Millionen-Betrug:Seniorin verkauft ihr Haus im Auftrag falscher Polizisten

Die 71-Jährige fiel auf Trickbetrüger herein und verlor 300 000 Euro und eine wertvolle Immobilie. Für den Mann auf der Anklagebank hat sie dennoch freundliche Worte.

Von Susi Wimmer

Roswitha S. ist 71 Jahre alt, muss arbeiten, um sich ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, und sie sucht dringend eine neue Bleibe, sonst steht sie im Herbst auf der Straße. Die Akademikerin, die in Wahrheit anders heißt, hatte ihr Leben lang gespart und eine stattliche Summe auf dem Konto, wohnte in ihrem Elternhaus in Solln mit großem Grundstück - bis sie vergangenes Jahr auf Trickbetrüger hereinfiel. Die setzten sie über sechs Monate mit erfundenen Geschichten täglich telefonisch so unter Druck, bis sie ihnen nicht nur ihre 300 000 Euro Erspartes übergab, sondern auch noch ihr Haus verkaufte, um den Betrügern damit erworbene Diamanten im Wert von knapp 2,5 Millionen Euro zu überlassen. "Ich dachte, es geht darum ein Menschenleben zu retten", sagte Roswitha S. jetzt vor dem Landgericht München I.

Auf der Anklagebank sitzt seit gestern nicht der große Drahtzieher des "Falsche-Polizisten-Tricks", sondern eher ein kleiner Fisch: Onur G., 31 Jahre alt. Er sollte am 3. September 2019 an einem Stromkasten in Solln den dort abgestellten Koffer mit Diamanten und Luxusuhren abholen. Die Berliner Polizei hatte den Münchnern einen Tipp gegeben. Onur G. kam mit dem Koffer nur ein paar Meter weit, da war er schon festgenommen. Doch der Umstand, dass zumindest die Diamanten-Übergabe gestoppt werden konnte, brachte Roswitha S. nicht ihr altes Leben zurück.

"Kriminaloberkommissar Stein" rief täglich an

Begonnen hatte die Geschichte im März 2019. Da rief ein vermeintlicher Polizist an. Man habe bei einem geschnappten Einbrecher einen Zettel gefunden, auf dem ihr Name stehe, sagte er. Ihr Haus sei in Gefahr, ebenso ihre Konten, denn zu der Täterbande gehörten auch Bankangestellte. "Kriminaloberkommissar Stein" rief jeden Tag an, teilweise mehrfach. "Ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass meine Konten bedroht sind", erzählt die 71-Jährige. Also folgte sie der Anweisung, 300 000 Euro abzuheben, dafür 6,7 Kilo Goldbarren sowie zwei Luxusuhren zu kaufen und alles in den offenen Kofferraum ihres Wagens zu stellen. Die Polizei werde alles abholen und asservieren. Doch damit nicht genug.

In den folgenden Monaten wurde Roswitha S. Teil einer angeblichen geheimen Polizeiaktion, es hieß, die Einbrecherbande solle ausgehoben werden. Dabei, erzählte ihr ab April ein weiterer angeblicher Polizist, sei Kommissar Stein in die Fänge der rumänischen Mafia geraten. Man müsse ihn auslösen, es bestehe höchste Lebensgefahr. Irgendwann schafften es die Betrüger, die Seniorin zu isolieren, sie meldete sogar ihren Telefonanschluss ab und war auf einer neuen Rufnummer dann nur noch für den falschen Kommissar erreichbar. Ein halbes Jahr ging der Psychoterror, bis Roswitha S. ihr Haus verkaufte und in ein Hotel zog.

Momentan, so erzählt sie, könne sie wieder in ihrem Haus gegen Entgelt wohnen, aber nur bis September. Das Haus zurückzukaufen, sei finanziell nicht möglich. Sie würde beim Rückverkauf der Diamanten nach Schätzungen eines Gutachters 1,3 Millionen Euro verlieren. Die Geschichte, sagt sie, habe sie bis heute nicht verdaut. "Und ich fürchte den Tag, wenn ich den Hausschlüssel abgeben muss."

Onur G. droht nach Absprache aller Verfahrensbeteiligter eine Haftstrafe zwischen dreieinhalb Jahren und vier Jahren und drei Monaten. Er gesteht und weint, als er sich entschuldigt. Es sei das erste und einzige Mal gewesen, dass er für einen Freund als Abholer tätig gewesen sei, beteuert er. "Mit dem Unglück eines anderen Menschen wird man nicht glücklich", schluchzt er. Roswitha S. nimmt seine Entschuldigung an und meint: "Ich wünsche Ihnen, dass Sie Gelegenheit haben, das zu verarbeiten. Sie sind noch jung, da lässt sich noch was machen."

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