Prozess am Landgericht München I:"Die weiß nicht, was sie gemacht hat"

Eine Frau sucht nach dem Tod ihrer Mutter engen Kontakt zu ihrem Nachbarn, bittet um Übernachtungen - und sticht eines Tages auf ihn ein.

Von Andreas Salch

Als seine Nachbarin Jasmin G. eines Abends im Frühjahr 2020 mit ihrem Bettzeug vor seiner Türe stand und bat, bei ihm schlafen zu dürfen, konnte Klaus F. (Name geändert) nicht nein sagen. Er sei ja " so väterlich", sagt der 66-Jährige. Jasmin G. ist Versicherungskauffrau, 34 Jahre alt, und lebte allein in ihrem Apartment in einem Wohnhaus in Milbertshofen-Am Hart.

Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter Anfang April vergangenen Jahres habe sie "starke Angst vor dem Alleinsein" bekommen und wollte nachts nicht mehr alleine schlafen, wie sie jetzt vor einem Schwurgericht am Landgericht München I berichtete. Da die Wohnung von Klaus F. "etwas verdreckt" gewesen sei, überredete sie den 66-Jährigen, bei ihr im Doppelbett in ihrer Wohnung zu schlafen. Das ging mehrere Wochen lang so, bis zum 14. Juni, einem Sonntag.

Nach einem gemeinsamen Frühstück war Klaus F. zurück in seine Wohnung gegangen. Am späten Vormittag jenes Tages klingelte Jasmin G. nochmals bei ihrem Nachbarn und fragte, ob sie zu ihm kommen dürfe. Er hatte nichts dagegen. Die Versicherungskauffrau setzte sich neben den 66-Jährigen auf das Bett und sah mit ihm fern. Währendessen zog sie plötzlich ein Klappmesser mit einer acht Zentimeter langen Klinge und stach mehrmals auf Klaus F. ein. Jasmin G. soll dabei gesagt haben: "Du hast mich vergewaltigt, Du bist an allem schuld."

Der Rentner erlitt unter anderem zwei Stichverletzungen. Die Bauchhöhle wurde erwischt, Bauchfell und Dickdarm verletzt. Ärzten zufolge wäre der 66-Jähre ohne fachgerechte Intervention binnen Stunden bis Tagen verstorben. Nachdem es Klaus F. gelungen war, die 34-Jährige davon abzuhalten, weiter auf ihn einzustechen, verließ sie die Wohnung. F. verschloss seine Türe und alarmierte die Polizei. Die Staatsanwaltschaft erhob schließlich Anklage wegen versuchten Mordes. Ob Jasmin G. strafrechtlich für die mutmaßliche Tat verantwortlich gemacht werden kann, dazu wird das Gericht einen psychiatrischen Sachverständigen befragen. Die angeklagte Versicherungskauffrau wurde während der Untersuchungshaft einstweilig in die forensische Abteilung einer geschlossenen psychiatrischen Klinik verlegt.

Jasmin G. lässt sich behandeln. Sie erhält eine Depotspritze mit einem Neuroleptikum. Zu Beginn des Prozesses vor dem Landgericht München I sagte sie, sie wisse inzwischen, dass sie zum Zeitpunkt der Tat krank gewesen sei. Nach dem Tod ihrer Mutter habe sie unter "Wahnideen" gelitten. Weil sie geglaubt habe, man wolle sie vergiften, habe sie fast nichts mehr gegessen und zuletzt nur noch 45 Kilogramm gewogen. An die Tat könne sie sich kaum erinnern. Sie wisse nur, dass ihr Nachbar sie am Oberschenkel berührt habe und sie sich zur Wehr setzte.

Klaus F. hat Jasmin G. verziehen. Mehrmals habe er ihr geraten, sich von einem Psychiater untersuchen zu lassen, berichtet er bei seiner Vernehmung. Trotz der Stichverletzungen gehe es ihm gut. Bei der Polizei hatte Klaus F. nach der Tat ausgesagt: "Die weiß nicht, was sie gemacht hat." Ein Urteil in dem Prozess wird für Ende Juni erwartet.

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