Süddeutsche Zeitung

Gleichheit der Geschlechter:Eine To-do-Liste für mehr Gerechtigkeit

  • Mit dem Unterzeichnen der Europäischen Charta für Gleichstellung bekannte sich die Stadt vor knapp drei Jahren zur Gleichstellung von Frauen und Männern.
  • Ein Aktionsplan mit 67 konkreten Maßnahmen soll nun die Gleichstellung von Frauen und Mädchen fördern.
  • Die Punkte sollen bis spätestens Ende 2021 umgesetzt werden. Eine Vielzahl an Maßnahmen zielt darauf ab, Benachteiligungen abzubauen.

Von Miriam Steiner

Bei der Münchner Müllabfuhr arbeiten kaum Frauen. Vier sind es, um genau zu sein, von insgesamt 500 Mitarbeitern, die den Müll Münchens einsammeln. Den Räumlichkeiten des Abfallwirtschaftsbetriebs (AWM) fehlt es in manchen Fällen gar an der richtigen Ausstattung für Müllfrauen: In der Außenstelle Betriebshof Ost in Bogenhausen etwa gibt es weder Duschen noch Umkleiden für sie. In diesem Gebiet konnte folglich noch kein weibliches Personal eingesetzt werden.

Doch das soll sich ändern - und zwar bis Ende 2021. Die Errichtung von Duschen und Umkleiden für Müllfrauen in betroffenen Außenstellen des AWM ist eine von 67 Maßnahmen, die die Stadt München im Aktionsplan für Gleichstellung festgelegt hat. Als Erste Werkleiterin - und somit selbst als Frau an der Spitze eines männerdominierten Unternehmens - begrüßt Kristina Frank (CSU) dieses Vorhaben. Der AWM wolle Frauen angemessene Arbeitsbedingungen bieten und "für die Zukunft Voraussetzungen schaffen, damit Frauen hier gerne und gleichberechtigt mit den männlichen Kollegen arbeiten können", sagt die OB-Kandidatin. Optimierte Rahmenbedingen würden den AWM zu einem "attraktiven Arbeitgeber für alle Geschlechter" machen.

München hat eine Art Versprechen abgegeben: Mit dem Unterzeichnen der Europäischen Charta für Gleichstellung bekannte sich die Landeshauptstadt vor knapp drei Jahren zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Der Aktionsplan, der daraufhin von der Gleichstellungsstelle erarbeitet wurde, soll nun dafür sorgen, dass die Versprechen nicht brechen. Duschen für Müllfrauen sind da erst der Anfang: So soll etwa mehr für die Vorbeugung von Gewalt an Frauen getan werden, politische Teilhabe von Frauen will man stärker fördern, Geschlechterstereotype überdenken. Manche Maßnahmen richten sich gezielt an Mädchen und Frauen, andere sogar an Männer - diese sollen beispielsweise in Seminaren Rollenbilder reflektieren.

Handlungsbedarf gebe es "überall", sagt Uschi Sorg von der Gleichstellungsstelle für Frauen, die den Aktionsplan als Koordinatorin erarbeitet hat: "Die Maßnahmen sind kleine und große Puzzlesteine, die dazu beitragen, der Gleichstellung näherzukommen".

Ähnlich einer To-do-Liste werden die 67 Maßnahmen im Aktionsplan aufgereiht, für jede einzelne hat die Gleichstellungsstelle ein konkretes Ziel formuliert. Spätestens Ende 2021 will man alle Maßnahmen in die Tat umgesetzt sehen. 2022 wird dann überprüft, ob das auch geschehen ist. Im Idealfall bedeutet das: Einen Punkt nach dem anderen abhaken.

Eine Vielzahl an Maßnahmen des Aktionsplans zielt darauf ab, Benachteiligungen abzubauen. So sieht der Plan etwa die Errichtung eines Lesbenzentrums als Anlauf- und Beratungsstelle für homosexuelle Frauen vor. Ein solches gibt es in München bisher nicht - ein Zentrum für Schwule hingegen existiert bereits. Weitere Maßnahmen sollen Geschlechterstereotype abbauen. In einem Projekt an der Städtischen Berufsschule Boki betreiben Schüler zum Beispiel eine Schmiede- und Holzbearbeitungsstation, auch andere Schulen können diese nutzen, die Aktion trägt den Titel "Handwerkliches Empowerment für Mädchen und junge Frauen". Langfristig soll damit erreicht werden, dass sich junge Frauen in handwerklicher Hinsicht mehr zutrauen und folglich auch verstärkt den Weg eines handwerklichen oder technischen Berufes einschlagen.

Denn Mädchen und junge Frauen entscheiden sich nach wie vor tendenziell eher für soziale anstatt technische Berufe, obwohl letztere in vielen Fällen besser bezahlt sind und mehr Karrieremöglichkeiten bieten. Das zu ändern, ist auch das Ziel einer weiteren Maßnahme: In Form von speziellen Praktika soll Schülerinnen die Möglichkeit gegeben werden, technische Arbeitsbereiche kennenzulernen und so ein Interesse zu entwickeln. Beim städtischen Eigenbetrieb "it@M" sollen dafür ab sofort fünf Prozent der Praktikumsplätze zur Verfügung gestellt werden.

Dafür, dass Engagement von Frauen künftig besser sichtbar ist, hat laut Aktionsplan künftig das Stadtarchiv zu sorgen: Frauen, die sich für Gesellschaft und Politik einsetzen, sollen demnach buchstäblich in die Geschichte eingehen. Geplant sind sechs Videodokumentationen, die das Leben und Wirken von sechs engagierten Frauen aufzeigen. "Es ist wichtig, dass mehr Information zu engagierten Frauen in die Geschichte Münchens eingeht", erklärt Uschi Sorg. Frauen und deren Wirken würden dadurch auch verstärkt wahrgenommen werden.

Sehr konkret wird der Aktionsplan bei einer Maßnahme, die das Kreisverwaltungsreferat betrifft: An mehreren Standorten sollen Rückzugsräume für stillende Mütter eingerichtet werden. Kundinnen des KVR hätten oftmals ihre Babys dabei, in neuen Räumlichkeiten wolle man ihnen ein ungestörtes Stillen ermöglichen, heißt es im Aktionsplan. In den KVR-Tiefgaragen sollen zudem neue Frauenparkplätze errichtet werden.

Andere Maßnahmen des Aktionsplans zielen auf längerfristige Entwicklungen ab. Sowohl im Kulturreferat, als auch im Referat für Bildung und Sport sollen zum Beispiel Gremien eingerichtet werden, die sich speziell dem Thema Gleichstellung widmen. Bei einem jährlichen Gendertag im Kulturreferat will man sich mit aktuellen Genderfragen in der Kultur beschäftigen. Viele dieser Projekte existieren schon seit Längerem als Ideen und warteten bisher auf eine Umsetzung.

Bekenntnis und Versprechen zugleich

Ausgewogene Mitwirkung von Frauen und Männern an Entscheidungsprozessen, das Grundrecht auf Gleichstellung, Beseitigung von Geschlechterstereotypen - unter anderem diese Ziele beinhaltet die "Europäischen Charta für Gleichstellung von Frauen und Männern auf lokaler Ebene". Vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) und seinen Partnern verabschiedet, formuliert die Charta Grundsätze dafür, wie Gleichstellung auf kommunaler Ebene funktionieren kann und soll.

Ziel der Charta ist es, mehr Gleichheit innerhalb der Bevölkerung zu schaffen. 30 Artikel geben die verschiedenen kommunalen Handlungsbereiche vor: Artikel drei beispielsweise widmet sich der Mitwirkung von Frauen am politischen und zivilgesellschaftlichen Leben. Artikel sechs spricht vom Kampf gegen Stereotype, in Artikel 20 wird das Problem der geschlechterspezifischen Gewalt behandelt. Mit diesen Artikeln und den darin enthaltenen Grundsätzen richtet sich die Charta an Lokal- und Regionalregierungen Europas. Wer die Charta unterschreibt, bekennt sich formell und öffentlich zum Grundsatz der Gleichstellung Frauen und Männern.

Deutschlandweit unterzeichneten 51 Städte und andere Gebietskörperschaften die Europäische Charta - darunter auch München. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) setzte seine Unterschrift im März 2016 unter die Charta.

Die bayerische Landeshauptstadt bekannte sich damit nicht nur zu den in der Europäischen Charta angeführten Prinzipien: Sie verpflichtete sich gleichzeitig auch zur Erstellung des dazugehörigen Aktionsplanes. Dieser muss konkrete Schritte enthalten und somit garantieren, dass die gleichstellungspolitischen Ziele auch in die Tat umgesetzt werden. Jede der im Münchner Aktionsplan aufgelisteten Maßnahmen bezieht sich auf einen oder mehrere Artikel der Europäischen Charta für Gleichstellung. Miriam Steiner

Die städtischen Referate sind nicht nur bei der Umsetzung des Aktionsplans eingebunden, sondern waren auch bei dessen Erstellung gefragt. "Sie haben sich Projekte ausgesucht, die sie selber für wichtig halten und die sie sich leisten können", erklärt Uschi Sorg. Die anfallenden Kosten - sei es im Falle des Gendertages etwa für Catering, Raummiete oder etwaige Referenten - werden aus dem Referatsbudget bezahlt. Die Umsetzung der 67 Maßnahmen stemmen die Referate mit eigenem Haushalt und vorhandener Personalkapazität.

Vorhandenes Budget gerechter für Interessen der Frauen und Männer ausgeben - das ist kein völlig neues Vorgehen. Schon im Vorjahr beschloss der Finanz- und Verwaltungsausschuss einstimmig ein Konzept zum "Gender-Budgeting": Demnach sollen Männer als auch Frauen gleichermaßen von Ausgaben profitieren, Mittel sollen also gerechter auf die Bedürfnisse aller Geschlechter verteilt werden. Um den Haushalt nach den Prinzipien des Gender-Budgeting zu gestalten, braucht es allerdings klare Kriterien. Als das Konzept im April 2019 beschlossen wurde, ging man davon aus, dass es noch mehrere Jahre dauern würde, bis diese Kriterien feststehen.

Die Gleichstellungsstelle allein hat darüber wohl keine Entscheidungsgewalt, aber sie sammelt Daten, die hilfreich sein dürften, um diese Kriterien zu benennen: Nach dem Aktionsplan arbeitet man aktuell an einem Gleichstellungsmonitoring, dabei wird der Status Quo der Gleichstellung in München analysiert. "Wir widmen uns zum Beispiel dem Thema Frauenwahlrecht und sammeln Daten zum Frauenanteil in der Politik", erklärt Sorg. Auch das Thema Bildung soll einfließen: Wie verteilen sich Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Schulstufen? Welche Schulabschlüsse erreichen Frauen? Welche Berufe ergreifen sie? Kommenden Herbst sollen die Ergebnisse im Stadtrat eingebracht werden. Da will die Gleichstellungsstelle dann darlegen, welche Bestrebungen zur Gleichstellung bereits im Gang sind - und vor allem, wo es noch weiteren Handlungsbedarf gibt.

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SZ vom 14.01.2020
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