Demonstrationszug mitgeht. Andere kritisieren die Überwachungsmöglichkeiten durch das PAG: "Passwort vergessen? 110!" Und sie teilen in Richtung CSU aus: "Hier gilt die StVO - Schluss mit Rechtsüberholen". Über einer Karikatur von Innenminister Seehofer mit dem bundesdeutschen Wappentier steht zu lesen: "Dieser Adler braucht keinen Horst." Als "üble Stimmungsmache der PAG-Gegner" bezeichnet Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) noch am Nachmittag in einer Pressemitteilung solche Angriffe.

"Mit der vierten Großdemonstration innerhalb weniger Monate ist klar, dass die Rede vom 'Sommer des Widerstands' und dem 'Herbst der Solidarität' keine hohlen Phrasen sind", sagt Fred Heussner, Pressesprecher der "Jetzt gilt's!"-Organisatoren. Seine Mitstreiterin Laura Pöhler ergänzt: "Nicht nur die CSU, sondern alle bei den Landtagswahlen antretenden Parteien stehen in der Pflicht, die Rücknahme des Polizeiaufgabengesetzes sowie die anderen Demo-Forderungen umzusetzen und endlich einen Kurswechsel einzuleiten. Statt Angst, Hass und Gewalt müssen wir eine Gesellschaft aufbauen, in der Menschenrechte unteilbar sind und vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich."

Bei der Abschlusskundgebung auf dem Odeonsplatz kommen auch Politiker zu Wort - aber sie stehen nicht im Mittelpunkt. "Vielen Dank, dass ihr da seid, das widerständige Bayern auf die Straße zu tragen", sagt der Linken-Kandidat Ates Gürpinar. Katharina Schulze von den Grünen hofft: "Liebe ist am Ende immer stärker als Hass. Dafür sind wir alle hier." Um zu zeigen, was auf dem Spiel steht, zitiert sie ein Demoplakat mit der Aufschrift "Die Freiheit stirbt scheibchenweise". SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen fordert dazu auf, bei der Wahl am 14. Oktober ein Zeichen "für Anstand und Demokratie zu setzen". Gregor Gysi greift das Motto der Demo noch einmal auf: "Jetzt gilt's!", ruft er. "Wir müssen den Rechtsruck stoppen, das sind wir unserer Geschichte schuldig, das haben wir versprochen, dass es nie wieder Faschismus gibt in diesem Land."

Musiker treten auf, Hans Well mit seinen Wellbappn, Mal Élevé ("Wir dürfen nicht in der Schockstarre bleiben. Allez!"), Ami Warning, Kytes, die Stray Colors. Während sich Sturmwolken zusammenziehen, ruft die Organisatorin einen "Geflüchteten aus Passau" auf die Bühne. Der junge Mann, umgeben von Freunden, erzählt, wie es sich anfühlt, als Wahlkampfthema für eine Partei zu dienen, deren Name er gar nicht aussprechen will. "Rassismus macht hässlich", findet er. Dann schaut er über die 30 000, vielleicht 40 000 Köpfe zählende Menge und sagt: "Aber heute sehe ich, wo ich hinschaue, nur Schönheit."

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SZ vom 04.10.2018/smb
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