Prozess:"Da ist jemand in meiner Wohnung"

Während eine Frau mit ihrem Kollegen telefoniert, taucht plötzlich ihr Ex-Freund auf und sticht mit einem Messer auf sie ein. Die 38-Jährige überlebt knapp. Nun begegnen sich beide vor Gericht.

Von Susi Wimmer

Es war nur eine Silhouette, die Verena L. durch die Milchglasscheibe ihrer Küchentür vorbeihuschen sah. "David, da ist jemand in meiner Wohnung", sagte die 38-Jährige am Handy zu ihrem Gesprächspartner. Plötzlich stand ihr Ex-Freund in der Küche, ein Messer in der Hand, "dann hat er mich abgestochen", sagt die Zeugin, und "da war kein Schmerz". Während sie die Hand auf die blutende Wunde drückt, zündet sich Muse O. eine Zigarette an, sieht sie an und raucht. "Mit viel Glück", so sagten die Ärzte später, habe Verena L. überlebt. Seit Freitag steht der 36-Jährige vor dem Landgericht München I, angeklagt ist er wegen gefährlicher Körperverletzung.

"Juristisch ist das eine interessante Sache", sagt Reinhard Köppe. Er ist der Anwalt von Verena L., die in Wahrheit anders heißt. Die Staatsanwaltschaft sah wohl einen Rücktritt von einem versuchten Tötungsdelikt. Zumal Muse O. aufgehört hatte, sein Opfer mit dem Messer zu traktieren. "Aber er rannte nicht weg, er blieb. Wollte er sehen, ob sie verblutet?", fragt Köppe.

Verena L. betritt den Gerichtssaal, sofort geht ihr Blick in Richtung Zuhörer, sie meidet es, den Angeklagten anzusehen. Ihre Augen sind gerötet, die zierliche Frau atmet hörbar aus und benötigt einige Augenblicke, ehe sie die Fragen von Richter Philipp Stoll beantworten kann. Köppe sitzt quasi als Sichtschutz neben ihr. Über eine Dating-App, so erzählt die Frisörin, habe sie im November 2017 O. kennengelernt. Man traf sich am Ostbahnhof, er ging mit ihr heim. Fünf Wochen dauerte die Affäre, "wir haben uns am Wochenende gesehen, das war ganz okay", sagt sie. Bis er auf einer Party ausfallend zu ihren Gästen wurde, "da war mir bewusst, dass ich das nicht mehr will".

Muse O. hatte da wohl andere Vorstellungen. Er klingelte frühmorgens Sturm, überhäufte sie mit Nachrichten am Handy, tauchte bei ihrer Arbeit auf oder stand nachts vor ihrer Tür und hämmerte dagegen. Einmal, als sie öffnete, "hat er mich mit voller Wucht geschubst und in den Bauch geboxt". Sie erstattete Anzeige. Dann war für fünf Monate Ruhe. Während dieses Zeitraums befand sich Muse O. freiwillig in der Psychiatrie, um seine Depressionen behandeln zu lassen und um vom Alkohol und den Drogen wegzukommen, berichtet seine Anwältin Carolin Schaal. Danach sei erneut ein loser Kontakt entstanden, "in Monatsabständen", sagt Verena L.

Der Stich hatte die Brusthöhle und den Herzbeutel geöffnet

Weil "das Schnapperl unten an der Eingangstür kaputt war, stand er immer gleich oben bei mir vor der Tür und wollte reden". Aber sie habe endgültig Schluss machen wollen, deshalb habe es im August ein letztes Treffen am Rotkreuzplatz gegeben. Er habe ihr ein Bier auf den Tisch gestellt. Sie trank, ging heim, steckte den Schlüssel ins Schloss, "und ab da ist alles weg". Später fand sie einen Knutschfleck an ihrem Hals, er schrieb: "Wir hatten Geschlechtsverkehr." Als er nachts wieder klingelte, erwirkte Verena L. ein Kontaktverbot. Dann war erneut Ruhe - für vier Monate, bis am Abend des 16. Dezember 2018 jemand die Wohnungstür von Verena L. eintrat.

Die Polizei sah sich den Schaden an, dann fuhr sie wieder davon. Verena L. hatte Angst, übernachtete bei einer Freundin und wollte nicht zurück in ihre Wohnung. Aber für den 17. Dezember hatte die Hausverwaltung einen Handwerker angefordert, und so saß die 38-Jährige in ihrer Küche und plauderte am Telefon mit ihrem Arbeitskollegen David, als ihr Ex-Freund plötzlich vor ihr stand. "Ich wollte dich gestern schon abstechen, aber da hat mir der Mut gefehlt", habe er zu ihr gesagt, das Messer in der Hand. Und: "Du hast mich nur verarscht, wegen dir muss ich drei Jahre in den Knast." O. ist vorbestraft und steht unter Bewährung.

Sie habe immer versucht, zu deeskalieren, mit ihm zu reden, auch noch, als sie den "dumpfen Schlag" in der linken Brust spürte. Der Stich hatte die Brusthöhle und den Herzbeutel geöffnet. Sie wählte den Notruf und bemerkte das Blut auf dem Küchenboden erst, als Muse O. aus der Tür war. "Dann bin ich immer wieder ohnmächtig geworden", erzählt sie.

"Hallo, ihr sucht mich, ich hab' sie abgestochen", so begrüßte Muse O. die eintreffenden Polizisten vor dem Hauseingang. "Er wollte sie nicht töten", erklärte seine Verteidigerin. Zu einem möglichen Motiv schwieg sie. Ein Urteil soll nächsten Freitag gesprochen werden.

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