Süddeutsche Zeitung

Entzug mildert Strafe:Ein Urteil im Sinne des BGH

  • Jan K. soll im Oktober 2018 eine Frau in einer Tabledance-Bar bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt haben.
  • Vor dem Landgericht München I war er wegen versuchten Mordes angeklagt. Seine Verteidiger plädierten auf gefährliche Körperverletzung - das Gericht folgte ihrem Antrag.
  • K. wurde zu fünfeinhalb Jahren Haft und aufgrund seiner Alkoholsucht zu einer Unterbringung in einer Entzugsklinik verurteilt.

Von Susi Wimmer

Liana D. (Name geändert) wird ihr Leben lang an den Abend denken, als Jan K. in der Tabledance-Bar "Madame" erschien, sie mit ihm ins Separee verschwand und er sie über einen längeren Zeitraum würgte. Vor Gericht brach die zierliche Frau zitternd und unter Tränen zusammen, sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, ist selbst nach einem Jahr nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Ihr Peiniger, Jan K., der wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht München I angeklagt war, wird nach einer Entzugstherapie binnen eines Jahres wieder das Licht der Freiheit erblicken, so lautete das Urteil vom Freitag. "Nach derzeitiger Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)", sagte Richter Norbert Riedmann, habe man keine andere Wahl.

Eine Minute und 46 Sekunden - über diese Zeitspanne soll Jan K. die Frau in der Nacht auf den 27. Oktober 2018 im Streit um Geld und Leistung in der Bar an der Ledererstraße gewürgt haben. Laut Staatsanwaltschaft soll Liana D. für mindestens 20 Sekunden das Bewusstsein verloren haben. Der Druck auf ihren Hals war so stark, dass nicht nur die typischen, punktförmigen Einblutungen in den Augen zurückblieben, die winzigen roten Flecken zogen sich sogar über das Gesicht.

Dass das Geschehen so detailliert vor Gericht offen lag, ist zwei Überwachungskameras in dem Etablissement zu verdanken. Die Videos wurden in Augenschein genommen, darauf ist ein heftiger Todeskampf der Frau zu sehen, so Riedmann. Nach wiederholtem Ansehen, Standbildern und Slow Motion sei sich die Kammer nicht mehr sicher, ob der Würgevorgang tatsächlich so lange dauerte. Und: "Wir können einen Rücktritt von der Tat nicht ausschließen", erklärte Riedmann. Denn im Video ist zu sehen, wie der 25-Jährige plötzlich abbricht, beide Arme nach oben reißt. Jan K. sagte dazu, er sei aus einer Art Blackout erwacht und habe sich gedacht: "Was hab' ich da getan?"

Seine Verteidiger Claudia Enghofer und Benjamin Ruhlmann plädierten auf gefährliche Körperverletzung - und das Gericht folgte ihrem Antrag. "Es bleiben Zweifel", sagte Riedmann im Urteil. Trotzdem verurteilte er K. zu fünfeinhalb Jahren Haft und aufgrund dessen Alkoholsucht zu einer Unterbringung in einer Entzugsklinik. Ein Umstand, den Nebenklageanwalt Reinhard Köppe alles andere als befriedigend empfand. Denn da Jan K. bereits seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, wird er sofort für zwei Jahre in den Entzug geschickt. Dort genießen die Insassen bereits ab der Hälfte der Behandlung Lockerungen wie Freigang.

Dass Jan K. ein Alkoholproblem hat, sprach ihm das Gericht nicht ab. "Wer mit über zwei Promille keinerlei Ausfallerscheinungen zeigt, der ist das offenbar gewöhnt." Allerdings ist auch Voraussetzung für die Unterbringung im Entzug, dass die Therapie Aussicht auf Erfolg hat. Da Jan K. kaum Deutsch spricht, sei daran zu zweifeln, so die Kammer. Doch der BGH sei da momentan anderer Meinung.

Jan K. küsste bei der Urteilsverkündung das Kreuz um seinen Hals und sagte: "Ich nehme das Urteil an, und ich entschuldige mich."

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SZ vom 09.11.2019/syn
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