Süddeutsche Zeitung

OB Georg Kronawitter:Vom "Kronawichtl" zum "erfahrenen Populisten"

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Soziale Gerechtigkeit und Ökologie statt grenzenloses Wachstum: Eine prominent besetze Podiumsdiskussion zeigt, wie die Politik des früheren Oberbürgermeisters Georg Kronawitter noch immer nachwirkt.

Von Alfred Dürr

Eine Stadt im Spannungsfeld zwischen Boom und Begrenzung der negativen Folgen des Wachstums: Die Zeit nach den Olympischen Spielen von 1972 war in München politisch turbulent. Vor 50 Jahren trat der Sozialdemokrat Georg Kronawitter das Amt des Oberbürgermeisters an und prägte nachhaltig die Stadtgeschichte. Diese Ära soll nun auch wissenschaftlich aufgearbeitet werden, sagt Marita Krauss, Professorin für Europäische Regionalgeschichte an der Universität Augsburg. Ein Symposium im Stadtarchiv und die Podiumsdiskussion mit ehemaligen Spitzenvertretern der Kommunalpolitik machten deutlich, dass der 2016 verstorbene Georg Kronawitter und seine politischen Ziele noch immer nachwirken.

Auf der Bühne des Kulturzentrums Luise in Sendling saßen unter anderem die frühere Grünen-Politikerin Sabine Csampai, von 1990 bis 1995 Dritte Bürgermeisterin und erste Frau in diesem Amt in der Stadtgeschichte - aus der Toskana angereist, wo sie seit vielen Jahren lebt. Dann Peter Gauweiler (CSU), der einige Jahre unter Kronawitter für die öffentliche Ordnung in München zuständig war. Und Christian Ude (SPD), von 1993 bis 2014 Oberbürgermeister und mit Kronawitter über die Frage, wie hoch in München Häuser gebaut werden dürfen, im Konflikt.

Im Publikum folgten viele Weggefährten dem Gespräch. Für sie mag es sich wie ein Treffen von alten Klassenkameraden angefühlt haben. Streit kommt bei solchen Zusammenkünften in der Regel nicht auf, und das war auch an diesem Abend nicht der Fall. Gauweiler bezeichnete Csampai, die einst mit einem Protest-Button gegen den zunächst ungeliebten Law-and-Order-Mann im Rathaus auftrat, als "meine Freundin". Dass Gauweiler zum Beispiel im Bahnhofsviertel aufräumte und es vor dem Absturz ins Rotlicht-Milieu bewahrte, kam bei den Grünen gut an.

Und auch für Kronawitter hatte der von seinen Kritikern oft als strammer Rechtsaußen titulierte Politiker nur Lob übrig: "Er hat schon eine gute Amtszeit hingelegt, mit gradliniger Politik." Heiterkeit im Publikum für diese Aussage: "Kronawitter war ein erfahrener Populist, etwas was mir völlig fremd war." Gauweiler attestiert Kronawitter Eigenschaften wie ein "guter Hausmeister", der sich um alles kümmert.

Als der von innerparteilichen Flügelkämpfen genervte Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD) sein Amt aufgab und den damaligen Agrarexperten der SPD-Landtagsfraktion Georg Kronawitter als seinen Nachfolger präsentierte, kam das bei vielen Genossen nicht gut an. Der aus einfachen Verhältnissen stammende Bauernsohn wurde gar als "Kronawichtl" verspottet. Christian Ude hält diese Unterschätzung für einen schweren Fehler: "Wir waren dumm genug, mehr Gewicht auf innerparteiliche Animositäten zu legen, als auf den Kontakt zur Bevölkerung."

Kronawitter wurde angesichts der Grabenkämpfe im Unterbezirk schon nach einer Amtsperiode in die Wüste geschickt. Doch er kam mit beispielloser Beharrlichkeit und großem Wahlkampfengagement zurück an die Spitze. 1984 begann seine zweite Amtszeit als Münchner OB. Zunächst regierte er im Rathaus mit wechselnden Mehrheiten, dann entschied er sich für ein rot-grünes Bündnis. "Wir waren neu und zunächst für ihn nicht einschätzbar", erzählt Sabine Csampai. "Aber wir haben gezeigt, dass nicht nur er tricksen kann und dass wir verlässlich sind, dann ging's mit Kronawitter."

Ein konsequenter Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, ein Kritiker von grenzenlosem Wachstum, ein Vorkämpfer für mehr Ökologie in der Stadt - so charakterisiert Ude seinen Amtsvorgänger. Die "erdverbundene Herkunft" Kronawitters habe den Kontakt zur Bevölkerung erleichtert, sagt Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte. Geradezu erstaunlich sei es angesichts des Debakels heute um die zweite Stammstrecke, wie relativ reibungslos damals Großprojekte wie etwa die Messeverlagerung, der Westpark oder das Gasteig-Kulturzentrum über die Bühne gingen.

In der Hochhausfrage hatten Ude und Kronawitter starke politische Differenzen. Doch persönlich war immer alles gut, sagt Ude. Der Bürgerentscheid von 2004 zur Höhenbegrenzung von Neubauten müsse auch heute noch respektiert werden: "Eine Mehrheit der Bevölkerung hat einfach ein Unbehagen an allzu starken Veränderungen im Stadtbild." Auch Sabine Csampai stimmt zu: "Ich war schon immer gegen Hochhäuser."

Ein Politikertypus wie Kronawitter, ist der heute überhaupt noch aktuell, fragt Moderator Peter Fahrenholz von der Süddeutschen Zeitung. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil verkörpere mit seinem "Unterstatement" ein bisschen was von diesem Typus, meint Gauweiler. Fehlt ein Kronawitter in der SPD? "Uneingeschränkt ja", antwortet Ude. "Kronawitter hätte rechte Gruppierungen nicht hochkommen lassen", ergänzt Sabine Csampai.

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