Münchner Seiten:Es wurde Licht

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Straßenlampen, Ampeln, Leuchtreklame: Auf dieser Postkarte von 1962 zeigt sich der Stachus in großstädtischer Beleuchtung. Alle hier gezeigten Abbildungen stammen aus dem besprochenen Buch. (Foto: Franz Schiermeier Verlag)

Ein Buch über die Geschichte der Straßenbeleuchtung in der Stadt führt vor Augen, dass es dabei um weit mehr geht als um Technik. Nämlich um Sicherheit, Prestige und das moderne Leben.

Von Barbara Galaktionow

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wird Graf von Zech der Ältere in München Opfer eines Hinterhalts. Unbekannte haben direkt vor seiner Haustür ein "Bändel" gespannt. In der Dunkelheit der Nacht stolpert der Graf darüber - und wird ausgeraubt. Auch ein Herr von Eckartshausen wird auf seinem nächtlichen Heimweg durch die Altstadt von einer "Mannsperson" mit üblen Absichten "angebackt", die aber durch lautes Geschrei und Schüsse vertrieben werden kann. Beide Vorfälle lösen in der Stadt Debatten darüber aus, wie gut die Münchner Straßen erhellt sein müssen, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. So schreibt es Christine Rädlinger in ihrem kürzlich erschienenen Buch "München leuchtet" zur Geschichte der Straßenbeleuchtung in der Stadt.

Das Thema mag auf den ersten Blick recht profan und technisch erscheinen. Doch der Historikerin gelingt es zu zeigen, dass es bei der Entwicklung der Straßenbeleuchtung um mehr geht als um Laternen, Leitungen oder Leuchtstoffröhren. Es geht um den Schutz der Menschen vor Kriminellen oder Unfällen, um Sicherheit im Straßenverkehr, um Ressourcen und Prestige - aber auch darum, wie sich mit der zunehmenden Ausleuchtung der Stadt das entwickelte, was heute selbstverständlicher Teil städtischen Lebens ist: abendliche Besuche von Wirtshäusern und Theatern, Konzerten oder Tanzveranstaltungen.

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Bis in die Neuzeit hinein waren derlei Vergnügungen in München nicht üblich, wie Rädlinger anschaulich darlegt. Denn am Abend wurde es finster. Eine öffentliche Beleuchtung der Straßen gab es nicht. "Nacht bedeutete in der Stadt Dunkelheit in einer Intensität, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen kann", schreibt die Autorin. Sperrstunde war Mitte des 15. Jahrhunderts im Sommer um neun Uhr, im Winter um acht, private Feste am Abend waren Ausnahmen. Ein "Nachtleben" existierte also kaum. Wer dennoch nach Einbruch der Dunkelheit unterwegs war, musste eine Laterne mit sich führen, sonst machte er oder sie sich verdächtig.

Die Anfangs noch etwas funzelige Straßenbeleuchtung Münchens konnte Verstärkung von oben gut gebrauchen. Friedrich Eibner malte um 1870 "Das Angertor bei Mondschein". (Foto: Stadtmuseum München)

Erst im 18. Jahrhundert vollzog sich ein grundlegender Wandel. Am 3. November 1731 wurde in München die erste "Stadt-Illumination" eingeführt. Die Münchner zog es mittlerweile in den Abendstunden immer häufiger hinaus, ins Wirtshaus, zu Vorstellungen wandernder Schauspieltruppen oder in die Oper am Salvatorplatz. Für die Einführung der Straßenbeleuchtung dürfte Rädlinger zufolge aber noch ein weiterer Grund wichtig gewesen sein: der Wunsch des Hauses Wittelsbach, Reichtum und Macht zu demonstrieren. München war ohnehin spät dran, hatten Städte wie Paris und London, aber auch Hamburg und Berlin doch bereits im 17. Jahrhundert eine Beleuchtung eingeführt.

Eine großartige Beleuchtung ist immer auch eine Prestigefrage: Zum 80. Geburtstag von Prinz Luitpold am 12. März 1901 wird das Neue Rathaus am Marienplatz festlich illuminiert. (Foto: Stadtarchiv München)

24 Laternenanzünder befestigten nun jeden Abend 600 Laternen an eigens dafür angebrachten Haken an Häusern in der Stadt. Doch schon bald zeigte sich ein Problem, dass die Stadt auch in späteren Jahrzehnten immer wieder umtreiben sollte: die hohen Kosten. Die Zahl der Laternen wurde daher schon nach wenigen Monaten deutlich reduziert, vor allem im Sommer und bei Mondschein.

Die neue Beleuchtung zeigte erst recht, wie unzureichend die alte war

Als Brennmaterial diente in dieser Frühphase der Münchner Straßenbeleuchtung Unschlitt, also Tiertalg, der nicht eben angenehm gerochen haben soll. Ein Jahrhundert später hielt eine neue Technik Einzug in München: Im Dezember 1850 wurden in der Altstadt die ersten 1000 Gaslaternen aufgestellt. Die ließen andere Stadtteile allerdings umso finsterer erscheinen. Doch auch Gas blieb nur kurze Zeit der Goldstandard, auch wenn die letzte Laterne in München erst 1966 ausgeschaltet werden sollte. Denn in den 1890er-Jahren wurde die Beleuchtung abermals revolutioniert: mit der Einführung elektrischer Bogenlampen und Straßenüberspanner. Die Feuersicherheit war ungleich höher als bei Gas, die Lichtfülle deutlich größer. Am Ende des 19. Jahrhunderts galt München als die "bestbeleuchtete Stadt Europas", schreibt Rädlinger. Die Nacht begann zum Tage zu werden.

Laternenanzünder 1913 in der Au: In manchen Stadtteilen bleibt die Straßenbeleuchtung noch lange unzureichend. (Foto: Georg Pettendorfer/Stadtarchiv München)

Der Unterschied von Gas und Elektrik muss gravierend gewesen sein. In der Innenstadt waren sowohl am Sendlinger-Tor-Platz als auch am Karlsplatz schon früh elektrische Bogenlampen installiert worden, während die Sonnenstraße zunächst noch mit Gaslampen erhellt wurde. Der Kontrast war Zeitgenossen zufolge so gewaltig wie ein "Schritt in eine Dunkelkammer".

Im 20. Jahrhundert sollte dann vor allem der massiv anwachsende Autoverkehr die Art der Beleuchtung bestimmen. Ampeln wurden eingeführt, ausgefeilte Konzepte für Platzierung und Lichtstärke von Leuchtstoffröhren erstellt. Fahrer sollten nicht geblendet werden, Fußgänger die Gesichter entgegenkommender Passanten leicht erkennen können. Nicht ein Zuwenig, sondern eher ein Zuviel an Licht wurde in großen Städten wie München zum Problem.

Einen ungebrochenen Prozess hin zu mehr Licht stellt die Geschichte der Straßenbeleuchtung trotzdem nicht dar. Einbrüche gab es vor allem während der Weltkriege. Doch auch heute wird die Beleuchtung in München als Folge des Kriegs in der Ukraine heruntergefahren, um Energie zu sparen (was aber nicht mehr Teil des Buchs ist).

"Superleuchte" aus der Forschungsabteilung von Osram: 1958 wird zur 800-Jahr-Feier Münchens an der Kreuzung Schwanthalerstraße/Sonnenstraße die damals "hellste Leuchte der Welt" aufgestellt. (Foto: Baureferat München)

In ihrem reich bebilderten Buch zeigt die Historikerin Rädlinger, wie viele Gedanken über Jahrhunderte hinweg in den Ausbau der Straßenbeleuchtung gesteckt wurden, wie komplex die Probleme waren - und wie all dies auch mit der gesellschaftlichen Entwicklung zusammenhängt. Dabei muss man der Autorin vielleicht nicht in alle Verästelungen über das Hin und Her bei der Einführung neuer Techniken folgen, um einen Gewinn davonzutragen: "München leuchtet" eröffnet einen neuen und genaueren Blick auf etwas, was uns tagtäglich umgibt.

Christine Rädlinger: München leuchtet. Die Geschichte der Münchner Straßenbeleuchtung, hrsg. vom Stadtarchiv München, 230 Seiten, Franz Schiermeier Verlag, München 2022, 29,50 Euro

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