Urteil:Messerattacke an der Haustür nur mit Glück überlebt

  • In einem Zustand der paranoiden Schizophrenie hat Fidan B. an einem Anwesen in Daglfing geklingelt und mit einem Messer auf einen 57-Jährigen eingestochen, der die Tür öffnete.
  • Nun muss der Mann auf unbestimmte Zeit in die geschlossene Psychiatrie.
  • Am Mittwoch verkündete das Gericht seine Entscheidung, dass B. nicht schuldfähig war.

Von Julian Hans

Der 7. Januar 2019 sei ein "Schicksalstag" für das Opfer und für den Täter gewesen, sagt die Richterin der ersten Strafkammer am Landgericht München I zu Beginn ihrer Urteilsbegründung am Mittwoch. Der Angegriffene Rudolf T. kämpfte um sein Überleben und gewann. Die Narben an seinem Körper sind verheilt, aber die psychischen Narben bleiben. Der Angreifer Fidan B. hatte ein unauffälliges Leben gelebt, bis er an jenem Januartag im Wahn an der Haustüre von T. in Daglfing klingelte und auf ihn einstach. Nun muss er auf unbestimmte Zeit in die geschlossene Psychiatrie.

Am Mittwoch verkündete das Gericht seine Entscheidung, dass der zur Tatzeit 33 Jahre alte Fidan B. (Name geändert) nicht schuldfähig war. Statt im Gefängnis wird er in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht. So soll einerseits die Öffentlichkeit geschützt und B. behandelt werden. Der psychiatrische Sachverständige hatte dessen Erkrankung als schwerwiegend und dauerhaft eingestuft. Es sei davon auszugehen, dass B. im unbehandelten Zustand weitere Kapitaldelikte begehen könne.

Einen Tag lang war Fidan B. Anfang Januar durch München geirrt, in der Tasche das Messer mit 14 Zentimeter langer Klinge, das er aus der Küche eines Freundes mitgenommen hatte. Dass schließlich Rudolf T. zu seinem Opfer wurde, war reiner Zufall. Der Täter hatte die Hausnummer 11 an seiner Türe mit der 17 verwechselt, der er symbolische Bedeutung zumaß. T. öffnete im Glauben, es sei ein Paketbote. Mit dem Ruf: "I stich' di ab" stürzte sich der Angreifer auf den 57-Jährigen. "Dass Herr T. am Ende nicht tot mit dem Messer im Bauch am Boden lag, ist Glück", sagt die Vorsitzende. Es gelang ihm, dem Angreifer das Messer zu entwinden und ihn aus der Wohnung zu drängen. Auf dem Weg zum S-Bahnhof Daglfing schnappte ihn die Polizei.

B. hatte bis dahin ein unauffälliges Leben gelebt. Er hatte eine Anstellung als Facharbeiter bei einer Reinigungsfirma. Aber seit dem Sommer gab es Ärger auf der Arbeit, schließlich wurde er zum Ende des Jahres entlassen. Auch die Familie habe gemerkt, dass Fidan B. sich veränderte. Er bekam Schlafstörungen, Zukunftsängste, Schweißausbrüche. Da war er wohl schon dabei, in die paranoide Schizophrenie abzugleiten, die ihm der Gerichtsgutachter schließlich bescheinigte.

Die Täterschaft steht nach Auffassung des Gerichts zweifelsfrei fest. Belegt durch die Aussagen der Zeugen und des Opfers und die Spuren am Tatort. Die Erinnerung des Beschuldigten bricht vor der Tat ab und setzt erst wieder ein, wie er vor der Polizei davonläuft. Unmittelbar nach der Festnahme hatte er zu den Beamten gesagt: "Ich hab's versucht, aber er hat sich gewehrt."

Die Richterin wünscht dem Beschuldigten "alles Gute"

Rechtlich bewertet das Gericht die Tat als versuchten Totschlag. Die Staatsanwaltschaft hatte auf versuchten Mord plädiert, aber das Gericht sieht das Mordmerkmal der Heimtücke nicht erfüllt. Das hätte bedeutet, dass B. die Arglosigkeit und Wehrlosigkeit seines Opfers bewusst ausgenutzt hätte. Dafür aber habe ihm zum Tatzeitpunkt die rationale Steuerungsfähigkeit gefehlt, heißt es in der Urteilsbegründung.

Fast fürsorglich ermahnt die Vorsitzende den Täter, der den Ausführungen fast staunend gefolgt ist, so als ginge es um einen Fremden: Schizophrenie sei heute gut behandelbar. Mit den richtigen Medikamenten lasse sich ein normales Leben führen. Voraussetzung sei aber, dass B. mit den Ärzten zusammenarbeite. Und die Familie müsse akzeptieren, dass er krank ist, und nicht so tun, als wäre die Tat eine einmalige Entgleisung gewesen und B. doch eigentlich "ganz nett".

Am Ende wünscht die Richterin dem Beschuldigten "alles Gute". Der hat die ganze Zeit über schweigend zugehört. Jetzt sagt er: "Dankeschön".

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