Gesundheitsvorsorge:"Viele Menschen, die hierher kommen, waren noch nie beim Arzt"

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Niedrigschwellig und kostenlos: Im Gesundheitstreff Hasenbergl gibt es viele gesundheitsfördernde Angebote, die Menschen im Stadtviertel nutzen können. Annette Gröger (Mitte) koordiniert die Gesundheitstreffs. (Foto: Daniel Köberle/oh)

Blutdruck messen, Patientenberatung, Teddybären-Sprechstunde: Gesundheitstreffs sind ein niedrigschwelliges Angebot für alle Menschen im Stadtviertel - und sie entlasten die Ärzte.

Von Nicole Graner

Gesundheitstreffs sind Außenstellen des Gesundheitsreferats (GSR) und haben ein klares Ziel: die Gesundheit sozial benachteiligter, gesundheitsgefährdeter Menschen zu fördern und präventiv zu wirken. Kostenfrei, niederschwellig und wohnortnah. Im Hasenbergl gibt es seit 1975 einen solchen Treff, der sehr gut angenommen wird. Das GSR will aber weitere solcher Standorte einrichten und finanzieren. Noch 2023 wird es in Riem und Freiham Gesundheitstreffs geben, für Neuperlach und Moosach sind zunächst mobile Angebote geplant.

Teddybären-Sprechstunden sind sehr beliebt bei den Kindern: Ob Bär oder Puppe - ein Pflaster oder ein Verband wirken oftmals Wunder. Genauso wie viel kuscheln. (Foto: Daniel Köberle/oh)

Auf der Krankenliege im hellen Sprechstundenzimmer an der Wintersteinstraße im Hasenbergl liegt ein kleiner, weißer Bär. Sein linker, felliger Arm ist mit einer Mullbinde umwickelt. Und daneben liegt für ihn das besondere Rezept der Teddybären-Sprechstunde: "In den Arm nehmen und kuscheln" lautet die Verordnung oder eine "Bauchmassage". "Wir heilen alles", sagt Georgia Debo und schmunzelt. Sie ist medizinische Fachangestellte im Gesundheitstreff Hasenbergl.

Im Mai 2022 hat der Gesundheitstreff Hasenbergl wieder aufgemacht - in frisch renovierten Räumen. Kaum war alles fertig, hat es sich bei Familien, Müttern und Kindern im Viertel schnell herumgesprochen, dass sie alle Angebote rund um das Thema Gesundheit jetzt endlich wieder nutzen können. Die Teddybären-Sprechstunde ist davon nur ein Angebot für Kinder. Denn ob Familienberatung oder Hebammensprechstunde, ob medizinischer Check-Up oder Ernährungstipps - der Treffpunkt ist eine wichtige Säule der Stadtteilarbeit.

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"Und er entlastet", wie Annette Gröger sagt, "unsere Ärzte hier im Viertel". In Zeiten des eklatanten Pflegefachkraftmangels und zu wenigen Ärzten in unterversorgten Stadtvierteln ist das wichtiger denn je. Die Koordinatorin der Gesundheitstreffs in München spricht von gerade einmal zwei Kinderarztpraxen im Hasenbergl, die kaum mehr Termine anbieten könnten. So kommt, weil derzeit eine Arztstelle vakant ist, die Ärztin Daniela Schober aus Riem ins Hasenbergl. Sie untersucht, berät und vermittelt ihre Patienten an Hausärzte. Ganz neu bietet sie mit dem Programm "stark & gesund" einen Treffpunkt für Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren an, die übergewichtig sind. Sie will zu Bewegung und einer gesunden Ernährung motivieren. Rezepte kann Schober nicht ausstellen. "Dafür haben wir hier keine Zulassung", erklärt Gröger.

"Viele Menschen waren noch nie beim Arzt"

Schober misst Blutdruck und den Blutzucker. "Es gibt wirklich viele Menschen, die mit viel zu hohem Blutdruck herumlaufen", sagt sie und unterstreicht damit auch eine Aussage von Sozialarbeiterin Kathrin Hien, die seit einem Jahr im Gesundheitstreff arbeitet. "Viele Menschen, die hierher kommen, waren noch nie beim Arzt." Soziale Probleme, prekäre Situationen, Wohnungsnöte. Da falle das Thema Gesundheit "oft unter den Tisch".

Ein wichtiges Angebot ist die Hebammenpraxis, die von der Diakonie Hasenbergl im Gesundheitstreff betrieben wird. Das richtige Stillen, die Betreuung nach der Geburt. Viele Hausbesuche machen die beiden Hebammen des Treffs. Da es ja kaum Hebammen im Viertel gebe, seien die Frauen oft verunsichert, sagt Hebamme Jasmin Wehner. Gerade beim Stillen bräuchte es Geduld und Zeit. Zweimal gibt es auch eine offene Sprechstunde. "Und da ist dann ganz viel los." Viel zu oft würden die Mütter laut Wehner mit ihren Neugeborenen "zu früh entlassen". Auch hier versucht der Gesundheitstreff also eine wichtige Lücke in der Gesundheitsversorgung zu schließen.

Hilfe in allen Notsituationen: Die Familienberatung im Gesundheitstreff Hasenbergl hilft weiter- (Foto: Daniel Köberle/oh)

Auch die Familie steht im Fokus. Mutter-Kind-Gruppen gibt es und weitere Gruppen, mit Sportangeboten oder Malen und Basteln mit Kindern. Und es gibt Hilfe für alle Familien, die Zuspruch brauchen. Bei Entwicklungssorgen, psychischen Belastungen oder privaten Veränderungen wie einer Trennung.

Bei einem Besuch im neu renovierten Gesundheitstreff: Stadtratsmitglied Barbara Likus (SPD), die Zweite Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD), Koordinatorin Annette Gröger und die stellvertretende Gesundheitsreferentin, Susanne Herrmann (von links). (Foto: Daniel Köberle)

Die Bedürfnisse eines jeden Gesundheitstreffs würden , sagt Annette Gröger, immer weiter entwickelt und dem Wohnviertel angepasst. Das sei sehr wichtig, um so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Das gelte für die Angebote ebenso wie für die sprachlichen Herausforderungen. "Viele, die zu uns kommen, können sich nicht gut artikulieren, sprechen kaum Deutsch. Da müssen wir immer dranbleiben." Flyer mit Angeboten des Gesundheitstreffs liegen auf dem Tisch. In vielen Sprachen. Arabisch, Türkisch, bald auch in Farsi. Und es werden derzeit in einer dreimonatigen Schulung Gesundheitslotsinnen ausgebildet. Sie sollen dann als mehrsprachige, ehrenamtliche Beraterinnen anderen Frauen im Stadtbezirk zur Seite stehen.

Bundesweit sollen 1000 Gesundheitskioske entstehen

Das Bundesgesundheitsministerium will solche quartiersorientierten Versorgungsangebote ausweiten. 1000 sogenannte Gesundheitskioske sollen bundesweit entstehen. Die Kosten dafür sollen mit 74,5 Prozent vor allem die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen, die privaten Krankenversicherungen mit 5,5 Prozent und die Kommunen mit 20 Prozent. München hat mit seinen Gesundheitstreffs dann schon einen großen Grundstein gelegt.

Die Hoffnung bei der Stadt München wie auch beim GSR ist jedenfalls groß, dass mit dem neuen Gesetz zu den Gesundheitskiosken auch für die Gesundheitstreffs Krankenkassenmittel zur Verfügung stehen werden. Denn wie die Orte der Gesundheitsförderung heißen, "ist letztlich egal", sagt die Zweite Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) bei einem Besuch im Gesundheitstreff Hasenbergl. Hauptsache sei es, diese wichtigen Angebote in medizinisch unterversorgten Stadtteilen weiter auszubauen.

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