München:Ein Kubus schreibt Geschichte

München: Wau! In den Fünfzigerjahren war Rüde Peter Teil des Teams.

Wau! In den Fünfzigerjahren war Rüde Peter Teil des Teams.

(Foto: Kunstpavillon)

Der Kunstpavillon im Alten Botanischen Garten wurde vor 70 Jahren als links-demokratisches Forum etabliert. Nun befassen sich die Künstler in einer Schau mit der Historie des Ortes - und mit Strategien für die Zukunft

Von Stefan Mühleisen

München mag als geschleckte und aufgeräumte Metropole gelten, doch die Stadt hat auch einen sauberen Ruf als international funkelnder Kunststandort. Das Kunstareal mit seinen bedeutenden Museen und Sammlungen ist eine ausgedehnte Schatzkammer, deren Schätze in allerlei eleganten Prachtbauten glänzen. An der südlichen Nahtstelle zum Kunstareal zeigt die Großstadt allerdings ihre ruppige Seite: Allen Anstrengungen zum Trotz bleibt am Alten Botanischen Garten das Schmuddel-Image haften - und im Kontrast zu den prächtigen Kunstbauten steht im Park eine äußerlich etwas abgerockte, ansonsten aber äußerst vitale Institution, die in diesen Tagen ihr 70-jähriges Bestehen begeht: der Kunstpavillon.

München: Die Macher der Jubiläumsausstellung.

Die Macher der Jubiläumsausstellung.

(Foto: Robert Haas)

Das kubische, zugleich versteckt und exponiert gelegene Bauwerk an der Sophienstraße, das immer wieder mit Graffiti vollgekritzelt wird, nimmt in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung in der Riege der Münchner Ausstellungshäuser ein. "Einzigartig" nennt es Katharina Weishäupl, Vorstandsmitglied des Trägervereins. Die Besonderheit liegt zunächst in der Geschichte des Gebäudes begründet. Es ist ein Relikt der Nazizeit, wie überhaupt die Anlage des Alten Botanischen Gartens ein topografisches Überbleibsel des NS-Regimes ist. Hitlers Lieblingsarchitekt Paul Ludwig Troost gestaltete die einst von Ludwig von Sckell entworfene Anlage um, ließ das Parkcafé auf den Ruinen des sechs Jahre zuvor abgebrannten Glaspalastes bauen. Der bei der NS-Prominenz beliebte Bildhauer Joseph Wackerle steuerte den Neptunbrunnen bei. Den Pavillon, erbaut von Oswald Bieber als Showroom für Nazi-Architektur, durfte auch Hitler-Günstling Joseph Thorak als Atelier nutzen; der Bildhauer soll wegen seiner Vorliebe für muskulöse Männer-Plastiken oft "Thorax" ("Brustkorb") genannt worden sein. Insgesamt also ein grünes Ensemble mit braunem Fundament, dem in dieser Hinsicht gerechterweise das Schicksal zuteil wurde, als Schmuddelecke zu gelten.

Doch der Kunstpavillon bildet ein Korrektiv in der Parkhistorie. Das Bauwerk war nach dem Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und geriet 1948 in den Blick von Kunstmaler Hannes König, Gründer des Schutzverbandes Bildender Künstler (SBK), ein Subverband der "Gewerkschaft der geistig und kulturell Schaffenden", heute als VBK (Vereinigung bildender Künstlerinnen und Künstler) in der Gewerkschaft Verdi organisiert. König, KPD-Mitglied und später Gründer des Valentin Musäums im Südturm des Isartors (heute Valentin-Karlstadt-Musäum), organisierte mit Spendensammlungen den Wiederaufbau des Pavillons als Raum für Münchner Künstler - und erhielt für den Schutzverband einen Pachtvertrag zur alleinigen Nutzung des Gebäudes; er gilt bis heute.

München: Einer der Faschingswägen, der gestaltet wurde.

Einer der Faschingswägen, der gestaltet wurde.

(Foto: Kunstpavillon)

So entstand ein linksgerichtetes Dauerprojekt für zeitgenössische Kunst mit antifaschistischer Grundhaltung, ein selbst verwaltetes, gewerkschaftlich organisiertes Ausstellungsgebäude, das sich damals wie heute als Plattform für Diskussionen und zeitkritische Auseinandersetzungen versteht. Über die Jahre sind dort an die 700 Ausstellungen, Performances, Vorträge, Konzerte zu erleben gewesen; jeweils im August werden Arbeiten der Gewinnerinnen und Gewinner des "Seerosenpreises" präsentiert. "Der Kunstpavillon war und ist ein Forum für den demokratischen Diskurs in der Stadt", sagt Vorstandsmitglied Weishäupl. Es gehe darum, die Gesellschaft zu reflektieren - und zwar ohne institutionelle Vorgaben und hierarchische Strukturen, wie es an etablierten Museen und Galerien mitunter der Fall sei. "Wir verstehen uns eher als Punks", formuliert es die Kuratorin der nun anlaufenden Jubiläumsschau, Frauke Zabel.

München: Der Eingang des Kunstpavillons im Alten Botanischen Garten.

Der Eingang des Kunstpavillons im Alten Botanischen Garten.

(Foto: Robert Haas)

Zum 70. Geburtstag präsentiert der freie Künstler-Verbund eine künstlerische Bearbeitung der Geschichte des Ortes und seiner vielen Akteure. Wobei es nicht nur um eine Rückschau geht, sondern auch und vor allem um eine Positionsbestimmung der derzeit aktiven Kunstpavillon-Generation. "Es geht uns um eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Kunstpavillons, um daraus eine Strategie zu entwickeln, wie wir den Raum und den Park begreifen und in Zukunft nutzen können", sagt Zabel. Aus Archiven haben sie und ihre Kollegen eine Menge Dokumente zutage gefördert, darunter Briefe, Notizen, Fotos, Verträge. Die Fundstücke sind mit Kommentaren auf 70 Plakaten zu einer "Wandzeitung" verwoben. Ein wilder Mix aus Fragmenten, welche die Macher gerne an der Außenfassade angebracht hätten - doch die Denkmalbehörde war dagegen.

Die Collage entfaltet auch im Innenraum ihre Wirkung. Zu entdecken gibt es etwa eine Umfrage aus den Jahren 1949 bis 1951 unter männlichen Künstlern über deren Einkommenssituation. "Frau verdient" ist eine häufige Angabe; "Künstler" als Brotberuf nennt keiner der Befragten. Sicher war die Situation in der Nachkriegszeit schwieriger, aber leicht haben es freie Künstlerinnen und Künstler heute immer noch nicht. So versucht das Kunstpavillon-Team mit dieser "künstlerischen Recherchearbeit" (Zabel), sich über so einiges klar zu werden: Wie sollen sie mit dem Nazi-Erbe dieses Ortes umgehen? Welchen Wert hat Solidarität und gewerkschaftliche Organisation für Kunstschaffende?

Abseits dieser ernsten Fragen gilt es überdies, das humorvolle Erbe von Hannes König weiterzuführen. Der ließ etwa gerne einen Hund namens Peter an Kunst-Aktionen mitwirken - jenes Tier, das der Legende zufolge entscheidend zum Valentin-Museumsprojekt beigetragen hat. Demnach kam König beim Gassigehen am Isartor vorbei. "Gezielt" soll Peter das Bauwerk angesteuert und sogleich hingebieselt haben - was König als Zeichen wertete, dort ein Museum einzurichten. Eröffnet wurde es dann tatsächlich im September 1959 - doch schon ein Jahr zuvor lief eine sehr erfolgreiche Valentin-Ausstellung, natürlich im Kunstpavillon.

Die Ausstellung "70 Jahre Kunstpavillon" läuft bis 21. Juni im Kunstpavillon, Sophienstraße 7 a; geöffnet ist dienstags bis samstags von 13 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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