Süddeutsche Zeitung

Buchvorstellung:Zeichnen für die Zeitzeugen

Tschechische Illustratoren erzählen in Graphic Novels Vertriebenen-Schicksale von sudetendeutschen Kindern.

Von Jutta Czeguhn

Franz Gruss kam 1931 im damaligen Mährisch Ostrau (Moravská Ostrava) zur Welt. Jakub Bachorík ist Jahrgang 1994, geboren in Prostějov, das liegt in Nordmähren. Ein besonderes Projekt hat die beiden Männer, die Großvater und Enkel sein könnten, zusammengebracht. Vor einigen Jahren führte der Dokumentarfilmer Jan Blažek Filmgespräche mit Zeitzeugen, die die Vertreibung aus der Tschechoslowakei als Kinder erlebt haben. Unter anderem mit Franz Gruss. Fünf dieser Geschichten hat der Schriftsteller Marek Toman zusammen mit tschechischen Comiczeichnern und -zeichnerinnen in eine Graphic Novel verwandelt, die 2020 von der tschechischen NGO Post Bellum unter dem Titel "Odsunuté děti" (Vertriebene Kinder) publiziert wurde und nun bald auch auf Deutsch erscheinen soll. Am Donnerstag, 24. Februar, 19 Uhr, erzählen Blažek und Toman im Gespräch mit Zuzana Jürgens (Adalbert Stifter Verein) über die Entstehung des Buches und über die Resonanz darauf in Tschechien. Bei der Veranstaltung wird auch ein Kurzfilm gezeigt, in dem die Geschichten aus der Graphic Novel den Erlebnissen der Zeitzeugen gegenübergestellt werden.

Die Geschichte beginnt in Auschwitz

Wie kann man die Schicksale der Vertriebenen einer jüngeren Generation - der tschechischen wie der deutschen - näherbringen? Diese Frage beschäftigte Jan Blažek und Marek Toman, nachdem der Film fertig war. Die Graphic Novel schien ihnen das geeignete Medium. Die fünf Illustratoren arbeiten in sehr unterschiedlichen Bildsprachen, alle aber signalisieren: Sie können sich den Schilderungen der alten Menschen nur annähern, wie auch deren Erinnerungen letztlich nur Annäherungen an das damals Erlebte sind.

"Der Geschmack von Rhabarber" lautet der Titel der Episode, die von Franz Gruss' Fluchterinnerungen erzählt. Jakub Bachorík, der heute als Illustrator in Prag lebt, hat schonungslose Bilder für die vielen grausame Szenen gefunden. Besonders wichtig aber: Er gab diesem Lebensbericht eine Rahmenhandlung, in der der alte Franz Gruss als Erzähler auftritt. Sie beginnt mit einem Besuch in Kraków (Krakau), wo der Rentner einer Touristengruppe die Schönheit dieser Stadt näherbringt. Von Krakau, wie auch von seiner Heimatstadt Ostrau, ist es nicht weit nach Auschwitz. Für Franz Gruss, dem jede Art von Revanchismus wesensfremd ist, ist das ehemalige Vernichtungslager der logische Bezugspunkt für sein eigenes Schicksal: "Denn ich weiß, dass alles, was mir und meinen Eltern an Unheil geschehen ist, hat eine Vorgeschichte gehabt, und das ist im Namen unserer Nation verbrochen worden."

Vertriebene Kinder, Buchvorstellung mit Jan Blažek und Marek Toman, Donnerstag, 24. Februar, 19 Uhr, Haus des Deutschen Ostens, Am Lilienberg 5, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich: Tel. 4499930

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