Vor Gericht in München:Brüllen, beleidigen, behindern

Lesezeit: 4 min

Bei dem Prozess im Münchner Landgericht spielten sich turbulente Szenen ab. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Ein Missbrauchs­prozess muss komplett neu verhandelt werden - wegen des Verhaltens der Verteidigung. Der Angeklagte sitzt weiter in Untersuchungshaft, seine Kinder müssen psychiatrisch behandelt werden.

Von Susi Wimmer, München

Der Strafprozess sollte den schlimmen Verdacht klären, ob ein Vater seine kleine Tochter sexuell missbraucht hat. Im Mai dieses Jahres begann die Verhandlung gegen den 35 Jahre alten Alexander K. Aber der Prozess geriet zur Farce: Die Verteidigung brüllte und beleidigte das Gericht, stellte Antrag um Antrag, blieb dem Prozess fern, verzögerte die Beweisaufnahme und gab zu guter Letzt an, man sei durch die Verhandlung traumatisiert. Der Prozess zog sich in den Herbst, so lange, dass die Vorsitzende Richterin vor Beginn ihrer Pension das Verfahren nicht zu Ende bringen konnte - und die Verhandlung ausgesetzt werden musste. Allerdings nicht für lange: Ende November wird erneut und von vorne gegen den Angeklagten verhandelt. Und: Er bleibt auch weiterhin in Untersuchungshaft.

Die kleine Elena ( Namen der Kinder und der Mutter geändert) ist heute gerade einmal zehn Jahre alt. Sie ist in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht, sie schmierte im Hort ihren Kot an die Wand, sie schaffte die zweite Klasse nicht, schließlich konnte sie überhaupt nicht mehr zur Schule gehen. Ihr Bruder Leon, der die mutmaßlichen Taten bemerkt haben könnte, befindet sich ebenfalls in einer geschlossenen Einrichtung. Und ihr Vater, Alexander K., ein Mann mit tätowierten Händen und schwarzem Knopfohrring, schweigt. Er, der gerade im sechsstelligen Bereich geerbt hat, beschäftigt mehrere Anwälte. Und bleibt trotzdem in Haft.

Neues Gesetz
:Ein Verbrechen, kein Vergehen

Der Bundestag debattiert härtere Strafen für Menschen, die Kindern sexuelle Gewalt antun

Von Robert Roßmann

"Er sagte, er habe nichts gemacht. Dann hat er geweint am Telefon und sich entschuldigt", erzählt Iris K. Sie ist die Mutter der Kinder und schildert an den letzten Verhandlungstagen des Prozesses vor Gericht den Abend, als Elena sich ihr anvertraute und berichtete, was der Vater getan habe. Daraufhin habe sie zum Telefon gegriffen, den geschiedenen Mann angerufen und ihn mit dem Ungeheuerlichen konfrontiert. Am nächsten Tag habe sie das Kind krankgemeldet und sei mit Elena zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll K. an den Wochenenden, an denen die Kinder bei ihm waren, den Sohn zum Computerspielen aus dem Zimmer geschickt und seine Tochter zwischen ihrem sechsten und achten Lebensjahr sexuell missbraucht haben.

Die Frage, ob man früher etwas bemerken hätte können, beschäftigte Iris K. natürlich. "Aber ich hatte in meinem Leben noch nie mit Missbrauch zu tun", sagt sie heute. Im Frühjahr 2007 hatte sie den damals 20-jährigen Alexander K. in einem Club kennengelernt. Sie sei schnell schwanger gewesen, man habe geheiratet. "Am Anfang lief es relativ gut, aber mit dem Kind kamen die Schwankungen." Ihr Mann sei viel unterwegs gewesen mit seinen Jungs, habe Party gemacht, "ich war oft alleine zu Hause". Als Leon noch ein Baby war, sei eines Tages die Polizei vor der Türe gestanden und habe Alexander K. mitgenommen. Verdacht auf Kinderpornografie. Laptop und Handy seien beschlagnahmt worden. "Aber er sagte mir, dass da nichts sei. Und ich habe mir nichts dabei gedacht." Die Staatsanwaltschaft stellte damals die Ermittlungen ein. Die Akte dazu ist heute nicht auffindbar.

2010 dann kam Elena zur Welt, "da war eine Trennung schon vorgesehen", erzählt Iris K., auch, weil er fremdgegangen sei. Es sei auch zu Handgreiflichkeiten gegen sie seitens des Mannes und seiner Mutter gekommen: Als sie schwanger mit Elena gewesen sei, habe man sie zu Boden gedrückt und geohrfeigt. Die Schwiegermutter habe ihr vorgeworfen: "Du hast ihm Elena untergejubelt, sie ist nicht seine Tochter."

Der Mutter fiel auf, dass die Kinder nach Aufenthalten beim Vater "angespannt und aggressiv" seien

Es folgten Umzüge, auch ein neuer Mann fand im Leben von Iris K. Platz. Sie selbst sei ohne Vater aufgewachsen, deshalb sei es ihr wichtig gewesen, dass die Kinder weiterhin zum Vater einen geregelten Kontakt hätten. "Aber er hatte wenig Interesse", erinnert sich Iris K.

Irgendwann, Elena war etwa sieben Jahre alt, fiel der Mutter auf, dass die Kinder nach den Wochenende beim Vater "angespannt und aggressiv" gewesen seien. Noch im Kindergarten und in der ersten Klasse sei Elena ein "glückliches und fröhliches Kind gewesen". Doch nun litt sie unter Depressionsphasen. "Sie war immer wütend, konnte aber nicht sagen, warum", sagt Iris K. Die Kinder wollten keine Hausaufgaben mehr machen, von sich aus nicht mehr lernen. Es gab Gespräche im Hort, weil Elena ihren Kot an die Toilettenwände schmierte. Sie bestritt das, schnitt sich die Haare ab und die Freitage, an denen sie zu ihrem Vater sollte, seien immer schwieriger geworden. "Sie weinte, sie wolle da nicht hin. Das Schreien war hysterisch, sie hat sich an mich geklammert", erzählt die Mutter. In Elenas Federmäppchen fand sich ein gelber Zettel, darauf hatte sie drei Worte geschrieben: "Sex, Sex, Sex."

Und Alexander K. habe ihr, der Mutter, erzählt, dass sich die Kinder laut dem Personal im Hort gegenseitig anfassen würden. Sie sei daraufhin in den Hort gefahren und habe nachgefragt. Doch die Aussage habe nicht gestimmt. Eher das Gegenteil. "Die im Hort erzählten, sie hätten den Vater eingeladen, weil die Kinder nach den Wochenenden beim ihm wie ausgewechselt seien."

"Die Kinder haben die Bedrohung nicht verstanden", glaubt die Mutter

Nach der Anzeige im Herbst 2018 ging Elena nur noch in Begleitung ihrer Mutter zur Schule, schließlich überhaupt nicht mehr. Es folgten Therapien für beide Kinder. "Sie sind traumatisiert. Sie bekommen nichts mehr von der realen Welt mit, sie leben in ihrer eigenen", so zitiert die Mutter die Therapeutin.

Leon mache sich wohl Vorwürfe, dass er seiner kleinen Schwester nicht helfen konnte, vermutet Iris K. "Und sie wirft ihm vor, dass er nicht geholfen hat." Leon habe sich im Hort auch auffällig verhalten. Und er habe erzählt, dass der Papa den Geschwistern mal seine Waffe gezeigt habe und sie sie halten durften. Dazu habe er gesagt, dass sie nichts erzählen dürften. "Die Kinder haben die Bedrohung nicht verstanden", glaubt die Mutter.

Sieben Mal hatte das Gericht Iris K. geladen. Sieben Mal wartete die Mutter in der Zeugenbetreuungsstelle. Sieben Mal verhinderten Vorkommnisse seitens der Verteidigung die Befragung der Mutter. Monate vergingen, in denen es dem Gericht nicht möglich war, eine halbwegs geregelte Beweisaufnahme durchzuführen, sich überhaupt ein Bild von der Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu machen. Nun ist der Prozess ausgesetzt und beginnt am 30. November unter einem neuen Vorsitzenden von vorne. Alexander K. wird weiter seine Anwälte bezahlen und in Untersuchungshaft sitzen - und seine Kinder in der Psychiatrie.

© SZ vom 02.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Justiz in Corona-Zeiten
:Gerichtsverhandlung aus dem Home-Office

Im Arbeits- und Sozialrecht sollen bald Video-Verfahren angeordnet werden können - wegen der vielen Fälle mit Corona-Bezug. Der Widerstand, den es in vielen Richterzimmern lange gab, bröckelt.

Von Wolfgang Janisch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: