Das Tattoo sollte großflächig werden, über den ganzen Rücken bis zu den Kniekehlen. Meret L. (Namen geändert) hatte sich einen Schmetterling gewünscht, der in einem Käfig sitzt und von einem Drachen bewacht wird. Jetzt wirkt sie so, als sei sie in einem inneren Käfig gefangen: schlaflos, geschockt, fassungslos. Denn während Artist Slatko F. ihr das Gemälde unter die Haut stach, soll er die damals 35-Jährige vergewaltigt haben.
Nein, Slatko F. hat nichts dagegen, dass Pressefotografen sein Gesicht ablichten. Er will sich nicht verstecken, „das wirkt immer so schuldig“, meint sein Verteidiger Andreas Remiger. Und er gibt für seinen Mandanten vor dem Schöffengericht am Amtsgericht München gleich die Erklärung ab, er weise alle Vorwürfe zurück. Der 45-Jährige sei bei seiner Arbeit stets professionell und nun von den Anschuldigungen „zutiefst getroffen“.
Die Videoaufzeichnung wird im Gerichtssaal abgespielt: Meret L. sitzt an einem runden Tisch, ihr gegenüber ein Ermittlungsrichter, die Hände hält sie etwas verkrampft auf ihrem Schoß. Das Gericht hat verfügt, dass die mutmaßlich Geschädigte nicht persönlich im Prozess aussagen muss. Und dann erzählt sie, was sie in einem Münchner Tattoo-Studio und auf einer Fachmesse in Florenz erlebt hat.
Über Bekannte sei sie auf das Münchner Studio aufmerksam geworden und bei einem Besuch habe sie Stil und Technik der Künstler studiert und sich letztlich für die Arbeit von Slatko F. entschieden. Er sollte das großflächige Bild in mehreren Sitzungen stechen. Im September 2019 begann die erste Session. Die Atmosphäre im Studio sei „wie unter Freunden“ gewesen. Deshalb willigte die Frau auch ein, als F. ihr vorschlug, mit zur Tattoo-Messe nach Florenz zu kommen und dort seine Arbeit vor Publikum fortzuführen. Er habe angeboten, die Reisekosten zu übernehmen, erzählt sie. Und: „Es war Italien!“
Also flog sie an einem Wochenende im November nach Florenz und lag fast nackt auf dem Bauch am Messestand. Am ersten Tag sei Slatko F. „in sehr flirtiger Stimmung“ gewesen, habe Augenkontakt zu allen Frauen gesucht, die am Stand vorbeigekommen seien. Und auch sie habe er immer wieder gefragt, warum sie denn keinen Freund habe und ob er denn ihr Typ sei. „Du bist verheiratet, das kommt nicht infrage für mich“, habe sie geantwortet. Sie habe sich da nicht unwohl gefühlt, „außerdem war ich mit meinen Schmerzen und Stillhalten beschäftigt“.
Bis heute sei das Tattoo nicht vollendet, sagt Meret L.
Tags darauf dann, als sich die Messe bereits dem Ende neigte und die Besucherströme nachließen, habe Slatko F. in ihrem Po-Bereich gestochen. Plötzlich sei er mit einer Hand in ihren Intimbereich gerutscht, habe einen Finger eingeführt. „Ich war perplex, ich stand unter Schock, ich fühlte mich wie gelähmt“, erzählt die Frau. Sie sei nicht in der Lage gewesen, ihn darauf anzusprechen, habe die Sitzung abgebrochen und ihn dann gemieden. Bis heute sei das Tattoo nicht vollendet. „Ich wollte ihn nie wieder sehen, ich wollte nie wieder in das Studio.“
Der Hausarzt verschrieb Meret L. starke Schlaftabletten, empfahl eine Therapie, „aber ich bekam keinen Platz, es war dann auch noch Corona“. Sie habe mit Freunden gesprochen, sich schließlich an eine Frauenberatungsstelle gewandt, bis sie den Mut gehabt habe, bei der Polizei Anzeige zu erstatten.
Verteidiger Remiger beantragt, einen Sachverständigen für Neurologie und Dermatologie zu hören. Denn durch die Überlastung des Nervensystems bei einer Tätowierung könne es sein, dass es zu Missempfindungen an Stellen komme, die gar nicht berührt worden seien. Das Schöffengericht, das generell Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren verhängen kann, hat noch zwei weitere Verhandlungstermine anberaumt.