„Es ist mir peinlich, dass das öffentlich gezeigt wird“, sagt Ivan T. – absurderweise. Denn er selbst hatte seine Videos eigenhändig auf die öffentlich zugängliche Plattform Tiktok hochgeladen. Aber wer will schon sehen, wie ein Mann auf ein Grab steigt, die Hose runterzieht, dort seine Notdurft verrichtet und die Leute auffordert, ihre „Likes“ zu hinterlassen? Ivan T. wollte seine Tat als politische Botschaft verstanden wissen, denn an dieser Stelle ist der ukrainische Nationalistenführer Stepan Bandera beerdigt. Die Botschaft von Richter Max Boxleitner war juristisch und unmissverständlich: Er schickte den 42-Jährigen unter anderem wegen Störung der Totenruhe für neun Monate ins Gefängnis.
Im Grabfeld 43 ragt auf dem Münchner Waldfriedhof ein überdimensionales, weißes Kreuz gen Himmel, die Grabstätte ist mit Blumen und ukrainischen Fähnchen geschmückt. Schon etliche Male wurde das Grab beschädigt, einmal der Grabstein mit roter Farbe übergossen. Denn der 1959 in München ermordete Stepan Bandera ist eine umstrittene Persönlichkeit, ein Nazi-Kollaborateur, der nach Erkenntnissen zahlreicher Historiker den antisemitischen Teil der Organisation Ukrainische Nationalisten (OUN) anführte. In der Ukraine wird Bandera bis heute vor allem von rechten Gruppierungen als Held der Unabhängigkeit gefeiert.
In der Rolle des heldenhaften Provokateurs scheint sich der Angeklagte Ivan T. vor dem Amtsgericht sichtlich wohlzufühlen. Er lächelt still vor sich hin, und als die Videos seiner Taten auf einer Leinwand gezeigt werden, steht ihm die Begeisterung über sich selbst ins Gesicht geschrieben. Staatsanwalt Johannes Füßl wirft Ivan T. vor, dreimal auf das Grab von Banderas gekotet und in der Kirche St. Paul 50 Cent aus einem Opferstock gestohlen zu haben.
„Es gibt Verbrechen, für die ich stolz eine Strafe ertragen werde“, beginnt Ivan T. seinen Redefluss. Bandera sei 1939 in weißrussische Dörfer eingedrungen und habe den Menschen dort „mit der Mistgabel den Bauch aufgeschlitzt“. Jetzt habe „der Held“ seine Belohnung erhalten. „Die Videos haben für Anzeigen und Aufruhr in der ukrainischen Bevölkerung gesorgt“, hält ihm Richter Boxleitner vor. „Das weiß ich“, antwortet T., „vielleicht kennen sie die Geschichte nicht“.

Ob er es wieder tun werde, fragt ihn der Richter. Nein, meint der 42-Jährige, Wiederholungen hätten keinen Sinn. Die Russen hätten seine Aktionen gut gefunden, er sei gebürtiger Ukrainer, mütterlicherseits Weißrusse, „ich wähle Russland“. Auch die Aktion in der Kirche St. Paul sei gut im Netz angekommen: Da habe er so getan, als ob er Geld aus dem Kästchen für Kerzenspenden stehlen würde. Woraufhin die Tiktok-Gemeinde dem Obdachlosen Bares hätte zukommen lassen. Was daran interessant sein solle, will der Richter wissen. Es wirke halt so, „als ob ich alles tun darf“, meint der Angeklagte.
Nun, darf er nicht. Staatsanwalt Füßl sieht faktisch einen Diebstahl, zumal eine Münze, so sie in den Opferstock geworfen wurde, in den Besitze der Kirche übergehe. Die Sache mit den Fäkalien findet der Staatsanwalt „in höchster Weise widerlich und entwürdigend“. Unabhängig davon, wer dort begraben sei, gehe es darum, „wie man sich auf einem Friedhof verhält“. Besonders verwerflich sei die Tat, weil er damit ein Publikum unterhalten wollte.
Verteidiger Gerhard Bink sieht den Diebstahl als „nicht nachweisbar“ an, doch Richter Boxleitner verurteilt beide Tatkomplexe. Der Angeklagte, der unter offener Bewährung stand, sei „ein Überzeugungstäter“. Er habe das Pietätsgefühl der Allgemeinheit beschädigt. „Die Toten sollen ruhen, und nicht gestört werden.“