Einen "Giesinger Kirchplatz" sucht man auf dem Stadtplan vergebens, und doch muss die gleichnamige Initiative nicht lange erklären, wo sie ihre Vision verwirklichen will: Mit der neugotischen Heilig-Kreuz-Kirche auf dem Giesinger Berg hat das Viertel ein stolzes Wahrzeichen, das mit der gegenüberliegenden Lutherkirche eine ökumenische Doppelspitze bildet. Dazwischen allerdings erstreckt sich ein allein dem Autoverkehr gewidmeter Unort, aus dem die Gruppe um den Giesinger Informatiker Clemens Marschner einen, wie er sagt, nicht nur beliebten, sondern geliebten Stadtplatz machen will.
Im örtlichen Bezirksausschuss hat die BI für ihr Projekt bereits viel Zuspruch erhalten. Um an wirklich entscheidender Stelle weiterzukommen, hat sie nun Stadträte eingeladen und Vertreter aller Fraktionen an Ort und Stelle versammelt. Die Nicht-Giesinger in der Gruppe konnten sich bei passend trüber Witterung erst einmal von der Tristesse des Straßenknotens überzeugen. Darüber hat der Giesinger Programmierer Christoph Parstorfer in einwöchiger, ehrenamtlicher Tüftelei das schwenkbare Panorama des Kirchplatzes gelegt.
In virtueller Realität zu sehen ist eine begrünte Piazza anstelle der komplexen Kreuzung mit ihren freilaufenden Links- und Rechtsabbiegern. Ersetzen soll diese ein unterirdischer Kreisverkehr um eine Mittelsäule, die zugleich den obenliegenden Platz trägt. Vorbilder für solche Tunnel-Kreisel finden sich in Skandinavien und im Alpenraum. In Giesing müsste dafür, sofern der Platz etwas höher gelegt wird als die heutige Kreuzung, wohl nicht viel tiefer gegraben werden als auf das Bodenniveau des heutigen, sternförmigen Fußgängertunnels. Dessen westlicher Seitenast könnte später eventuell als Notausgang genutzt werden.
Abwasserleitungen, oft ein Haupthindernis im Tiefbau, verlaufen nach einer ersten Bestandsaufnahme der BI tief genug, um unangetastet zu bleiben. Überhaupt wolle man Politik und Verwaltung nicht mit Luftschlössern behelligen und habe verfügbare Informationen bereits auf mögliche Planungs-"Blocker" abgeklopft, versichern Marschner und seine Mitstreiter, die auch schon über Details wie Brandschutz, Rampenneigungen oder eine unterirdische Schnelltrasse für Radler nachgedacht haben. Für den Fall, dass den Planern etwas Besseres einfällt, müsse man sich dabei nicht vorab auf den Kreisel festlegen, erklärte Erwin Glas für die BI.
Ausdrücklich genannt ist der Kreisverkehr bereits in einem Antrag der FDP/ Bayernpartei. Soweit es nach den Anwesenden geht, könnten aber auch die großen Ratsfraktionen einen Prüfauftrag beziehungsweise eine Machbarkeitsstudie unterstützen. Wirklich machbar ist natürlich nur das Finanzierbare. Hier hofft die BI auf Mittel aus dem Topf der Internationalen Bauausstellung (IBA) - das ist keine Fachmesse, sondern ein gerade anlaufendes Innovationsprogramm, in dessen Rahmen Stadt und Landkreis München ausgewählte "Exzellenzprojekte" fördern.
Was die Pläne der Bürgerinitiative allerdings erschwert, ist, dass der Kirchplatz mit zwei finanziell und zeitlich näher liegenden Projekten konkurriert: Umstritten bleibt der vor zehn Jahren ebenfalls als Bürgeridee geborene Plan einer Fußgänger- und Radbrücke über den Giesinger Berg. Der Stadtrat will darüber im Herbst entscheiden. Bessere Verbindungen im Sinne des Radentscheids plant derweil das Mobilitätsreferat: Für breitere Radwege sollen rund um den Knotenpunkt Fahrspuren für Autos entfallen und Gehsteige verschmälert werden. Außerdem könnten zwei der separaten Abbiegespuren auf der Kreuzung entfallen.
Dafür wären dann Radler und Fußgänger künftig nicht mehr auf die Unterführung als einzige Querungsmöglichkeit angewiesen. Sie könnten stattdessen die Kreuzung über Ampelanlagen am Giesinger Bräu, bei der Heilig-Kreuz-Kirche sowie an der Icho- und Silberhornstraße passieren. Ob und wann die Stadt dann in absehbarer Zukunft noch einmal im Herzen Giesings plant, bleibt auch für Clemens Marschner fraglich. Sicher ist er sich nur: "Es gibt keinen schlechteren Zustand als den jetzigen."