Süddeutsche Zeitung

Prozess:Muss die Stadt für steinewerfende Kitakinder haften?

Drei Kinder werfen aus einem städtischen Kindergarten Steine auf ein Auto. Das Landgericht muss nun klären, wer für die 1800 Euro Schaden aufkommt.

Von Stephan Handel

Der Satz steht an jeder Baustelle, aber er stimmt trotzdem nicht: Nein, Eltern haften nicht für ihre Kinder. Jedenfalls nicht immer und automatisch. Wenn die Eltern zum Beispiel ihre Sprösslinge im Kindergarten abgeben, dann übertragen sie damit auch die Aufsichtspflicht an die Erzieherinnen und Erzieher dort. Und wenn die Kleinen dann was anstellen, einen Schaden verursachen, wie in einem Fall, der am Mittwoch vor dem Landgericht verhandelt wurde - dann haftet vielleicht sogar die Stadt für ihre Kinder.

In einem städtischen Kindergarten im Osten der Stadt arbeitete eine Frau als Küchenhilfe. Um dorthin zu gelangen, lieh sie sich von ihrer Tochter deren Auto, eine Mercedes E-Klasse, Baujahr 2016. Vor dem Kindergarten stellte sie den Wagen auf einem Parkplatz ab und ging an die Arbeit. Weil die Geschichte sich Ende Mai 2018 zutrug, war das Wetter schön, und deshalb durften die Kinder des Kindergartens am Vormittag in den Garten.

Dort machten sich Patrick, Benjamin und Noah aus dem Staub: Zwischen 5 und 6 Jahre alt, wahrscheinlich beste Kumpels, versteckten sich die drei in einem Busch am Rand des Freigeländes. Und begannen dann mit Steinen zu werfen, was gewiss sehr lustig war - nur nicht für die Küchenhilfe, denn als Zielobjekt hatten sich die Jungs den dort geparkten Mercedes ausgesucht. Zwar wurden die Übeltäter schnell von anderen Kindern bei den Erziehern verpetzt. Bis die einschritten, war der Schaden aber schon angerichtet, unter anderem war die Frontscheibe des Autos zu Bruch gegangen.

Gut 1200 Euro kostete die Reparatur, dazu noch ein paar Nebenkosten - gut 1800 Euro gingen drauf dafür, das Unheil wieder gut zu machen. Auf diese Summe nun verklagte die Autobesitzerin, also die Tochter der Küchenhilfe, die Stadt als Trägerin des Kindergartens. Denn, so die Klagebegründung, die Kindergärtnerinnen hätten ihre Pflicht zur Aufsicht den Kindern gegenüber verletzt, was wiederum eine Amtspflichtverletzung wäre. Für den daraus entstandenen Schaden ist dann im Zuge der Amtshaftung der Dienstherr verantwortlich, und das ist eben die Stadt. Die Klage führt dann noch aus, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls drei Erzieherinnen mehr als 60 Kinder zu betreuen hatten.

Die Stadt als Beklagte bestritt in der Verhandlung zunächst einmal praktisch alles: Es seien nicht 60 Kinder anwesend gewesen, sondern nur 35. Ob die Schäden an dem Auto tatsächlich durch die Steinwürfe entstanden sind, sei nicht bewiesen - die Windschutzscheibe hätte ja auch zuvor schon gesplittert sein können. Und sowieso sei Steinwerfen in dem Kindergarten grundsätzlich und immer verboten, worauf die Kinder auch immer wieder hingewiesen würden - das ist für die Aufsichtspflicht von Bedeutung, denn diese wird nicht nur durch die aktuelle Überwachung ausgeübt, sondern eben auch dadurch, dass die Kinder über Erlaubtes und Verbotenes belehrt werden.

"Da werden wir um eine Beweisaufnahme nicht herumkommen", seufzte Frank Tholl, der Vorsitzende Richter, in der Verhandlung: Zur Frage der Personalbesetzung und der Kinderzahl werden die Erzieherinnen als Zeugen gehört werden müssen, zur Frage der Schäden eventuell Autohalterin und -fahrerin, vielleicht sogar ein Sachverständiger. Es wird also mindestens noch ein weiterer Gerichtstermin nötig sein, um zu klären, ob die Stadt für ihre Kinder haftet.

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SZ vom 19.09.2019/vewo
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