Süddeutsche Zeitung

Immobilien in München:Gerangel um ein Filetstück für 22 Millionen Euro

Die Stadt könnte sich per Vorkaufsrecht ein Areal in Giesing sichern, auf dem 70 Wohnungen Platz fänden. Grün-Rot stimmt dagegen, auch aus Geldmangel. Die Opposition erhöht nun den Druck.

Von Sebastian Krass

Ein kaum bebautes Grundstück mitten in Giesing, auf dem gut 70 neue Wohnungen entstehen dürfen, Kaufpreis 22 Millionen Euro. Dieser Immobiliendeal bringt die grün-rote Rathauskoalition in eine schwierige Lage. Sie hat in der vergangenen Sitzung des Kommunalausschusses dagegen gestimmt, dass die Stadt sich das Grundstück, das eine Privatperson an einen Investor verkaufen will, per Vorkaufsrecht sichert. Die Oppositionsfraktionen CSU und Linke/Die Partei kritisieren das scharf. Auch in der Koalition stehen nicht alle hinter dem Beschluss, den Stefan Jagel (Linke) "unerklärlich" nennt. Seine Fraktion erhöht mit einem Antrag den Druck auf Grün-Rot: Sie fordert, dass die Stadt mit Hilfe eines neuen Gesetzes den Investor, der nun zum Zuge kommt, zwingt, ausschließlich geförderte Wohnungen auf dem Grundstück zu schaffen.

"Es ist jammerschade. Die Entscheidung gegen den Ankauf widerspricht dem, was wir eigentlich machen wollen, nämlich mit Bodenvorratspolitik der Stadt Flächen sichern, auf denen bezahlbarer Wohnraum entstehen kann", sagt Grünen-Stadtrat Bernd Schreyer. Er arbeitet schon länger an einem Strategiewechsel: dass die Stadt über ihre Wohnungsbaugesellschaften GWG und Gewofag deutlich offensiver Vorkaufsrechte wahrnehmen soll. Schreyers Fraktionschefin Anna Hanusch spricht von einem "längeren Findungsprozess", der zur Entscheidung gegen das Vorkaufsrecht geführt habe.

Wie genau das Stimmungsbild in ihrer Fraktion war, verrät Hanusch nicht. Aber aus Gesprächen mit Ausschussmitgliedern klingt durch, dass es wohl die SPD war, die gegen den Ankauf war und sich durchgesetzt hat. "Wir haben das Thema lange diskutiert", sagt Kathrin Abele, Fraktionsvize von SPD/Volt. "Aber an oberster Stelle steht beim Vorkaufsrecht der Schutz von Mieterinnen und Mietern." Also diejenigen, die einen Mietvertrag haben. Die Überlegung, Flächen zu sichern, sei ebenfalls wichtig, in diesem Fall aber in Abwägung mit der angespannten Haushaltslage nachrangig gewesen, so Abele.

CSU-Stadtrat Andreas Babor sieht das anders: "Im Wahlkampf haben Grün und Rot gesagt, sie wollten Mieterrechte schützen. Jetzt verstecken sie sich hinter dem Argument, es sei kein Geld da." Er vermisse bei der Koalition kreative Ideen für Vorkaufsfälle, etwa dass man einen Teil des Grundstücks weiterverkaufe und auf dem Rest günstigen Wohnraum errichte.

Das Vorkaufsrecht, um das es in diesem Fall geht, firmiert unter der Adresse Tegernseer Landstraße 101, sie liegt auf dem schmalen Stück der Tela zwischen U-Bahn-Station Silberhornstraße und dem Grünwalder Stadion. Für das Gebiet gilt eine Erhaltungssatzung, um Milieus zu bewahren und Mieterinnen und Mieter vor Verdrängung zu schützen. Die Hausnummer 101 ist an der Tegernseer Landstraße nur über einen Hofdurchgang zu erreichen, das Grundstück liegt nach hinten versetzt. Aber es geht durch bis zur Raintaler Straße, ein weiterer Zugang liegt an der Perlacher Straße. Die bisherige Bebauung - ein Haus mit einer Wohnung, zwei Gewerbeeinheiten und Garagen - ist nicht erhaltenswert. Interessant ist das Grundstück wegen der Baurechtsreserve, also dem, was man gemäß Paragraf 34 des Baugesetzbuches bauen darf: Die Lokalbaukommission (LBK) habe ein Baurecht von etwa 6200 Quadratmetern Geschossfläche ermittelt, das entspreche etwa 72 Wohnungen, heißt es in der nicht-öffentlichen Beschlussvorlage aus dem Ausschuss.

Um zu verhindern, dass der Investor Fakten schafft, soll eine "Veränderungssperre" her

Käuferin des Grundstücks ist demnach eine Tochtergesellschaft des Wiener Bauträgers Süba. Ende Juni habe man für das Projekt "Raintal-Höfe" bei der LBK eine Bauvoranfrage für etwa 6000 Quadratmeter Wohnfläche eingereicht, erklärt eine Süba-Sprecherin, man wolle "besonders ressourcenschonende und energieeffiziente Mietwohnungen" errichten. Zu Zahl und Art der Wohnungen macht sie keine Angaben. Es ist wegen des Grundstückspreises anzunehmen, dass die Wohnungen nach Marktpreisen vermietet werden. Eine Pflicht, geförderten Wohnraum zu errichten, gibt es nicht. Mit der Planung beauftragt ist das Münchner Büro Goetz Castorph Architekten. Simulationen gebe man noch nicht heraus, da man noch "am Anfang der Projektentwicklung" sei, erklärt die Sprecherin der Süba.

Stefan Jagel, Chef der Fraktion Linke/Die Partei, will diese Pläne durchkreuzen: In einem Dringlichkeitsantrag fordert er, die Stadt möge einen "sektoralen Bebauungsplan" für das Karree zwischen Tegernseer Landstraße, Perlacher Straße und Raintaler Straße aufstellen, "mit dem sichergestellt wird, dass ausschließlich Wohnungen im geförderten Segment entstehen". Die Möglichkeit, derartige Bebauungspläne aufzustellen, haben Kommunen durch das kürzlich in Kraft getretene Baulandmobilisierungsgesetz des Bundes bekommen. Um zu verhindern, dass der Investor in der Zwischenzeit Fakten schafft, verlangt Jagel zudem, dass für das Gebiet eine "Veränderungssperre" verhängt wird.

Noch grundsätzlicher sind die Überlegungen von Grünen-Stadtrat Schreyer. "Wir müssen am städtischen Haushalt vorbei Möglichkeiten schaffen, solche Vorkaufsrechte zu finanzieren." So könnten GWG und Gewofag die Ankäufe über Kredite finanzieren. Die Höhe der Verschuldung sei nicht entscheidend, sagt Schreyer, weil die Bodenwertsteigerung in München viel höher sei als der Kreditzins, "die schwäbische Hausfrau kauft ihr Haus auch auf Kredit", so Schreyer. Wenn GWG oder Gewofag in Liquiditätsnöte kämen, könnten sie einzelne Grundstücke verkaufen - und vom Spekulationsgewinn profitieren. Wie das Konstrukt umsetzbar sein könnte, "das lote ich seit einiger Zeit aus", sagt Schreyer.

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SZ vom 14.07.2021/van, mmo
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