Gerner Brücke:Konflikt vor grandioser Kulisse

Nymphenburg, Gerner Brücke, 2021

Der Abend kommt, die Gäste bleiben: Auf der Gerner Brücke kann es gelegentlich auch laut werden - zum Missfallen der Anwohner.

(Foto: Robert Haas)

Die Jugendlichen, die auf der Gerner Brücke mit Blick auf Schloss Nymphenburg feiern, sind für viele Anwohner ein Ärgernis. Die Stadt hingegen, die als Vermittlerin eingeschaltet wurde, spricht nun von Entspannung.

Von Sonja Niesmann

Alles halb so wild an der Gerner Brücke: Das sagt, ein bisschen flapsig zusammengefasst, in vielen Prozentzahlen, bunten Balken und deren Analyse ein nun vorgelegter Bericht des Allparteilichen Konfliktmanagements in München (Akim). Alles halb so wild, dieser an lauen Abenden beliebte Treff mit seinem stimmungsvollen Blick über den Nymphenburger Kanal auf Schloss und Sonnenuntergang ist kein zweiter Gärtnerplatz: Zu diesem Schluss war vor vier, fünf Jahren schon die Polizei ebenso gekommen wie lokale Politiker und Mitarbeiter der städtischen Verwaltung, die dort gelegentlich vorbeischauten. Und trotzdem flammte und flammt der Streit jeden Sommer wieder auf. Eine denkbare Erklärung: Vor allem Lärm und Lautstärke seien sehr subjektive Wahrnehmungen, heißt es an einer Stelle des Akim-Berichts.

Seit 2017 hat das beim Sozialreferat angesiedelte Akim die Gerner Brücke im Blick, 2019 wurden die Konfliktmanager dort im Zuge eines Pilotprojekts eingesetzt, 2020 fanden regelmäßig Einsätze statt - in jenem Jahr also, in dem die Stadt die Gerner Brücke bei ihrer Corona-Bekämpfung sogar als einen von fünf "Hotspots" einstufte und verfügte, dass dort ab 23 Uhr kein Alkohol mehr getrunken und schon ab 21 Uhr in der Umgebung kein Alkohol mehr verkauft werden darf.

Aufgrund dieser Einschränkungen im September, zeitweiser Sperrungen der Brücke schon im Frühjahr (angeblich wegen brütender Schwäne) und auch gelegentlicher Schlechtwettertage konnten die Akim-Leute nur an zwölf Freitag- und Samstagabenden, vom 31. Juli 2020 bis Ende September, die Kanalbrücke ansteuern. Geplant waren 44 Einsatzabende. Rund 2239 Menschen haben sie in diesem Zeitraum angetroffen, an der Brücke selbst, am nahen Hubertusbrunnen am unteren Kanalende sowie am Abschnitt dazwischen, an der als "Sommerstraße" ausgewiesenen, nur für Fußgänger geöffneten Südlichen Auffahrtsallee.

Beginnen wir aber mit jenen, die sich als Leidtragende dieser attraktiven Kulisse verstehen: Schon 2012 hatten einige Anwohner ein Protestschreiben verfasst, 2013 ihre Wut noch einmal in Großbuchstaben aufs Papier geschleudert: Lärm! Verwahrlosung! Unerträgliche Zustände! Im vergangenen Herbst nun hat Akim rund 500 Anwohner - ein recht großer Radius - per Postwurfsendung kontaktiert, 97 ausgefüllte Fragebögen kamen zurück. Ein Viertel der Antwortenden fand es gut, dass die Brücke als Treff genutzt wird, vier Prozent unter ihnen gaben an, sie hielten sich selbst gerne dort auf. 30 Prozent merkten an, sie duldeten das Treiben, weil dies zu einer Großstadt gehöre. Rund 41 Prozent äußerten sich negativ, sie empfanden die Nutzung als störend (knapp 24 Prozent) oder sogar als unerträglich (rund 17 Prozent, also 16 bis 17 Menschen).

Bei der Frage, wie sie die Lautstärke empfinden, kreuzten auf einer Skala von 0 (gar nicht laut) bis 10 (extrem laut) mehr als 50 Prozent Werte zwischen 0 und 3 an. Einige vergaben aber auch eine 10. Die Nähe zur Brücke hat laut Auswertung nichts mit dem Ausmaß der empfundenen Störung zu tun, will heißen: Unter direkten Gerner-Brücke-Anliegern sind auch solche, die es nicht schlimm laut finden, unter entfernteren Anwohnern, etwa an der Nymphenburger Straße, auch solche, die es ziemlich laut finden.

An dieser Stelle verweist der Bericht auf Erfahrungen, die Akim auch an anderen Einsatzorten in der Stadt gemacht habe: Wie man Lautstärke wahrnimmt, sei sehr subjektiv, hänge oft auch vom eigenen Stress ab oder sei verbunden mit früheren schlechten Erfahrungen, mit einer negativen Erwartungshaltung. Zitat: "So wird zum Beispiel das fröhliche Lied aus dem Radio an einem sonnigen Vormittag mit einem freien bevorstehenden Tag anders wahrgenommen als die abendliche Hip-Hop-Musik des Nachbarn, mit dem man schon öfter Auseinandersetzungen hatte."

Zum Thema Lautstärke, also auch gelegentlich bis zum Anschlag aufgedrehter Musik, lautem Grölen oder dem Klirren von Flaschen, meldeten übrigens 70 Prozent in den Fragebögen zurück, die Situation habe sich nicht zugespitzt beziehungsweise sogar verbessert. In puncto Müll - Glasscherben, Verpackungen, Kronkorken, die in den Kanal geschmissen werden - sowie beim wilden Bieseln sei es dagegen eher schlimmer geworden.

Über all das haben die Konfliktmanager über die Saison hinweg mit 826 zumeist jungen Feiernden gesprochen - maximal 20 bis 40 trafen sie an der Gerner Brücke gleichzeitig an, am häufigsten zwischen 21 und 22 Uhr, viele wanderten aber im Laufe des Abends weiter auf die Sommerstraße oder in den Grünwaldpark, heißt es im Bericht. Es seien Gespräche "auf Augenhöhe" gewesen, wird mehrmals unterstrichen. Denn Akim versteht sich nicht als Ordnungsmacht, spricht keine Verwarnungen oder Platzverweise aus. Man wolle auf Probleme hinweisen, um Verständnis für die Anwohner und ein gutes Miteinander werben, zu Rücksicht anhalten. Fazit: "Die Nutzer und Nutzerinnen sind grundsätzlich gut ansprechbar, der Alkoholkonsum hält sich in Grenzen."

Selbst bei den Themen Müll und wildes Bieseln stießen die Konfliktmanager durchaus auf Aufgeschlossenheit und "kreative Vorschläge": mehr und vor allem größere Mülleimer, Getränkekisten, in die man Glasflaschen deponieren könne, ehe sie zu Bruch gehen, und an denen sich dann auch Pfandsammlerinnen bedienen könnten, ein Dixi-Klo im benachbarten Grünwaldpark. Anwohner waren zu diesem Punkt übrigens auch kreativ: Neben dem Ruf nach stärkerem Einsatz der Stadtreinigung schlugen sie vor, Besen hinzustellen, mit dem die Feiernden ihren Dreck selbst aufkehren könnten.

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